Kirschblüten

(Kirschblüten, D 2008, 122 Minuten, Drehbuch und Regie: Doris Dörrie)

Die für ihre Japanbegeisterung bekannte deutsche Regisseurin liefert einen typischen Autorenfilm, das heißt einen unverhüllt subjektiven Blick auf das Leben. Daraus wurde ein Film der Behutsamkeit, der leisen Töne, der zärtlichen Bilder. Das ist das Resümee, wenn man aufsteht und sich die Augen trocken reibt. Ein Film auch des Staunens und der Überraschung, weil man sich fremd in der Fremde fühlt und fremd auch in der Heimat, da und dort intensiv zu Verständnis aufgefordert.

Ein älteres Ehepaar in einem bayerischen Dorf, das von der kalten Hand des Schicksals – das macht sich immer gut – berührt wird, als die Frau das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung ihres Mannes erfährt: Er hat nur noch kurze Zeit zu leben. Davon weiß er selbst nichts. Die rührende Hingabe der Frau wird von ihm als selbstverständlich genommen, und ihr Wunsch, gemeinsam mit ihrem Mann noch einmal eine große Reise zu machen, stößt bei ihm auf Unverständnis. Zu den Kindern nach Berlin fahren sie – und werden enttäuscht. Die Kinder kennen mich sowenig wie ich die Kinder kenne, konstatiert der Mann. Die Sehnsucht der Frau, nach Japan zu fliegen, um den Fuji zu sehen, stößt auf Ablehnung, obwohl dafür spricht, dass sie den in Tokio lebenden Sohn wiedersehen könnten. Die schon lange ersehnte Fahrt an die Ostsee bringt nur Belanglosigkeit und den Wunsch des Mannes, wieder daheim zu sein. Plötzlich erlaubt sich dann das Schicksal den üblen Scherz, die Frau sterben zu lassen und nicht den Ehemann, den Moriturus.

Der Mann reist nach Tokio und wohnt bei seinem Sohn, einem Angestellten, der kaum eine freie Stunde hat. So muss er auf eigene Faust die neue Umwelt erkunden. Er läuft in mitgebrachten Kleidungsstücken seiner Frau herum, um ihr auf diese Weise die Welt zeigen zu können, nach der sie sich gesehnt hatte. So bietet er ihr auch das Quasi-Erlebnis des Kirschblütenfestes Hanami, dieses urjapanischen Symbols des Vergehens und des Wiederkommens. Dann freundet er sich in einem Park mit einer maskierten jungen Frau an, die selbstverloren in einem endlosen Ausdruckstanz mit dem Telefon den Verlust ihrer Mutter zu überwinden sucht. Die Maskierte lehrt ihn, mit seinem Schatten zu tanzen. Er entdeckt, dass seine freundliche Helferin in den für ihn so schwierigen Alltagsdingen – ringsum nur unverständliche japanische Schriftzeichen – eine der vielen Obdachlosen ist und in einem primitiven Zelt lebt. Weil er seinem Sohn nicht länger zur Last fallen will, fährt er mit seinem Koffer und seiner jungen Freundin zum Fuji. Sie bekommen ein gemeinsames Zimmer in einem typischen japanischen Hotel, einem Ryokan, doch ändert das nichts an ihrem klinisch reinen Verhältnis. Tagelang bleibt der Fuji in Wolken versteckt. Als der Mann aus Bayern in einer schlaflosen Nacht dann endlich den Fuji sieht, stirbt er.

In subtilen Kleinigkeiten, auch einmal makaber mit einer Kehrschaufel, zeigt der Film, wie ganz anders man in Japan mit dem Tod umgeht. Trauerarbeit, mal vor dem Tod des Partners, mal nach seinem Ableben, das ist die Thematik dieses Films. Und seine Quintessenz ist die Ermahnung: Wir können unseren Lieben nichts Gutes mehr tun, wenn sie tot sind, tun wir es also lieber, solange sie leben. Ein guter Rat, der allerdings aus dem 19. Jahrhundert stammen könnte, als die Zeitschrift „Gartenlaube“ das Leib- und Magenblatt des Bürgertums war, obwohl er da schon nicht mehr neu war. Wieso er heute so aktuell ist, dass ein Film mit dieser Aussage mit Steuergeldern gefördert werden musste, bleibt eine offene Frage. Wie penetrant muss diese Thematik in dem Förderungsantrag geklungen haben, dass die Auguren gnädig gestimmt wurden. Aber das ist Kritik an der bundesdeutschen Filmförderung und nicht an diesem Film.

Keine Frage, der Film hat Längen, und er hätschelt die Klischeevorstellungen, die wir im Westen von Japan haben. Er will sie partout nicht stören. Man hat den Eindruck, dass das japanische Fremdenverkehrsministerium hinter dem  Film sichtbar wird. Zum Ausgleich wird mit einem Bildband der Hundert Ansichten des Fujiyama von Hokusai ein geschickter Rückgriff auf große Kunst geboten. Doch beeindruckt der Film gleichzeitig durch eine hervorragende Regie, durch exzellente Kameraarbeit und eindrucksvolle darstellerische Leistung. Nur irritiert, dass er einerseits die familiären Verhältnisse in Deutschland durchweg negativ darstellt, dass aber andererseits in dem Moloch der japanischen Hauptstadt dem so naiven wie unternehmungslustigen Fremden kein Härchen gekrümmt wird. Beides ist so einseitig gesehen und deshalb so unglaubhaft, dass man diesen schönen Film getrost als Schwarz-Weiß-Film bezeichnen kann – für den schneebedeckten Fuji wie für die Kirschblüten hätte diese überkommene Technik sogar gereicht.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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