Die Nacht des Leguan

(The Night of the Iguana, USA 1963, 118 Min., Regie: John Huston, nach dem gleichnamigen Theaterstück von Tennessee Williams)

Zunächst war da nur die Novelle im Jugendwerk des Tennessee Williams (1911-1983), daraus machte er den Einakter unter dem Titel „Ein Gnadenakt“, Ende 1961 fand dann am Broadway die Uraufführung des Stückes statt. Das peinlicherweise fehlende Genitiv-S am Ende des Filmtitels ist der 1962 erfolgten fehlerhaften Übersetzung des Schauspieltitels ins Deutsche anzulasten.

Ein Priester läßt sich auf der Kanzel zu einer gewaltigen Haßpredigt auf seinen ignoranten Gott hinreißen, den er einen senilen Delinquenten nennt, und auch auf die sensationslüsternen und mißgünstigen Kirchenbesucher. Was dazu führt, daß die erbosten Leute die Kirche verlassen und dem Priester ein Predigtverbot erteilt wird. Anlaß war eine Liebesaffäre, die bekannt geworden war. Soweit die Vorgeschichte, die der Film effektsicher an den Anfang stellt. Der Priester schlägt sich seitdem als Reiseleiter durch. Ein Bus voller Frauen bringt ihn auf einer Mexikoreise in Verzweiflung, weil sich die jüngste und attraktivste intensiv bemüht, den Reiseleiter zu verführen, und die energischste daraufhin den Veranstalter informiert und die Entlassung des Reiseleiters erwirkt. Der hat den Bus programmwidrig zu einem primitiven Strandhotel geführt, dessen lebenslustige Chefin er von früheren Besuchen her kennt. Sie nimmt die Reisegesellschaft auf. Als weitere Gäste kommen hinzu: ein uralter Dichter, fast blind und schwachsinnig, der von seiner Enkelin voller Hingabe betreut wird. Die beiden sind mittellos und schlagen sich mit ihren Schnellporträts und seinen Gedichtrezitationen durch.

Das ist das Personal, zwischen dem der verzweifelte geistliche Reiseleiter zerrieben wird. Bei seiner Haßpredigt hatte er noch von der Bibelstelle ausgehen können: „Wer keine Herrschaft über seinen Geist hat, ist wie ein Stadt, die auf hohlem Boden gebaut ist.“ Jetzt wird ihm klargemacht, daß der Mensch nicht nur die Herrschaft über seinen Geist braucht. Ist unser Geist doch gefangen in dem von Trieben und Bedürfnissen besessenen Körper. Zwischen der rücksichtslos verführerischen Attraktiven, der so selbstverständlich lebenslustigen Hotelfrau, der überlegen vernünftigen Schnellzeichnerin und seinem Gott hin und her gerissen, helfen dem als Priester wie als Reiseleiter Gescheiterten weder Alkohol noch Wutausbrüche noch ein Sprung ins Wasser. Der gevierteilte Mann muß sich entscheiden. Und wie er sich am Ende entscheidet, das läßt den Zuschauer zufrieden nachhause gehen: Man kann doch weiterleben.

Der Film spielt seine Überlegenheit gegenüber der Bühne voll aus, indem er die vielen Andeutungen des Stückes eindrucksvoll ins Bild setzt. Das Herumtappen des Verzweifelten mit nackten Füßen auf Glasscherben, ein klassischer Unschuldsbeweis oder auch ein Akt der Selbstkasteiung, hilft ihm nicht. Die Füße bluten. Und als der Reiseleiter, wegen seiner Wildheit gefesselt, in seiner Hängematte erwacht und tobend seine Befreiung verlangt, erinnert ihn die sanfte Schnellporträtistin daran, daß es Jesus am Kreuz noch viel schlimmer ergangen ist. Dann bindet sie ihn los. Der Leguan, die Rieseneidechse, die von den Mexikanern angebunden und gemästet wird, weil sie einen Leckerbissen darstellt, wird von dem Reiseleiter befreit. Er will Gott spielen und damit offenbar seinem Gott mit gutem Beispiel vorangehen. Der uralte Dichter, der Urweltechse schon sehr ähnlich, befreit seine Betreuerin schließlich durch sein stilles Sterben, nachdem er sein letztes Gedicht vollendet hat.

Tennessee Williams hatte das Kunststück geschafft, sein absolut düsteres Menschen- und Weltbild zu einem gern gesehenen Bühnenstück aufzubereiten. John Huston hat daraus, sogar in Schwarz-Weiß, vor der malerischen Kulisse Mexikos einen Augenschmaus zu bereiten verstanden.
(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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