John von Düffel: Hotel Angst

Mann mit Eigenschaften

(John von Düffel: Hotel Angst, Erzählung, dtv München, Juni 2007, 110 Seiten, € 7.50)

Der eine literarische Trick fällt sofort auf: Bei der zwangsläufig allem kreativen Schreiben vorausgehenden Entscheidung zwischen dem Erzählen in der ersten oder der dritten Person Einzahl wählt der Autor die ungewöhnliche Variante, dass er sich selbst anspricht, mit einem kleingeschriebenen Du.

Der andere literarische Trick ist weniger originell: Wie bei vielen modernen Erzählern üblich, ist der Anfang des Buches sehr gut (beispielsweise „Der Butt“ von Günter Grass), alles andere aber nur noch akzeptabel. Düffels schmales Buch beginnt mit der Schilderung einer gemeinsamen Autofahrt der Familie Mitte der siebziger Jahre nach Bordighera an der italienischen Riviera, und das in so konzisen und doch einfallsreichen Formulierungen – das erinnert an André Heller -, dass man sich als Leser auf mancher Seite veranlaßt sieht, Unterstreichungen zu machen. Das derart Hervorgehobene hört sich dann so an: „In Karawanen von Wohnwagen und Bussen Schlangenlinien abwärts, Felsklüfte im Seitenfenster, spärliche Leitplanken zwischen dem Abgrund und dir, ansonsten nur Berg und daneben das Nichts.“ Oder: „Der Po ein Rinnsal unter der Sonne, mehr Flußbett als Fluß.“ Oder: “Am Straßenrand Tramper von der traurigen Gestalt.“ Oder. „Oleander auf dem Mittelstreifen, blühende Büsche, die hängenden Gärten der Küstenautobahn.“ Oder: „Alles klingt dumpf, gedämpft, wie eingeschneit unter der lautlos herabrieselnden Dämmerung.“ Oder wo er seinen Vater, der fährt, und die daneben sitzende Mutter beschreibt: „Er ist auf einen einzigen Punkt konzentriert, ein Mönch im fortgeschrittenen Stadium der Meditation, einsgeworden mit dem Motor, der Bewegung. Er hat seine sterbliche Hülle hinter sich gelassen. Mit einer sanften Berührung, mit auf der Rückbank kaum hörbaren Einflüsterungen bringt deine Mutter ihn dazu, die nächste Ausfahrt zu nehmen. Die Landschaft verlangsamt, die Stille legt einen anderen Gang ein.“ Oder wenn von den Prominenten auf alten Fotografien die Rede ist: „Menschen, deren historische Bedeutung du nicht kanntest, die es aber im Stillhalten zu äußerster Meisterschaft gebracht haben mussten, denn nie war einer von ihnen verwischt oder verwackelt.“ Ein paar der „Höhepunkte“ dieses Textes. Was dem Autor aber offensichtlich noch nicht kunstvoll genug war, weshalb er sich in den nächsten Sätzen fast eine ganze Seite lang in eine Emphase hineinsteigert, die man schon als kitschig bezeichnen könnte – und die deshalb hier nicht zitiert wird.

Immerhin, meist zur einen, aber auch einmal zur anderen Seite hin seine Erzählung ungewöhnlich bemüht ausbauend, so serviert John von Düffel einen durchaus ansprechenden literarischen Text. Von Seite 5 bis auf Seite 20. Danach bringt er leider nichts Besonderes mehr. Es kommt nur noch nüchterner Bericht, kommt Reflexion, kommt so was wie der Kommentar eines Auslandskorrespondenten, kommen Erläuterungen, die aus einem Reiseführer stammen könnten, kommen schließlich Familieninterna, kommt Penetranz. Bis zum Ende des Buches nur noch abgegriffene Zeitungssprache mit den geläufigen Sprachklischees.

Da fragt man sich: Hat der Autor vielleicht für den Anfang dieser Erzählung einen Ghostwriter bezahlt? Und man fragt sich auch: Lesen die Lektoren des Deutschen Taschenbuch-Verlags und des DuMont Literatur und Kunst Verlags, wo diese Erzählung im Vorjahr erschienen war, bloß die Manuskriptanfänge?

Auf Seite 82, also gegen Ende des Buches, wird das große Projekt genannt, mit dem der Vater des Autors in seinen geheimen Arbeiten beschäftigt war. Er wollte einen Roman über das ehemals renommierte und nun verfallende Nobelhotel mit dem kuriosen Namen Angst schreiben. Doch blieb dieser Roman ungeschrieben. Zum Glück hat auch John von Düffel es damit gut sein lassen, nur die Möglichkeit zu erwähnen, selbst einen solchen Roman zu schreiben. Und er hat diese kleine Erzählung nicht als Roman bezeichnet. Sie ist nur ein ungewöhnliches Porträt des Vaters eines heutigen Autors geworden, liegt insofern im literarischen Mainstream. Dass dieser Vater ein genialer Connaisseur des Möglichen war, das er dem Wirklichen stets vorgezogen hatte, macht ihn sympathisch. Wenn das auch nichts Neues ist, erinnert es doch an den „Mann ohne Eigenschaften“ des Robert Musil, dessen Langatmigkeit hier gottlob vermieden wird.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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