Der Untertan

(DDR, 1951, 110 Min. Regie: Wolfgang Staudte)

Mach dir ein paar schöne Stunden, geh’ ins Kino, so lautet der Werbespruch der Filmwirtschaft, der uns den Film als etwas Momentanes empfiehlt. Aber Filme sind auch Zeitgeschichte, und Filme haben einen Vorlauf. In diesem Falle sogar einen besonders aufschlußreichen, weil das Drehbuch auf dem gleichnamigen Roman des aus Lübeck stammenden Schriftstellers Heinrich Mann basiert. Der war 1933 emigriert. Seine kritischen Romane schienen Wasser auf die Mühlen der DDR-Propaganda zu leiten. So verliehen die Ostberliner Kulturverwalter dem im fernen Kalifornien lebenden Autor, der einstens in Dresden eine Buchhändlerlehre absolviert hatte, im Jahre 1949 den neugegründeten Nationalpreis der DDR. Zudem lockten sie ihn mit der Absicht, ihn zum Präsidenten der Deutschen Akademie der Künste der DDR zu machen, wenn er nach Ostdeutschland heimkehren würde. Ein Angebot, das den Autor veranlaßte, die Rückkehr vorzubereiten. Doch starb der 78-Jährige dann in Kalifornien am 12. März 1950 noch vor Antritt der Heimreise.

Der bei der Ostberliner DEFA geplante Film nach seinem Roman sollte das Begrüßungsgeschenk für die prächtige Galionsfigur der DDR-Kulturbarke werden. Nur so ist zu erklären, daß dieser Film gegen die Ignoranz der Staatsmacht und gegen den Militarismus sowie gegen den Untertanengeist in einem Staat produziert wurde, der dabei war, gerade in dieser Hinsicht sogar noch das karikierte Kaiserreich zu übertreffen. Und Karikatur ist es, wie der Wilhelminismus in diesem Film gezeichnet wird. Hier wird das Preußentum nicht in Schwarz-Weiß-Zeichnung gebracht, sondern als Kohlebild. Von der Besetzung über die Ausstattung und Maske bis zur Gestik und Mimik, alles so bauernbühnenmäßig überzogen, daß man glauben könnte, der Film sei schon fürs Privatfernsehen gedreht worden. Eine Wohltat jeweils, wenn die Aktion vom Kommentar unterlegt ist, der statt der Drastik die herrlich süffisante Sprache eines großen Schriftstellers bringt.

Daß einem Könner wie dem Regisseur Wolfgang Staudte dieses Überziehen nicht versehentlich passiert ist, darf man unterstellen. Er hatte seine herben Enttäuschungen in der DDR-Wirklichkeit erfahren, stand auch schon in dem Ruf des Nestbeschmutzers. Zudem konnte Heinrich Mann sich nicht mehr wehren. Also mußte Wolfgang Staudte sich nicht zurückhalten, sondern konnte draufhauen. Mit seinem Film „Der Untertan” wurde er zum Kritiker der DDR-Verhältnisse. Dabei weisen ihn die wunderschönen Einfälle bei der Kameraführung und in der Montage als einen großen Karikaturisten aus. Daß der Film erst mit Verspätung und nur beschnitten in die westdeutschen Kinos kam und anfangs als DDR-Propaganda mißverstanden wurde, ist ein Witz für sich.

Das Beste an diesem Film ist – wie fast immer bei Literaturverfilmungen – das ihm zugrundeliegende Buch. Es wurde unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Fortsetzungen in der satirischen Zeitschrift „Simplicissimus” teilweise veröffentlicht, dann im Jahre 1916 nach dem Wegfall der Zensur erstmals ganz und in Buchform – in einem Privatdruck von zehn Exemplaren. Der Kleinbürger Diederich Heßling, dessen Lebensweg durch Schule, Studium und Militärdienst, Familiengründung und Status als Firmenchef und Lokalgröße in der Art des klassischen Bildungsromans geschildert wird, ist ein frühes Ekel Alfred. Besonders widerlich durch seine Devise: Wer treten will, muß sich treten lassen. Von Heinrich Mann als Typus der damaligen Zeit geschildert, kann diese Figur durchaus als ein Stammgast im menschlichen Panoptikum gesehen werden. Das heißt: Die Lektüre dieses Buches lohnt genauso immer wie die Lektüre der Molièreschen Charakterbilder.

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