Jud Süß

(Jud Süß, D 1940, 98 Minuten, Regie: Veit Harlan, Drehbuch: Veit Harlan und Eberhard Wolfgang Möller nach einem ersten Entwurf von Ludwig Metzger, unter Verwendung von Motiven der gleichnamigen Novelle von Wilhelm Hauff)

Ein Spielfilm, der im Auftrag des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels gedreht wurde und, weil er als antisemitischer Hetzfilm eingestuft wird, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland nicht aufgeführt werden darf, wohl aber in Österreich und der Schweiz. In Deutschland ist eine Aufführung dieses sogenannten Vorbehaltsfilms nur erlaubt, wenn sie in geschlossener Veranstaltung mit fachlicher Kommentierung stattfindet. So jetzt (im Jahre 2008!) geschehen im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart, wo eine Filmhistorikerin uns Filmenthusiasten, die sich einige Monate vorher namentlich und mit voller Adresse anmelden mussten (gläserne Kinobesucher), vor der Aufführung und hinterher ausführliche Erläuterungen zum Film bot. Sonderbar, solche Restriktionen habe ich bei Shakespeares „Kaufmann von Venedig“, der einen Juden mindestens ebenso drastisch zeichnet, noch nie erlebt. In Stuttgart musste der mündige Bürger es hinnehmen, dass er nur als ein Höriger akzeptiert wird. Und auch das musste er hinnehmen: Der uns angeblich in Originalversion gezeigte Film war um 8 Minuten gekürzt. Was weggefallen war, wurde nicht gesagt.

Dafür erfuhr man immerhin, dass in den zwölf Jahren des Dritten Reichs in Deutschland über 1.000 Spielfilme produziert wurden, von denen nur gut 150 als Propaganda- oder Hetzfilme anzusehen sind. Die wichtigsten antisemitischen Hetzfilme waren neben „Jud Süß“ die im selben Jahr hergestellten Filme „Der ewige Jude“ und „Die Rothschilds“ sowie die schon ein Jahr zuvor gedrehte Komödie „Robert und Bertram“. Die deutsche Filmwirtschaft hatte damals eine erstaunlich hohe Produktivität entwickelt, obwohl sie zunächst einen gewaltigen Aderlass zu überstehen hatte, nämlich die Auswanderung bzw. Vertreibung der meisten und renommiertesten Filmschaffenden. Denn bevor die Nationalsozialisten strenge neue Reglementierungen sowie die Reichsfilmkammer schufen, die nur noch Nichtjuden zum Zuge kommen ließen, waren gut 40 % aller Drehbuchautoren Juden, fast 50 % aller Regisseure ebenfalls, und sogar 86 % aller Produktionsfirmen waren in jüdischen Händen.

Der Film behauptet in einem vorangesetzten Textdia, es handle sich um historische Tatsachen. Was nur insoweit wahr ist, als es die Hauptfigur, diesen jüdischen „Finanzienrath“ Joseph Süß Oppenheimer gegeben hat, der 1698 in Heidelberg geboren wurde, als Hofjude in Stuttgart zum Finanzier und engsten Berater des Herzogs Karl Alexander von Württemberg aufstieg und nach dessen frühem Tod wegen der rücksichtslosen Ausbeutung der Bürger verurteilt und 1738 hingerichtet wurde.

Damit ist auch schon der Inhalt des Films skizziert, wenn man sich noch eine Liebesstory des Juden mit einer Christin dazudenkt, die zur Vergewaltigung und zum Gang der Verzweifelten ins Wasser führt. Die Frau wurde von Kristina Söderbaum gespielt, der Ehefrau Veit Harlans, die im Dritten Reich als Reichswasserleiche bespöttelt wurde, weil ihr Mann ihre Rollen mehrfach so feucht enden ließ.

Die historische Figur Joseph Süß Oppenheimer wurde in der Literatur derart phantasievoll drapiert, dass es heute schwierig ist, Fakten und Fiktion zu unterscheiden. Selbst der vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg herausgegebene Katalog zu Film und Begleitausstellung „Jud Süß“ gibt wortreich wenig Aufklärung, schon gar nicht zu der Frage, ob der Hofjude sich an christlichen Frauen vergriffen hat oder nicht. Stattdessen erfährt man, dass es in Stuttgart einen kleinen und wenig ansehnlichen Platz gibt, der nach Joseph Süß Oppenheimer benannt wurde.

