Zimt und Koriander

(Politiki Kouzina, GR/TR 2003, 103 Minuten, Drehbuch und Regie: Tassos Boulmetis)

Aus einem weltweit existierenden und nach wie vor ungelösten Problem eine Komödie zu machen, das ist die Hohe Schule der Cineasten. Dieser Film hat es geschafft, ein politisches Dilemma in ein wohlschmeckendes Produkt der Kochkunst zu verwandeln.

In Konstantinopel – der Film bleibt stets bei der ehemaligen, griechischen Bezeichnung für Istanbul –  weiht ein alter Grieche mit türkischer Staatsangehörigkeit seinen kleinen Enkel Fanis in die Geheimnisse der Kochkunst ein. Bei ihm ist das die Kunst der Verwendung von Gewürzen, bei der manchmal sogar Gewürze mit entgegengesetzter Geschmacksrichtung das Richtige sind.  Für den Großvater hat Gastronomie mit Astronomie zu tun, weil das eine Wort angeblich im anderen steckt. Er improvisiert für den Jungen auf dem Küchentisch ein Astrolabium aus Gewürzen: Pfeffer ist heiß und brennt wie die Sonne, Zimt ist süß und bitter zugleich wie die Venus und überhaupt die Frauen, und Salz ist das Grundelement unserer Erde. So wird bei seinem Enkel das Interesse geweckt, das ihn zum Astrophysiker werden lässt, gleichzeitig aber auch zu einem passionierten und vielbewunderten Koch.

Doch der Hintergrund des Films über die hehre Kochkunst ist ein politischer. Darauf weist der doppelsinnige Originaltitel hin, der je nach der Betonung übersetzt heißt: Konstantinopolitanische Küche oder Politische Kocherei. Es geht letztlich um den Streit zwischen den griechischen und türkischen Zyprern, der von Politikern so angeheizt wurde, dass die Türkei eine militärische Besetzung von Nordzypern für die einzig verbleibende Lösung hielt und die Insel mit einer Mauer geteilt werden musste. Allerdings wird nur ein einziger Politiker im Film genannt, und das nur so nebenbei, nämlich Makarios, der Betonkopf der zyprischen Griechen. Ihm wird die Verantwortung für die Fernwirkung seiner Politik zugeschoben, die darin besteht, dass die Türkei im Jahre 1964 sich veranlasst sah, alle Griechen aus Konstantinopel auszuweisen. Doch hütet sich der Film vor dem Politisieren, er ist auch kein Versuch des Revanchismus. Er bleibt auf der Ebene der mehr oder weniger kleinen Leute.
Denn durch das Ausweisungsdekret werden Fanis und seine Eltern von dem Großvater, der bleiben darf, getrennt. Eine Trennung des kleinen Jungen auch von seiner kleinen türkischen Freundin Saime. In ihrer neuen Heimat Athen fühlen die Ausgewiesenen sich nicht wohl, weil sie dort als Türken gesehen werden. Da war das Leben doch viel schöner in Konstantinopel, obwohl sie dort als Griechen gesehen wurden.

Das griechisch-türkische Verhältnis wird in den nächsten Jahrzehnten vom Militär bestimmt, das mit vielen kleinen Übergriffen von der einen und der anderen Seite die Fackel des Unfriedens hochhält. Das bedeutet auf der menschlichen Ebene: Als Fanis, inzwischen Professor der Astrophysik, nach dreißig Jahren seinen Großvater in Konstantinopel besuchen will, weil der seinen immer wieder angekündigten Besuch in Athen nicht wahrgemacht hat, kommt er einen Tag zu spät in die Klinik. Und das Mädchen, das er geliebt hatte, ist inzwischen die Ehefrau eines türkischen Militärarztes.
Eine gut gewürzte Komödie, obwohl ohne Happy-End, so könnte man diesen Film nennen. Man könnte aber auch umgekehrt sagen: Ein hochaktueller Problemfilm mit wohltuendem Komödiencharakter. Geht es doch um das seit Jahrhunderten und in vielen Ländern virulente Problem, dass verschiedene Ethnien in einem Staat zusammenleben. Was hier der Antagonismus von Griechen und Türken ist, das ist andernorts der Gegensatz Palästinenser-Israelis, das führte im letzten Jahrhundert zu der Trennung Pakistans von Indien und schon im ausgehenden Mittelalter zu der Vertreibung der Juden aus Spanien, um nu einige wenige dieser Problemkomplexe zu nennen. Was mal mit staatlich geförderter Zuwanderungs- und Überlagerungspolitik geregelt werden soll, mal mit Zermürbungstaktik durch Unterprivilegierung der einen Volksgruppe, mal mit totaler räumlicher Trennung durch Ausweisung, es führt stets zur Trennung von Menschen, die zusammengehören, und somit zu persönlichen Katastrophen. Welcher Versuch der politischen Lösung des Problems der beste ist, wird in dieser Geschichte nicht diskutiert. Es ist dies kein Lehrfilm über politisches Krisenmanagement, sondern eine Aufforderung zum Mitfühlen und zum Nachdenken.

Die Hauptfigur Fanis wird konsequenterweise immer sehr nachdenklich gezeigt. Dabei kommt der Film aber ohne alles Sauertöpfische daher. Er bringt das Anheimelnde und das Kuriose des Lebens der kleinen Leute, er bringt es in stimmungsvollen Szenen und geschickt gewählten Bildern und mit Humor. Und er erlaubt sich sogar den Scherz, dem Kinobesucher das Ganze und damit auch das Schicksal der Hauptfigur Fanis, das weitgehend mit dem des Filmemachers identisch ist, mit den Menubezeichnungen Vorspeise, Hauptgang und Dessert zu servieren.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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