Dan Brown: Sakrileg

Das Lied der Göttin

(Dan Brown: Sakrileg. Thriller, Lübbe-Verlag, Bergisch Gladbach 2004, aus dem Amerikanischen übersetzt von Piet van Poll, Originaltitel: The Da Vince Code, 605 Seiten, gebunden € 19,90)

Prangte nicht das Wort Thriller groß auf dem Schutzumschlag, hätte ich mir das Buch schon früher vorgenommen. So aber mußten erst zwei Leserinnen mich darauf aufmerksam machen, daß es sich um ein ernstzunehmendes Thema handelt. Es geht um die Verdrängung des weiblichen Elements und die Verteufelung des Geschlechtlichen durch das Christentum. Daß die christliche Theologie schamlos traditionelle Göttinnen herabgewürdigt und umgemodelt hat, ist ja bekannt. Auch, daß die Verdammung des weiblichen, erdhaften Prinzips durch die Kirche für die Menschen des christlichen Abendlandes wie des muslimischen Morgenlandes bis heute einen großen Verlust darstellt.

Die Tradition der vorchristlichen Göttinnen und das Andenken an Maria Magdalena, die Frau an Jesu Seite, aber in den Schatztruhen der Templer aufbewahrt zu sehen und mit der uralten Suche nach dem heiligen Gral gleichzusetzen, ist ein literarischer Einfall, der fasziniert und sehr viel hergibt. Schon durch die Vielzahl der gegeneinander kämpfenden Interessenten: Vatikan und Opus Dei, Geheimbündler, fanatischer Aufklärer und ehrgeiziger Wissenschaftler, Kunstenthusiast, hündisch gehorsamer Mönch, Bankier, Kriminalpolizei und anhängliches Familienmitglied. Zumindest die Hauptfiguren sind so plastisch dargestellt, vor allem durch den inneren Monolog, daß man nicht von einem simplen Krimi oder einem Kolportageroman sprechen kann.

Die Schauplätze sind attraktiv gewählt: Paris und London. Neben den zahlreichen Beispielen von Codierungstechniken und ihrer Entschlüsselung sowie Hinweisen auf modernste Computertechnik und dem massenhaften Handyeinsatz stehen erstaunliche Bildinterpretationen, die Begegnung mit altehrwürdiger und hochmoderner Architektur sowie viele kulturhistorisch aufschlußreiche Zitate und ihre Deutung. Das eine erinnert an die 007-Romane, das andere an Ecos „Der Name der Rose“. Die durchweg kurzen Kapitel sind höchst einfallsreich mit Action und mit geistreichen Dialogen bestückt und schon drehbuchmäßig im Cross-Cutting-Verfahren gegeneinandergesetzt, dabei so gut wie immer mit Cliff-Hanging-Effekt endend.

Also ein eminent geschickt gemachtes Buch, leckeres Lesefutter, das keiner lobenden Worte bedarf. Die sind eher nötig zur Ermunterung auch der anspruchsvolleren Literaturinteressenten, das Buch trotz der blutrünstigen Aufmachung, der Bezeichnung als Thriller und des zeitraubenden Umfangs zu lesen. Es lohnt sich durchaus. Wenn man dabei auch über die gelegentlichen sprachlichen Schnitzer der Übersetzung hinwegsehen muß sowie darüber, daß der Übersetzer offensichtlich nicht wußte, wie man jambische Verse wiedergibt. Dafür wußte der Autor um so besser, wie man Erinnerungen als dramatische Rückblicke reizvoll macht und wie man die Schilderung eines orgiastischen Begattungsrituals lange hinausschiebt und sie dann so kurz und sachlich bringt wie alles andere.

Im letzten Kapitel hat der Autor die sich selbst gestellte Aufgabe zitiert: „Singen Sie das Lied der Göttin. Die Welt verlangt nach modernen Minnesängern.“ Nun wissen wir, die Minnesänger haben ihre Verehrung der angebeteten hohen Frouwe stets überzogen. Und die Abenteuer, die sie ihr zu Ehren gesucht und bestanden haben, kommen uns Heutigen, Enkeln des Miguel de Cervantes, mit recht etwas albern vor. Der Autor aus Neuengland hat den sich selbst gegebenen Auftrag ausgeführt. Dan Brown ist ein Minnesänger von klassischem Format.
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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