Die berühmtesten der zahlreichen literarischen Bearbeitungen des Stoffes sind die schon 1827 erschienene Novelle „Jud Süß“ von Wilhelm Hauff (1802-1827), von der einige wenige Motive im Film wiederzufinden sind, sowie der außerordentlich erfolgreiche, erst 1925 erschienene historische Roman „Jud Süß“ des assimilierten Juden Lion Feuchtwanger (1884-1958), der allerdings für den Film keinerlei Verwendung fand. Ihnen vorausgegangen waren kritische Bemerkungen über einen Finanzrat, der Ehrenstellen verkauft und auch als Kuppler für seinen Herrscher gedient habe, aber nicht mit Namen genannt wurde. Diese Hinweise fanden sich in dem Drama „Die Räuber“ (Erstaufführung 1782) von Friedrich von Schiller (1759-1805). Sie wurden von seinen Zeitgenossen als Charakterisierungen des Juden Süß Oppenheimer verstanden.

Das Drehbuch dieses Films hat seine eigene vielsagende Geschichte. Ludwig Metzger hatte schon in den 1920er Jahren ein Drehbuch „Jud Süß“ geschrieben, das sich stark auf die Novelle von Wilhelm Hauff bezog, die durchaus mitfühlend gegenüber den Juden geschrieben ist. Dieses Drehbuch reichte er bei Goebbels ein. Durch dessen Bearbeiter Eberhard Wolfgang Möller verschwand aber fast alles, was auf Wilhelm Hauff zurückging. Der Regisseur Veit Harlan ging dann ebenfalls sehr eigenmächtig mit dem Möllerschen Drehbuch um, das ihm in weiten Teilen nicht genügte. Dazu nahm er Meyers Konversationslexikon zur Hilfe, wie er in seinen Memoiren zugab. Das ist umso erstaunlicher, als dieses Lexikon kommentierend über die Kritik schrieb, die sich der Finanzdirektor Süß zugezogen hatte: „Obwohl S. nur den Willen seines Herrn ausführte und dabei durch viele Staatsbeamte unterstützt wurde.“ Außerdem benutzte Veit Harlan die durchaus sachliche Darstellung des Hoffaktors Süß aus dem Buch „Die großen Diebe“ von Alfred Semerau und Paul Gerhard Zeidler, 1927 erschienen. Aber er zog auf Anraten von Joseph Goebbels als weitere Information auch das Pamphlet „Von den Juden und ihren Lügen“ von Martin Luther heran.

Im Film wird der Jude Süß als absolut gewissenlos und raffgierig dargestellt, der das Land in wirtschaftliche Schwierigkeiten treibt und schließlich auch noch eine nichtjüdische Frau vergewaltigt. Für diese Rassenschande wird er gehenkt, und zwar nach einem „Reichsstrafgesetzbuch“, das es zu jener Zeit noch nicht gegeben hat, das vielmehr erst den damals erlassenen Gesetzen der Nationalsozialisten zum Schutz des arischen Blutes entspricht. Die Filmemacher sind wohl davon ausgegangen, dass diese Geschichtsklitterung den Zuschauern nicht auffällt. Merkwürdigerweise haben sie auch darüber hinweggesehen, dass der Jude Süß von Fall zu Fall nur durch die unsinnig verschwenderischen Wünsche des Herzogs Karl Alexander nach Schmuck für seine Frau, nach einer eigenen Oper, einem eigenen Ballett und einer Ehrengarde sowie nach mehr Soldaten zu der das Volk auspressenden Raffgier getrieben wurde. Man vertraute offenbar darauf, dass die Zuschauer auch dieses nur indirekte Schuldigwerden nicht erkennen würden. Und eine Chance zur Generalisierung ihrer Vorwürfe haben die Produzenten erstaunlicherweise nicht wahrgenommen: Die jüdischen Hoffaktoren waren in vielen mitteleuropäischen Residenzen des 16. bis 18. Jahrhunderts die eigentlichen Machthaber, weil sie die Mittel hatten, die Verschwendungen und Kriege der Fürsten zu finanzieren. So hätte man beispielsweise als Parallele den anderen berühmt-berüchtigten Hofjuden erwähnen können, nämlich Veitel H. Ephraim (1703-1773), der dem preußischen König durch immer weiter vorangetriebene kriminelle Münzverschlechterung zu den nötigen Mitteln für seine Kriege verhalf und als sein wichtigster Mann in dem prächtigen Ephraim-Palais residieren durfte, das wiederaufgebaut heute ein Schmuckstück Berlins ist.

