Sturmhöhe

(Wuthering Heights, USA/GB 1998, 113 Minuten, Regie: David Skynner, Drehbuch: Neil McKay nach dem gleichnamigen Roman von Emily Brontë)

Ein Film nach einem Roman der Pfarrerstochter Emily Brontë (1818-1848), der zehnmal ins Deutsche übersetzt und noch viel öfter verfilmt wurde, auch zur Oper und zum Musical verarbeitet wurde. Was ein Hinweis darauf sein könnte, dass dieser Roman überragend ist. Was aber auch umgekehrt bedeuten kann: Die Geschichte ist so unvollkommen, dass man immer wieder neu sich bemühen muss, sie zu perfektionieren. Fest steht: Der 1847, also ein Jahr vor dem Tod der Autorin unter dem Autoren-Pseudonym Ellis Bell erschienene Roman ist damals beim britischen Publikum nicht gut angekommen. Doch für die Literaturgeschichte gilt er als eine der wichtigsten Veröffentlichungen der viktorianischen Zeit, und er wird in vielen Ländern auch heute noch gern gekauft und gelesen. Dabei entspricht er nicht den heute geltenden Normen für erfolgversprechendes Lesefutter. Weder sind die Personen eindeutig festgelegt als gut, schlecht, eifersüchtig, hingebungsvoll und so weiter, noch ist die weibliche Hauptperson fehlerlos, unbeschädigt, wie man heute sagt, also die ideale Identifikationsfigur für die weibliche Leserschaft. Man könnte sagen: Der Roman ist veristisch, weil er keine Figur zeigt, die ungeschmälert angenehm und sympathisch ist. Wo gibt es die denn auch? Aber einfach nur vorgeführt zu bekommen, wie schnöde und problematisch das Leben ist, ergibt kein Vergnügen und keinen Genuss. Das erklärt die ablehnende Haltung der zeitgenössischen Leserschaft gegenüber dieser unangenehmen Geschichte.

Ein von der Straße aufgelesener kleiner Junge wird durcheinen gutmütigen alten Trottel in eine Familie aufgenommen, die auf einem abseits gelegenen Landgut lebt. Der Waisenknabe Heathcliff wächst zusammen mit Cathy, dem etwa gleichaltrigen Töchterchen des Hauses, auf. Die beiden werden im Lauf der Zeit ein Liebespaar, so begeistert voneinander, dass es seine Liebe für ein untrennbares Band hält. Doch als sich Cathy die Chance bietet, die Ehefrau des reichen und kultivierten Edgar Linton zu werden, sagt sie ja. Ihre Begründung, sie würde sich bei einer Verbindung mit dem viel niedriger stehenden Heathcliff selbst erniedrigen, hört Heathcliff zufällig. Sie brennt sich so in sein Bewusstsein ein, dass er sich zu einem menschenfeindlichen Monster wandelt. Er schafft es nicht, Cathy aufzugeben, nicht einmal als sie über der Geburt einer Tochter stirbt. Zuletzt buddelt er nach Jahren der Sehnsucht die Leiche der Cathy noch aus. Ob das nun das misstönende Hohelied der wahren Liebe ist oder eher eine Erklärung dafür sein soll, wie das Böse in die Welt kommt, das soll hier dahingestellt bleiben. Man muss ja nicht gerade von den zwar von Büchern umgebenen und im Dichten wetteifernden drei Brontë-Schwestern, die in der Einsamkeit eines Pfarrhauses in Yorkshire wohlbehütet waren, die Enträtselung der letzten menschlichen Geheimnisse erwarten. Zudem geht es hier um den Film und nicht um den Roman selbst.

Ein Action-Film mit viel kahler Landschaft, vergeblichem Glücksstreben, mit viel Gewalt und Erschrecken. Ein Streifen, der einen ratlos zurücklässt. Und doch muss man dankbar sein für diesen Film, der einem vor allem eins zeigt: Es ist ein fataler Irrtum zu glauben, man könne sich die Lektüre eines Buches sparen, indem man seine Verfilmung auf dem heimischen Fernsehschirm oder im Kino genießt. Zumindest in den meisten Fällen ist das ein Irrtum. Hier wird ein Beispiel geboten für die Verluste, die man sich damit einhandelt, ohne es zu bemerken.

Der Roman war überraschend modern für seine Zeit und ist es sogar noch bis heute, weil die Autorin eine raffinierte Konstruktionsidee hatte: Um den bis dahin üblichen allwissenden Erzähler zu vermeiden, hat sie den Roman von zwei Personen erzählen lassen, die Randfiguren sind und vorher nichts miteinander zu tun hatten. Dabei erzählt das eine Ich, der neue Pächter, nicht nur seine eigenen Eindrücke und Überlegungen, sondern auch, was ihm das andere Ich, das der Haushälterin, erzählt hat. Also zwei Ich-Erzählungen desselben Ereignisses. Das hätte der Film mit betont unterschiedlicher Kameraführung oder durch den Unterschied von schwarz-weiß zu farbig darstellen können. Hat man aber nicht für nötig gehalten. Stattdessen wird einige Male das Tagebuch der weiblichen Hauptfigur ins Spiel gebracht, weil die Zuschauer diesen Hinweis auf eine interne Sichtweise kennen und sich damit stets zufrieden geben.

Während der Roman die beiden erzählenden Randfiguren sehr geschickt durch ihre Sprache individuell zeichnet, in einer unbedingt modern zu nennenden Art, bringt der Film bloß wilde Aktionen. Dabei fällt im Roman der neue Pächter, der zu einem unangemeldeten Höflichkeitsbesuch auf die Sturmhöhe kommt, durch seine leicht ironisch distanzierte Sprache auf, die Haushälterin durch ihre Naivität und Menschenfreundlichkeit. Die Vielzüngigkeit der Autorin ist ein Kunstgriff für Genießer.

Wer jedoch glaubt, die einige Tage währende Lektüre des Romans durch den nicht einmal zwei Stunden langen Film ersetzt zu bekommen, ist kein Genießer, eher ein Banause. Zwar gelten beide Kunstformen, der Roman wie der Film, als epische Darstellungsweisen, doch ist der Roman an ein totales Nacheinander gebunden, jedem Satz folgt ein nächster, während der Film viel Nebeneinander darstellen kann, beispielsweise das Interieur eines Raumes und das Aussehen sowie die Äußerungen der Personen, die sich gleichzeitig in diesem Raum aufhalten. Was ein großer Vorteil des Films zu sein scheint, ist in Wahrheit sein Nachteil. Müssen sich Interieur und Personen und ihre Äußerungen doch in jedem Moment die Aufmerksamkeit des Betrachters teilen, der nicht mehr als hundert Prozent zu bieten hat. Dabei wird nicht einmal gerecht geteilt, also gedrittelt, denn das Bild tritt herrischer auf als die Sprache.

Auf eine Faustformel gebracht hat der Film den Titel „Sturmhöhe“ auseinander gerissen und nur den Sturm dargestellt, während er die Höhe dem Roman überlassen hat.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

Dieser Beitrag wurde unter Filmbesprechungen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.