Philippe Besson: Nachsaison

Passt

(Philippe Besson: Nachsaison, Roman, dtv premium, München 2007, 157 Seiten, 12.- €, 21.10 sFr, Titel der Originalausgabe: L’arrière-saison, aus dem Französischen von Caroline Vollmann)

Dass Romane nach Filmen geschrieben werden, dieser reziproke Kreationsprozess ist einem bereits geläufig. Aber dass ein Bild nicht bloß als Bildgedicht interpretiert, sondern sogar romanisiert wird statt dass ein Roman bebildert wird, das ist noch etwas Ungewöhnliches. Edward Hoppers (1882-1967) wohl berühmtestes Gemälde mit dem Namen „Nighthawks“, was soviel wie „Nachtschwärmer“ bedeutet, hat als Poster tagelang in der Wohnung des französischen Schriftstellers Philippe Besson gehangen und ihn zu dieser Geschichte inspiriert, so teilt der Deutsche Taschenbuch-Verlag mit. Dabei hat Besson sich allerdings einige Freiheiten erlaubt.

Das Bild zeigt drei Männer und eine Frau in einer recht kahlen und viel zu leeren Bar. Einer der Männer ist der Barkeeper, also der Neutrale, der quasi zur Einrichtung gehört, ein zweiter Mann sitzt neben der Frau an der Theke, der dritte den beiden gegenüber. Damit fordert das Bild die Phantasie heraus, sich eine typische Ménage a trois vorzustellen. Die schildert der Autor tatsächlich, aber mit verändertem Personal. Denn der andere Mann mit einer Beziehung zu der Frau tritt nicht auf, er bleibt hinter einem kurzen Telefonanruf verborgen. Dafür wird der Mann, der im Vordergrund mit dem Rücken zum Betrachter an der Theke sitzt, von Besson ignoriert. Für ihn hat er keine Verwendung. Was ja durchaus zur Wirtshausatmosphäre passt. Zwar lässt der Autor einmal für einen kurzen Aufenthalt einen alten und meist betrunkenen Fischer auftreten, der nach der Ausfahrt einen Absacker braucht, doch das kann nach der Beschreibung nicht der Mann im Anzug und mit Hut im Vordergrund sein.

Die zwei gescheiterten Beziehungen, die in gedanklichen Rückgriffen vorgeführt werden, sind nicht ungewöhnlich. Deshalb ist über das Was der Schilderung nichts zu sagen, allenfalls über das Wie. Zunächst einmal ist festzustellen: Zu der Stimmung, die das Hopper-Bild vermittelt, passt die Stille und Bedrücktheit, die der Autor schildert. Dazu passt auch, dass so gut wie nichts geschieht in diesem Roman, auch von den Figuren kaum einmal etwas gesagt wird. Man ist versucht, von einem Gegenentwurf zum Noveau roman zu sprechen, weil es keine Beschreibung von Gegenständen mehr gibt, nur noch die Beschreibung von Zuständen. Ein Buch voll von Unausgesprochenem, der sogenannten Mentalreservation, wie die Juristen das nennen. Der Autor war ursprünglich Jurist. Ihre, seine, dessen und des anderen Gedanken und Gefühle, Absatz für Absatz so nonchalant gegeneinander gesetzt, als wollte der Autor die albernen Verbote des Perspektivwechsels, mit denen man in Creative-Writing-Schulen die Leser vor Irritationen bewahren will, ad absurdum führen. Als wollte der Autor seinen Lesern gerade damit das Vergnügen bereiten, sich einmal total überlegen fühlen zu können. Das ist die Feier des allwissenden Autors, der seine Leserschaft ebenso allwissend macht. Und natürlich hat das seinen Reiz.

Der Autor protokolliert in diesem Buch permanent die Gedanken und Gefühle seiner Figuren, statt sie in Handlungen und in Worten deutlich werden zu lassen. Das wirkt zunächst plump, ist gelegentlich auch überflüssig, weil man schon verstanden hat, doch dann erkennt man: Das hat Methode – und es passt ja auch zu dem Status des Betrachters, den man gegenüber dem Hopper-Gemälde hat.

Im übrigen könnte man dieses ewige Psychologisieren bei einem Autor, der aus der Psychobranche kommt, als Geprägtheit oder Berufskrankheit verstehen und kommentarlos hinnehmen. Aber bei einem Juristen wirkt dieses Sich-Austoben auf berufsfremdem Terrain recht fragwürdig. Muss man sich doch eingestehen: Der psychologisierende Roman wurde schon von Dostojewskij zur Meisterschaft entwickelt, hier wird er auf die Spitze getrieben. Will der Autor damit Dostojewskij übertrumpfen? Oder will er nur der Tatsache Rechnung tragen, dass heute die Frauen die Leserschaft stellen? Wie auch immer, dieser kleine Roman kann durch seine kompromisslose Konzentration auf das Innenleben seiner Figuren fesseln, wenn er auch den Eindruck aufkommen lässt, dass der psychologisierende Roman damit den Zenit überschritten hat und dabei ist, sich aus der Literatur zu verabschieden.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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