Wir Wunderkinder

(Wir Wunderkinder, D 1958, 107 Minuten, Regie: Kurt Hoffmann, Liedertexte: Günter Neumann, Musik: Franz Grothe, Drehbuch: Heinz Pauck nach dem 1957 erschienenen gleichnamigen Roman von Hugo Hartung)

Fräuleinwunder und Wirtschaftswunder, das waren die Blechorden, die den Westdeutschen nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg angeheftet wurden. Diese Stehauf-Männchen galten dem Ausland als Wunderkinder, dabei waren sie nicht wenig stolz auf ihre hart erarbeitete Aufbauleistung und auf den Vater des Wirtschaftswunders, den Professor und Wirtschaftsminister Ludwig Ehrhard, der sie mit einer neuen Währung aus dem Sumpf gezogen hatte.

Hugo Hartung (1902 – 1972) hat wie in seinem erfolgreichsten und mehrfach verfilmten Buch „Ich denke oft an Piroschka“ (1954) auch hier Elemente seiner Autobiografie eingebracht. War er selbst doch ein Opfer des Dritten Reichs. Ab 1936 hatte er Schreibverbot und fristete sein Dasein in innerer Emigration als Dramaturg an kleineren Bühnen.

Der in der jungen Bundesrepublik Deutschland sofort Furore machende und auch schon bald international ausgezeichnete Film „Wir Wunderkinder“ betrachtete den Aufschwung der Nachkriegszeit mit ironischer Distanz, indem er in einem schnellen Überblick die Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts skizzierte. Damit zeigte der Film, wie es zum Ab und Auf und Ab und wieder Auf in Deutschland gekommen war. Selbstverständlich sind auch ein paar rührende Liebesgeschichten eingewebt. Doch werden Krieg und Bombenterror sowie Judenverfolgung nur in homöopathischer Dosierung geboten.

Der gewaltige Tidenhub der Jahrhunderthälfte wird dargestellt an dem Schicksal eines Mannes, der als Junge noch den starren Prunk des Kaiserreiches erlebt hat, dann das Desaster der Weltwirtschaftskrise übersteht, dem lautstarken Auftreten des Nationalsozialismus sehr distanziert gegenübertritt, die Kriegszeit mit Mühe und viel Glück übersteht und danach den Verlockungen der Nachkriegszeit widersteht, die den Gewissenlosen die Türen zu ganz großen Karrieren öffnete.

Für diese Spezies von skrupellosen Mitmenschen steht als der Gegenspieler des Guten der Böse, so simpel ist hier die Schwarz-Weiß-Zeichnung. Dieser böse Zeitgenosse ist ein ehemaliger Schulkamerad, der es zu einer höheren Funktion in der Partei bringt, aber nach dem Ende des Nationalsozialismus nicht etwa am Boden ist, sondern als Schwarzhändler gute Geschäfte macht und sich sehr schnell zum einflussreichen Wirtschaftsführer mausert.

Die große gestalterische Idee des Films ist, das Ganze ins Kintopp-Milieu zurückzuverlegen und von einem Erzähler sowie einem Klavierspieler im Halbdunkel vor der Kinoleinwand begleiten zu lassen. So wird der Streifen zum Kommentarfilm, in einer pfiffigen Weise getextet und von bissigen Liedern begleitet. Womit die deutsche Geschichte zum Kabaretterlebnis wird. Damit erleidet diese Darstellung das Schicksal, das jede Kabarettaufführung trifft: Was als drastische Kritik von Möchtegern-Weltverbesserern gemeint war, wird zur amüsanten Abendunterhaltung. So unbefriedigend das ist, die meisten Menschen geben sich damit zufrieden. Und bei „Wir Wunderkinder“ ist es nicht nur die Belustigung, die uns einlullt, es ist darüber hinaus auch die Quintessenz des Films, die sich einem aufdrängt und dazu einlädt, die Hände in den Schoß zu legen und sich zu sagen: Du kannst es noch so gut meinen, den skrupellosen Opportunisten gehört die Welt.

Trotzdem ein Blick auf die Besonderheit der Sprache dieses Streifens: Text und Bild der Kommentare sind so synchron geschnitten, dass die Bildhaftigkeit der Sprache unübersehbar wird. Da werden der Zylinder immer mehr, nämlich in den Händen von Spalierstehenden und in den großkalibrigen Autos, und da geht einem der Hut hoch. Als am Ende der Wirtschaftskapitän versehentlich in einen wegen Reparaturarbeiten leeren Fahrstuhlschacht stürzt, resümiert der Kintopp-Kommentator: „ … ist verschieden. Aber Verschiedene seines Schlages leben weiter. So viele Fahrstühle können ja auch gar nicht repariert werden.“ Das war eine Gagmethode, die mit ihrer Direktheit Satz für Satz überraschte, die dem heutigen Betrachter des Films aber auch die Zeitgebundenheit der Sprache ins Bewusstsein bringt. Derart platt Wort und Bild in Übereinstimmung zu bringen, das wäre heute nicht mehr möglich. Hat doch zwischenzeitlich eine andere Variante der Sprachgags, die mit AKW-Nee und ähnlicher Scheinpoesie daherkam, unser Gehör empfindlicher gemacht. Sprache wurde zur Waffe im politischen Kampf. Bis auch das nicht mehr genügte, weil es nichts bewegte, und die Sprachbeherrscher die Schreibmaschine gegen die Maschinenpistole eintauschten. Doch das war das Deutschland der 68er und nicht mehr das des alten Hugo Hartung und seines Films über den wunderbaren Aufstieg.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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