Schiffsmeldungen

(The Shipping News, USA 2001, 105 Minuten, Regie: Lasse Hallström, Drehbuch: Robert Nelson Jacobs nach dem gleichnamigen Roman von E. Annie Proulx)

Das längst kein literarisches Geheimrezept mehr ist: Ein Versager als Protagonist kommt beim Publikum immer gut an. Weil man sich klüger und geschickter vorkommen darf und sich dabei sauwohl fühlt.

Hier ist der negative Held ein unsicher und gehemmt auftretender Mann, der von seinem Vater mit übertriebener Härte erzogen wurde, aber nichts gelernt hat und auf eine Frau hereinfällt, die schnell allen Spaß an ihm verliert und es mit vielen anderen Männern treibt. Dann begehen seine Eltern gemeinsam Selbstmord, und seine Frau verunglückt mit dem Wagen. Der Witwer mit seiner kleinen Tochter wird von einer Tante dazu bewegt, mit ihr nach Neufundland zu ziehen, wo die Familie herkommt und wo im Abseits noch ihr wetterzerzaustes Haus steht. Verschrobene Typen, Aberglaube, Erinnerungen an traumatische Erlebnisse und ungewohnte Arbeit als Lokalreporter erschweren das Leben des Versagers und seiner zwei weiblichen Familienmitglieder. Doch ringt er sich am Schluß des Films zu der positiven Aussage durch: „Es gibt so vieles, was ich nicht weiß. Wenn eine verknotete Schnur Stürme auslösen kann und ein Ertrunkener wiederaufersteht, dann kann auch ein gebrochener Mann geheilt werden.“

Ein Resümee, mit dem der Kinobesucher nachhause geschickt werden kann. Er hat einen unterhaltsamen Film gesehen, mit vielen sehr eindrucksvollen Landschaftsaufnahmen aus der Wetterwildnis Neufundlands und vielen kuriosen Typen. Und er lächelt glücklich über den Tölpel, der nicht schwimmen und auch sonst nichts kann, siehe oben. Alles in allem also ein perfekter Film.

Einen Film mit dem Buch zu vergleichen, nach dem das Drehbuch gestrickt wurde, ist immer unfair. Erst recht die Forderung nach inhaltlicher Korrektheit der Verfilmung. Macht das Buch einem doch nicht nur ein paar schöne Stunden, sondern eine ganze Menge schöner Stunden, wenn nicht sogar einige schöne Tage. Hier stehen bloße 105 Filmminuten den fast 400 Seiten des Buches gegenüber. Also eindeutig eine andere Gewichtsklasse. Und auch die Zielgruppen beider Medien sind verschieden. Und doch – wenn der Film den Buchtitel übernimmt, dann fordert er den Vergleich direkt heraus:

Dabei fällt zunächst auf, daß der Hauptdarsteller nicht so häßlich und unförmig ist, wie im Buch. Eine Konzession ans Publikum, die man als geschickt bezeichnen muß. Dazu ist er im Film ursprünglich nur Hilfsarbeiter in der Druckerei und noch kein Reporter, was seine späteren Schwierigkeiten akzentuiert. Und die oft ausufernde Geschichte von der Heimkehr nach Neufundland, die für ihn keine Heimkehr ist, wird gekonnt eingedickt. Ein packendes Changieren zwischen aktuellem Erleben, Erinnerungen und Albträumen. Dabei begnügt sich der Film mit einer Tochter statt mit zweien, wie in der Vorlage. Schließlich ist auch der Ausklang verständlicher und positiver als im Buch.

Was aber daran liegt, daß die Autorin (1935 in Vermont geboren) sich um eine künstlerische Darstellung bemüht hat. Und nicht nur bemüht. Sie hat ein Kunstwerk geschaffen, das mit recht den National Book Award und den Pulitzerpreis erhielt. Sie reißt einen mit ihrer ekstatischen Sprache von Seite zu Seite weiter, mit einer Sprachgewalt, die begeistert. So daß man schließlich dem Filmproduzenten dafür dankt, daß er einen mit diesem schönen Film dazu verführt hat, das 1993 in New York und 1995 in der deutschen Übersetzung von Michael Hofmann erschienene Buch aus dem Regal zu nehmen und nach Jahren des Vergessens noch einmal zu lesen. Das ist die geglückte Aufhebung des Antagonismus von Buch und Film: der Kinofilm wird zum Trailer des Buches.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

Dieser Beitrag wurde unter Filmbesprechungen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.