Fast scheint es, als ob der gehässigen Intention des Auftraggebers Joseph Goebbels kleine Widerstände entgegengebracht worden wären. So könnte man zumindest die überwiegend sympathische Darstellung des Juden Süß durch den Schauspieler Ferdinand Marian sehen, für die es in den Kinosälen zuweilen spontanen Applaus gegeben haben soll. So auch könnte man es deuten, dass der eigentliche Fiesling des Films nicht der Jude, sondern der kindisch von seinen Wünschen besessene Lüstling Karl Alexander ist. Der Film „Jud Süß“ ist somit auch als Absolutismus-Kritik zu verstehen, was gegen die Devise verstieß: Ein Volk, ein Führer. Erst recht kann man eine sublime Widerstandshandlung darin sehen, dass die Juden, die von Werner Krauß gespielten wie auch die echten, in diesem Film nicht mit den abscheulichen Physiognomien ausgestattet sind, wie sie permanent in dem Hetzblatt „Der Stürmer“ von Julius Streicher gezeigt wurden. Werner Krauß hatte die mehrfach von Goebbels geforderten falschen Nasen abgelehnt, weil sie seine Mimik zu sehr beeinträchtigen würden.

Der Auftraggeber Joseph Goebbels war trotz allem mit dem in nur drei Monaten Drehzeit produzierten Film sehr zufrieden. Er hatte persönlich dafür gesorgt, dass der beinahe versöhnliche Schluss des Films – der zum Tode verurteilte Jude Süß ergibt sich in stoischer Haltung in sein Schicksal – durch einen Schluss ersetzt wurde, in dem der Verurteilte um sein Leben fleht und sogar noch Geld anbietet, um sich freizukaufen. Selbst um den Schnitt kümmerte sich der Propagandaminister noch. Hinterher sorgte er dann dafür, dass der Film von rund zwanzig Millionen Menschen in Deutschland und in den besetzten Gebieten gesehen wurde. Mit einem Einspielergebnis von 6,2 Millionen Mark wurde er einer der größten kommerziellen Filmerfolge der Kriegszeit. Im Zusammenspiel mit Heinrich Himmler hatte Goebbels es auch ermöglicht, den Film allen SS- und Polizei-Einheiten, nicht zuletzt den Wachmannschaften der Konzentrationslager vorzuführen. Damit sollte jedes schlechte Gewissen bei der grausamen Behandlung jüdischer Menschen ausgeschaltet werden.

In etlichen juristischen Bewertungen dieser Tendenz bei Verfahren nach dem Krieg gegen den Regisseur Veit Harlan und die Hauptdarsteller Ferdinand Marian (als Süß) und Werner Krauß (fünf verschiedene Juden darstellend) sowie Heinrich George (als der Herzog) haben die Angeklagten sich als Nicht- Antisemiten und als von Goebbels mit unwiderstehlicher Gewalt zu dieser Mitwirkung gepresst dargestellt, was sie nur mehr oder weniger glaubhaft machen konnten. Letztlich aber konnte den Filmemachern nicht vorgeworfen werden, dass sie mit ihrer Arbeit eine Schuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten auf sich geladen hätten, weil eine  Kausalität nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Erst viel später wurde bekannt, dass der Vorsitzende Richter des Veit-Harlan-Verfahrens am Landgericht Hamburg ein ehemaliger Nationalsozialist war. Mehr als Verhaftungen und Anklagen und anschließendes Berufsverbot sowie 5.000 Mark Geldstrafe für Werner Krauß ist den Darstellern des „Jud Süß“-Films nicht widerfahren, nur Heinrich George kam in das von den Sowjets geleitete Internierungslager Sachsenhausen, das ehemalige KZ, wo er 1946 bei einer Operation starb.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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