Siddhartha

(Siddhartha, USA 1972, 85 Min., Regie: Conrad Rooks, nach dem gleichnamigen Roman von Hermann Hesse)

Ein Indien-Film, aber kein indischer. Filme aus dem Land der zahlenmäßig höchsten Spielfilmproduktivität sind im Westen selten zu sehen, weil es nicht reicht, die Sprache übersetzen und von Sychronsprechern neu intonieren zu lassen. Der besondere Reiz dieser Filme liegt in der nonverbalen Kommunikation, doch ist und bleibt die gesamte exotische Mimik und Gestik in ihrem festgelegten Ausdrucksreichtum dem westlichen Kinogänger unzugänglich. Deshalb eine amerikanische Produktion, mit indischstämmigen Hollywoodstars, also alles vordergründig und platt und für jedermann leicht verständlich. Was dabei von Indien geblieben ist, sind wunderschöne Landschaftsaufnahmen. Darüber hinsäuselnd eine permanente Musik in altindischer Fasson.

Fragen wir also lieber, was dabei von Hesses Roman „Siddhartha“ geblieben ist. Jedenfalls die Story selbst: Der indische Brahmanensohn Siddhartha trennt sich von der klösterlichen Gemeinschaft, in der er bei seinem Vater lebt, weil ihm die Gleichförmigkeit des Lebens in der Geborgenheit sinnlos erscheint. Begleitet von dem gleichgesinnten Freund Govinda geht er zu den Waldmönchen der Samanas, die in asketischer Überwindung des Ichs und im Drogenrausch das Geheimnis des richtigen Lebensweges sehen. Mit der Erkenntnis, daß es der falschen Wege mehrere gibt, ziehen die beiden jungen Männer weiter, bis sie Gotama Buddha begegnen. Govinda ist von dessen Lehre hingerissen und tritt seiner Gemeinschaft bei, Siddhartha jedoch hat für religiöse Wahrheiten nichts übrig und zieht weiter. Er lernt bei der schönen Kurtisane Kamala die Liebe und bei einem reichen Kaufmann das Geschäftemachen, ist schnell ein gemachter Mann und bleibt doch ein Suchender. Eines Tages wirft er alles hin und wird der Gehilfe eines Fährmanns. Später trifft er auf die sterbende Kurtisane, die ihm den gemeinsamen Sohn hinterläßt, der sich schnell als genauso aufsässig erweist und seinen Vater verläßt.

Viele schöne Sätze über die Flucht vor dem Ich, die Suche nach der Ruhe, die Absagung an das Begehren. Mit der Quintessenz, daß man in der Gegenwart leben sollte wie der Fluß, der immer neu und doch immer gleich ist und so weiter und so fort. Halt ein typischer Hesse.

Hermann Hesse (1877-1962) hat 1922, zehn Jahre nach einer Indienreise, diesen Indienroman herausgebracht. Einerseits als ein Stück Autobiografie, was die Aufsässigkeit und die Wegsuche und Drogenerfahrung betrifft, andererseits als ein spätes Produkt des Jugendstils mit seiner naiven Begeisterung für alles Natürliche und Ungeordnete. Mit diesem romantisch verquasten Mixtum Compositum wurde Hesse fünfzig Jahre später, seit 1946 mit dem Literaturnobelpreis versehen, in Amerika zum großen Guru der Hippiebewegung. Sein Roman „Siddhartha“ wurde neben seinen Romanen „Glasperlenspiel“ und „Steppenwolf“ zur Bibel der Blumenkinder. Die Aussteiger hatten ihren Heros gefunden, was Hesse schnell zum im Ausland meistgelesenen deutschen Autor gemacht hatte – und zum längst wohlsituierten Wohlstandsbürger. An diesem zweifelhaften Erfolg konnte auch der noch zweifelhaftere Hollywoodfilm nichts mehr kaputt machen.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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