Robert Harris: Pompeji

Die Legende von einem Mann und einer Frau

(Robert Harris: Pompeji, Roman, aus dem Englischen von Christel Wiemken, Heyne-Taschenbuch, München 2005, 380 Seiten, € 8,95)

Pompeji, das ist die Einmaligkeit, wie Menschen in ihrem verzweifelten Bemühen zu überleben von einem plötzlichen Tod überrascht und als Gußformen für die Nachwelt konserviert wurden, und zwar am 24. und 25. August des Jahres 79. Deshalb steht dieser Name für das natürliche Bedürfnis zu erfahren, wie die letzten Tage, Stunden und Minuten dieser Menschen verlaufen waren. Ein Bedürfnis, das durch die Ausgrabungen in Pompeji und Herculaneum am Leben gehalten wird, wo die Pracht und Lebensgier der Menschen in den römischen Provinzstädten zutage tritt, bis hin zu den grausamen Gladiatorenkämpfen und den Praktiken in den Bordellen. Genauso aber auch durch Ausstellungen der gefundenen Leichenabdrücke in den kuriosesten Stellungen und der oftmals nicht minder kuriosen Habseligkeiten, die sie zu retten versucht hatten. Nicht zu vergessen der 1834 erschienene Roman „Die letzten Tage von Pompeji“ des Engländers Edward George Bulwer-Lytton, der einer der Klassiker des historischen Romans ist.

Diesem Dauer-Bestseller einen weiteren Pompeji-Roman folgen zu lassen, dazu gehört Mut. Zumal das Handicap eines Romans zu diesem Thema ist, daß der Leser das tragische Endergebnis kennt, es also besonders schwierig ist, Spannung aufzubauen und zu halten. Da hilft nur der Rückgriff auf Einzelschicksale, die durch hitzige Feindseligkeit beziehungsweise durch ebenso hitzige Liebe miteinander verbunden sind. Harris greift wie sein Vorgänger Bulwer-Lytton zu diesem Kunstgriff. Dabei modernisiert er jedoch das Personal. Statt der intriganten Menschen, die mit Zauberei und Liebestrank arbeiten, läßt Harris die Prototypen des Wissenschaftlers, des Offiziers, des korrekten Staatsbeamten und des korrupten Unternehmers auftreten. Wobei er gleichzeitig an wissenschaftliche Befunde anknüpft, die er als Zitate über die Kapitel setzt.

Damit ist ihm die Aufmerksamkeit des Lesers sicher. Denn der erlebt das Ungeheure des Vesuvausbruchs aus verschiedenen Blickwinkeln. Da ist der historisch belegte Naturwissenschaftler, der diese Eruption in allen Einzelheiten beschrieben hat und dabei ums Leben kam, nämlich der römische Schriftsteller Gaius Plinius Secundus. Der Typ des absolut zuverlässigen Staatsbeamten ist der Wasserbaumeister Attilius, die eine Hauptfigur des Romans, der unerschrockene und stets gehorsame Offizier ist der Schiffskommandant Torquatus, der Typ des modernen Unternehmers wird vorgeführt mit dem ehemaligen Sklaven und reichgewordenen Grundstücksspekulanten Ampliatus, der die politischen Führer der Stadt in der Hand hat. Seine Tochter Corelia ist das gute Gegenstück zu dem korrupt-brutalen Mister Moneymaker und die andere Hauptfigur des Romans. Um die exakte Parallele zu dem Happy-End bei Bulwer-Lytton zu kaschieren, läßt Harris die Rettung von Attilius und Corelia nur als Legende aufscheinen, „von allen vernünftigen Leuten als Aberglaube abgetan.“ Daß der Ausdruck Aberglaube nicht zum römischen Reich paßt, wo man alles glauben durfte, kann man schlucken.

Das Buch schildert die nicht rechtzeitig verstandenen Vorzeichen und die Katastrophe selbst in einer Ausführlichkeit, die einen als Leser oftmals denselben Wunsch spüren läßt, wie die Betroffenen: Wäre doch endlich alles vorbei. Doch entlohnt einen dann die dem Plinius untergeschobene resümierende Überlegung für die viele investierte Lesezeit, wenn Harris den Lesern von heute ins Gästebuch schreibt: „Die Menschen verwechselten Messungen mit Verstehen. Und sie mußten sich immer in den Mittelpunkt allen Geschehens stellen. Das war ihr größter Dünkel. Die Erde erwärmt sich – es muß unsere Schuld sein! Der Berg vernichtet uns – wir haben die Götter nicht besänftigt! Es regnet zu viel, es regnet zu wenig – es ist tröstlich zu glauben, daß diese Dinge irgendwie mit unserem Verhalten zusammenhängen, daß, wenn wir nur ein bißchen besser, ein bißchen bescheidener lebten, unsere Tugenden belohnt würden.“ Eine Stellungnahme zur aktuellen Umweltpolitik, die überrascht, die dem Buch aber auch ein bißchen Tiefgang gibt. Warum sollte ein Autor von heute, der für Leser von heute schreibt, nicht das Recht haben, auch in einem historischen Roman etwas über das Heute zu sagen. Gegen die üblichen Hilfsmittel zum Eskapismus anschreiben. Denn nur so wird der historische Roman zu mehr als einem Mittel der Weltflucht.

Doch sollte das eifrige Bemühen des Autors, dieses Buch als Informationsmedium erscheinen zu lassen, durch die antiken Zeitangaben, durch die Aufführung von wissenschaftlicher Literatur und durch ein umfangreiches Register von Leuten, denen der Autor sich zu Dank verpflichtet fühlt, einen nicht irritieren. „Pompeji“ ist ein höchst unterhaltsames Buch – wie jeder Bericht über eine große Katastrophe, die einen selbst nicht erwischt hat.
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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