Frederik Berger: Canossa

Empfehlenswert sogar als Schulbuch

(Frederik Berger: Canossa, Roman, Aufbau Taschenbuch-Verlag, Berlin 2006, 616 Seiten, 9.95 €, ISBN-10: 3-7466-2221-2)

Der ehemalige Journalist und Literaturwissenschaftler Frederik Berger, Mitglied des Autorenkreises historischer Roman „Quo Vadis“, zeigt mit diesem Roman, dass man den Schulstoff – wem wäre nicht noch der sperrige Begriff Investiturstreit im Gedächtnis – zum Erlebnis werden lassen kann, und das ohne in kolportagemäßige Geschwätzigkeit abzugleiten. Ob bei den Lesern Information und Deutung gewünscht ist oder seelische Erschütterung, krimiartige Spannung oder bloß die Chance zum Wegtauchen in eine frühere Zeit, dieses Buch erfüllt alle Erwartungen.

Es geht um das fränkische Adelsgeschlecht der Salier, das im 10. – 12. Jahrhundert die deutschen Könige stellte und wie damals üblich, heimatlos von Pfalz zu Pfalz und von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz zog, dabei seinen Mittelpunkt jedoch in Speyer sah. Der von ihnen erbaute Speyerer Dom, das größte romanische Bauwerk Deutschlands, wurde zu ihrer Grablege. Die Statuen der salischen deutschen Könige und Kaiser stehen im Park hinter dem Dom, für die Besucher der Stadt, die vom Rhein oder vom Hauptparkplatz kommen, nicht zu übersehen. Der Volksmund hat sich darauf seinen eigenen Reim gemacht: „Gäbe es in Speyer nicht die toten Kaiser und Könige, gäbe es in Speyer überhaupt kein Leben.“ Rheinischer Humor relativiert auf liebenswerte Weise den Nachruhm, für den die Großen gelebt und finassiert und gelitten haben.

Zur Handlung des Romans: Der spätere König und Kaiser Heinrich IV. wächst zusammen mit seiner vier Jahre älteren Cousine Mathilde von Tutzien-Canossa auf. Es ist der ungestüme Wille von Mathildes Mutter Beatrix, dass die beiden ein Paar werden. Eine Wahrsagerin bestärkt sie in dieser Hoffnung. Doch hat Heinrichs Vater, König Heinrich III., seinen Sohn aus machtpolitischen Erwägungen bereits mit einem anderen Mädchen, nämlich Bertha, verlobt. Als der Vater viel zu früh stirbt, kommt der Junge unter die strenge Fuchtel des Erzbischofs von Köln. Doch das Prinzip: Aus den Augen, aus dem Sinn, es funktioniert in diesem Fall nicht. Der junge König Heinrich IV. bleibt innerlich zeitlebens an Mathilde gebunden, die jedoch nie seine Frau wird. Denn als er in Rom auf die Scheidung von seiner Frau Bertha drängt, kommt es zum offenen Bruch mit der Kurie. Der starrsinnige Papst Gregor VII. will das Königtum nicht stärken sondern schwächen. Dabei geht es um den sogenannten Investiturstreit und die Zwei-Schwerter-Theorie, also das Recht zur Einsetzung der Bischöfe und Äbte, das die beiden Machthaber Papst und König sich gegenseitig streitig machen.

Der Roman schildert die Kindheit und Jugend des späteren Königs Heinrich IV. und kommt zu seinem Höhepunkt bei dem Aufeinandertreffen der beiden Kontrahenten vor der Burg Canossa, wo der Papst der Gast der heimlichen Geliebten des Königs, Mathilde, ist. Der Papst hat den König aus der Kirche ausgestoßen und gebannt. Für einen Herrscher damals eine verzweifelte Situation. Doch an drei eisigen Wintertagen des Jahres 1077 zeigt der junge König mit dem berühmt gewordenen Gang nach Canossa, dass er der Überlegene ist. Das wird bei Frederik Berger zu einem Leseerlebnis der besonderen Art.

Der Autor hat die erforderlichen allgemein schildernden Passagen als Notizen eines Mönchs und ständigen Begleiters sowie Beichtvaters der Königin eingefügt. Er schildert immer wieder aus den lange Zeit geheim gehaltenen Annalen des Lampert von Hersfeld. So kann sich der Autor zurücknehmen. Zudem eine geschickte Art der Vertiefung des Romans und ein reizvoller Kontrast zu den liebevoll ausgemalten Szenen und manchmal recht deftigen, dabei aber nie pornographischen Dialogen. Die Aussprache zwischen Mathilde und ihrer Mutter Beatrix am Ende des zweiten Teils beispielsweise ersetzt in ihrer ungeschminkten und dennoch kultivierten Offenheit ganze Reihen sogenannter Frauenliteratur. Deutlich wird dort und auch sonst immer wieder die Kongruenz von dynastischer Spekulation und simplem Züchterkalkül. Es geht stets nur um die Aufzucht des richtigen Nachwuchses, und es geht um das Abhängig- und Dankbarmachen nach allen Seiten hin. Damit lässt der Roman die Ähnlichkeit der mittelalterlichen Politik mit der vielbewunderten Äquilibristik eines Fürsten Bismarck deutlich werden.

Sogar die Schilderung von Wetterverhältnissen, die man in anderen Romanen gern überliest, kann bei Frederik Berger mehr sein als ein Zwischenschnitt, also bloß der Übergang zu einer anderen Szene oder die geschickte Verzögerung des Handlungsablaufs. Dafür ein Beispiel aus den Annalen des Mönchs Lampert von Hersfeld: „Frierend standen wir an den Zinnen, und der Morgen erwachte mit glasiger Dämmerblässe im fernen Osten. Der Mond hatte sich bereits verabschiedet, ein letzter, zart flickernder Stern schwamm im vergehenden Dunkel. Schon hörten wir die Rosse des Sonnengotts ungeduldig stampfen und wiehern. Sie stürmten los und ließen den Widerschein ihrer weißen Mähnen fliegen. Die Scheibe des Lichts schob sich über die schneebedeckten Hügel. Der König warf die Arme siegreich empor und begrüßte die Botin des gnädigen Herrschers mit einem Jubelschrei …“ Das ist Lyrik, in alte Sprache gebracht und in das Bewusstsein einer Zeit, als man Christliches und Heidnisches auf unschuldige Weise noch miteinander vermengt in sich trug.

Fazit: Dieses in seinen Hauptpersonen und historischen Fakten authentische Werk, in der zupackenden Art des Mittelalters geschildert und dabei mit reicher theologischer Kenntnis gespickt, fast möchte ich sagen: Es sollte als Schulbuch für den Geschichtsunterricht der Sekundarstufe 2 eingeführt werden.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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