Tanz auf dem Vulkan

(Tanz auf dem Vulkan, D 1938, 80 Min., Regie: Heinz Steinhoff)

Ein Ausstattungsfilm, ein Musikfilm, eine Huldigung an einen großen Schauspieler namens Debureau, gespielt von Gustaf Gründgens. Ein Film, der alles brachte, was das Kinovolk liebt. Dabei war das Thema mehr als brisant. Und man reibt sich verwundert die Augen, wenn man das Entstehungsdatum dieses Films liest: 1938.

Der Publikumsliebling im Paris des Jahres 1830 verfaßt Spottgedichte auf den unpopulären französischen König, die er heimlich drucken und verbreiten läßt. Nach einer seiner begeistert aufgenommenen Aufführungen flattern sie vom Balkon des Theaters in den Zuschauerraum hinab. Gleichzeitig konspiriert der Schauspieler mit dem Neffen des Königs, Louis Philippe, der beim Volk beliebt ist, um ihm auf den Thron zu verhelfen. Das paßt zu dem Lied, das er zu seinem Markenzeichen und zum Gassenhauer werden läßt: „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da, die Nacht ist da, daß was passiert …“ Schließlich läßt der Schauspieler sich dazu hinreißen, seine Aufrufe zum Sturz des Königs in einer seiner Aufführungen direkt und ungeschützt ins Publikum zu schreien. Daraufhin wird er verhaftet, wegen Umsturzversuchs verurteilt und zum Schafott geführt. Doch unmittelbar vor der Hinrichtung durch die Guillotine beginnen die Pariser Bürger Barrikaden zu bauen, und der König flieht ins Ausland. Vom Schafott aus kann der Schauspieler die Bevölkerung von Paris mit seinem Lied zum allgemeinen Aufstand aufstacheln. Die Julirevolution rast. Der Schauspieler ist frei, und der allseits beliebte Louis Philippe wird neuer König.

Es soll Schwierigkeiten mit der Zensur gegeben haben, heißt es. Aber der Film wurde doch freigegeben. Weil es um ein Werk ging, das den Erbfeind Frankreich lächerlich machte. Und weil das Ganze satirisch verpackt war. Das ist naiv.

Wenn man von der Zensur kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs spricht, dann muß man ihren Namen nennen: Joseph Goebbels. Der allgewaltige Propagandaminister Hitlers bestimmte ganz allein, was in die Kinos kam und was nicht. Und daß dieser Revolutionsfilm auf die Leinwand kam, darf nicht als ein Fehler des Joseph Goebbels gesehen werden, damit würde man den Mann unterschätzen, der mit einer geradezu teuflischen Intelligenz gesegnet war. Man muß sich fragen, welche Spekulation dahinterstand, daß Goebbels diesen Film die Zensur passieren ließ.

Die Frankreich-Verunglimpfung und die Satire, schön und gut. Auch wurde überhaupt nicht gezeigt, warum der französische König Karl X. unbeliebt war. Das heißt, ein Herrscher, selbst wenn er der Gegner ist, bleibt für die Darstellung sakrosankt. Auch gab es im Deutschen Reich keine Alternative à la Louis Philippe zum Alleinherrscher Adolf Hitler, für den sich das Kinopublikum hätte begeistern können. Zur Vorsicht wurde aber auch noch die zeitgenössische Verulkung des feisten Louis Philippe als Birne aufgewärmt. Zusätzlich wurde er mit dem Utensil Regenschirm lächerlich gemacht, das als Kennzeichen des britischen Premiers Chamberlain tagtäglich karikiert wurde. Aber reichte das allein, den gefährlichen Stoff akzeptabel werden zu lassen?

Es ist sicher nicht übertrieben, Joseph Goebbels eine Raffinesse zuzutrauen, die der gleichkommt, die viel später, nämlich in den Jahren 1956 und 1957 Mao Tse-tung gezeigt hat, als er die Kampagne startete: „Laßt hundert Blumen blühen!“ Mit der Verkündung ganz neuer Liberalität lockte er die kritischen Köpfe seines Landes hinter dem Ofen hervor, die glaubten, sie könnten nun wirklich einmal ihre Meinung offen aussprechen – und dafür prompt einen Kopf kürzer gemacht wurden. Durchaus möglich, daß Goebbels mit dem Film „Tanz auf dem Vulkan“ einen ähnlichen Effekt hervorrufen wollte. Das Regime fühlte sich im Jahre 1938 sicher wie nie zuvor und danach. Da konnte man ein solches Experiment starten.

Einen Ausstattungsfilm, einen unterhaltsam gemachten historischen Streifen als ein satanisch politisches Experiment deuten? Überschätzt man damit nicht die Filmbegeisterung des Propagandaministers Joseph Goebbels? – Nicht, wenn man bedenkt, daß die Geschwister Scholl und ihre Freunde fünf Jahre später nach exakt diesem Muster ihre heimlich vervielfältigten Flugblätter von der Galerie der Münchner Universität hinabsegeln ließen und dafür unters Henkerbeil kamen.

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