(Dorian Gray, GB 2009, 108 Minuten, Regie: Oliver Parker, Drehbuch: Toby Finlay nach dem Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde)
Der Film, immerhin der siebte von inzwischen neun Verfilmungen des Romans, bemüht sich, der literarischen Vorlage gerecht zu werden, das heißt maßstabgenau, wenn auch gekürzt, das Bild der englischen Gesellschaft wiederzugeben, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben und 1890 erstmals veröffentlicht wurde, und zwar als Fortsetzungsroman „The Picture of Dorian Gray“ in „Lippincott’s monthly magazine“. Also zeigt der Film die grenzenlose Bewunderung der feinen Gesellschaft für die natürliche Schönheit des jungen Dandys namens Dorian Gray, kontrastiert das ein wenig mit dem Elend der hoffnungslos dahinvegetierenden armen Unterschicht sowie mit der brutalen Skrupellosigkeit der Genussmenschen und schließlich auch noch mit der abstoßenden Scheußlichkeit des von Reue gepackten ehemaligen Schönen. Alles sehr drastisch gebracht, nur haben die Filmemacher übersehen, dass sie für ein Publikum arbeiten, für das die ignorante Welt des Snobismus wie auch der hoffnungslos Armen gut hundert Jahre zurückliegt. Sinnvoll gewesen wäre ein Hinweis – zumindest in einem Vorspruch – auf die damalige Zeit unter der Herrschaft der Baumwolle, des Frühkapitalismus, der Endzeitstimmung.
Wie der reiche Lord Henry Wotton, im Film nur immer Harry genannt, mit seiner überlegen elitären Attitüde und den sarkastisch spitzen Bemerkungen über Gott und die Menschen den wohlerzogenen und arglosen Erben eines großen Vermögens, den jungen Dorian Gray zum rücksichtslosen Leben eines Hedonisten verführt, das dürfte für die Jugendlichen von heute kaum noch glaubhaft sein. Weil es den verführbaren Arglosen nicht mehr gibt. Unsere Jugend ist von kindauf durch die unendlichen Weiten des seichten Wassers von Presse, Film und Fernsehen gewatet, daher mit allen Varianten der Verführung vertraut. Und sie ist mit derart viel unterhaltsam servierter Brutalität aufgewachsen, dass selbst ein so betont blutrünstig gemachter Film nichts Besonderes mehr ist.
Die damals aufregende Geschichte: Der schöne Jüngling Dorian Gray willigt ein, dass der Maler Basil Hallward ihn porträtiert. Und er ist hinterher so beeindruckt von seinem Bild, das er so gern betrachtet – ein Nachfahre des Narziss, der sich im Wasser gespiegelt sieht –, dass er den Wunsch äußert, das Gemälde möge statt seiner altern. So verständlich das ist – und so unmöglich, bei Oscar Wilde wird es möglich, weil es mit der Intensität eines Gebets ausgesprochen wurde und so was wie ein Vertrag mit dem Teufel ist. Trat bisher Harry, der Verführer, als eine Art Mephisto in Erscheinung, so bekommt nun Dorian Gray durch seinen unfrommen Wunsch etwas Faustisches. Dass er gegen Ende der Geschichte auch noch Harrys Tochter zu einer Art deutschem Gretchen macht, treibt die literarischen Anklänge auf die Spitze. Doch anders als Faust will Dorian Gray nicht Erkenntnisse sammeln, sondern bloß Sinnengenüsse aller Art. Die Menschen des Fin de siècle waren halt bescheidener als die Menschen des Mittelalters, die noch das faustische Streben verstanden hatten. Zur Zeit Oscar Wildes erinnerte man sich vermutlich auch noch an die einfache Methode der alten Israeliten, sich von Schuld und Makel zu befreien: Man wälzte diese seelischen Lasten auf einen Esel oder ein Maultier ab, dem man mit einem Messerstich in die Kruppe den Befehl gab, mit diesen Lasten davon zu rennen, um in der Wüste zu verenden. Statt des Tiers ein Gemälde, das alle Schuld und jeden Makel auf sich nimmt, wie praktisch. Was für eine Idee!
Das Nur-Noch-Genießen des Dorian Gray fordert seine Opfer, angefangen mit der Selbsttötung der ersten Geliebten, einer naiv gutgläubigen Schauspielerin. Der Genießer leistet sich in den folgenden zwanzig Jahren alle Laster, wird sogar zum Mörder, als er den Maler ersticht und die Leiche verschwinden lässt. Denn der Maler wollte das Bild für eine Ausstellung ausleihen. Doch hatte Dorian Gray erste Anzeichen von Veränderungen an seinem Gemälde entdeckt und es deshalb auf dem stets verschlossenen Dachboden seines Hauses versteckt. Schließlich kann er den wortlosen Vorwurf nicht mehr ertragen, den sein Bild ihm mit der immer deutlicher gezeigten Fäulnis macht, die sein ausschweifendes Leben ihm eingebracht hat. In einem Anfall von Wut zerstört er das Gemälde. Womit er sein eigenes Leben zerstört. Dadurch plötzlich mit allen Verfallserscheinungen zu einem Monster von Hässlichkeit geworden, stirbt er, während das Gemälde als das Bild des strahlend schönen jungen Mannes neu entsteht.
So fremd uns heute die Welt vom Ende des 19. Jahrhunderts erscheint, irrationale Phänomene wie Ichaustritt und Persönlichkeitstausch sind uns vertraut, weil sie zu der Fantasy-Welt gehören, die uns tagtäglich von geschäftstüchtigen Produzenten geboten wird. Was das eigentlich Erstaunliche dieses Films und des dahinter stehenden Stücks Weltliteratur ist, das ist der erhobene Zeigefinger des Autors Oscar Wilde, der hinter der schaurigen Geschichte nicht zu übersehen ist: Sowas tut man nicht! Sich das klarzumachen ist wichtig, damit man nicht dem Irrtum verfällt, die köstlich sarkastischen Äußerungen des Verführers Harry, ein Aphorismus schöner als der andere, seien die Meinung des Autors. Ein im Hintergrund aufleuchtetendes moralisierendes Moment des Films wie auch des Romans – wer hätte das von Oscar Wilde gedacht, dem Dandy und Genießer, der damals auf dem Gipfel seiner Erfolge war?
Der 1854 in Dublin geborene Autor, der in Dublin, Oxford und London studiert hatte, war schon früh erfolgreich mit ironisch seine Zeit kritisierenden Erzählungen und Komödien sowie kunstvollen Märchen. Sogar so erfolgreich, dass er Vortragsreisen durch England und Amerika machte. Er war ein typischer Vertreter der Dekadenz seiner Zeit, ein Snob und Dandy. Was alles gut ankam bei seinen Zeitgenossen. Doch 1895 wurde er, weil als Homosexueller entlarvt, zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Auch diese Zeit, in der er unter den unmenschlichen Zuständen der britischen Justiz gelitten hat, ist von ihm zu Literatur gemacht worden. Aber nach diesen zwei Jahren war er ein gebrochener Mann, der vergeblich versuchte, in Paris einen neuen Anfang zu machen. Er starb dort verarmt im Jahre 1900 mit gerade erst sechsundvierzig Jahren.
Was soll man abschließend zu dieser Umsetzung von Literatur zu einem filmischen Schauerstück sagen? – Hoch lebe die Literatur!
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)