Der Kaufmann von Venedig

(William Shakespeare’s The Merchant of Venice, GB/I 2004, 126 Minuten, Drehbuch und Regie: Michael Radford, als Adaptation der 1605 erstmals aufgeführten Komödie von William Shakespeare)

In Venedig wendet sich der junge Bassanio hilfesuchend an seinen besten Freund, den Kaufmann Antonio, weil er Geld braucht für die Werbung um eine reiche Schöne namens Portia, bei der Freier reihenweise antreten und abblitzen. Der Kaufmann Antonio ist zwar reich, aber im Moment nicht flüssig, denn sein Geld schwimmt in Form von vier Handelsschiffen auf den Weltmeeren. Um seinem Freund Bassanio dennoch zu helfen, will Antonio einen Kredit aufnehmen bei dem jüdischen Geldverleiher Shylock, über dessen amoralisches Geschäft er sich bisher immer wieder öffentlich aufgeregt hat. Zuletzt hat er ihm voller Verachtung ins Gesicht gespuckt. Der Jude ist nach einigem Zögern bereit, ihm den Kredit zu geben, und das sogar zinslos. Sollte die Rückzahlung jedoch nicht zum vereinbarten Zeitpunkt erfolgen, wolle er das Recht haben, ein Pfund Fleisch aus dem Körper des Kaufmanns herauszuschneiden. Diese Vereinbarung wird ihm schriftlich bestätigt.

Bassanio gewinnt das von Portias Vater festgelegte märchenhaft anmutende Auswahlverfahren und damit die reiche Portia. Gleichzeitig gehen die Schiffe des Kaufmanns Antonio eines nach dem anderen unter, so dass er plötzlich als ein armer Mann dasteht und den Kredit nicht fristgerecht zurückzahlen kann. Und die Rückzahlung der Schuld durch Bassanio statt Antonio lehnt der Kreditgeber Shylock ab. Er hält sich an seinen Schuldner Antonio, was sein gutes Recht ist. Als Shylock vor dem Gericht des Dogen von Venedig den Schuldschein präsentiert und das ihm zustehende Pfund Fleisch fordert, hat er das lange Messer und auch die Waage bereits dabei. Schon wird der Kaufmann Antonio auf einem Stuhl festgeschnallt, und seine Brust wird entblößt, damit der Jude sich das ihm zustehende Pfund Fleisch herausschneiden kann. Da tritt die schöne Portia, verkleidet als junger Rechtsgelehrter aus Padua, vor Gericht auf und schafft es mit Spitzfindigkeit und einem juristischen Winkelzug, dem besten Freund ihres Ehemannes das Leben zu retten. Mit dem Urteil des sich großmütig gebenden Dogen wird dem Juden, weil er einem Christen nach dem Leben getrachtet hat, sein gesamtes Vermögen genommen, und gleichzeitig wird er noch gezwungen, seinem Glauben abzuschwören und sich zum Christentum zu bekehren, wenn er sein Leben retten will.

Obwohl Shakespeare dieser Komödie den Titel gegeben hat „Der Kaufmann von Venedig“, ist der Kaufmann Antonio nicht die wichtigste Figur. In Wahrheit geht es um einen Wettkampf zwischen jüdischer und weiblicher Gerissenheit. Und aus diesem faszinierenden Zweikampf Shylock gegen Portia geht die Frau als Siegerin hervor, während der Jude am Boden zerstört zurückbleibt, plötzlich völlig mittellos, aus der jüdischen Gemeinde ausgeschlossen und von den Christen verachtet.

Dem Film ist eine Schrifttafel vorangesetzt, auf der es heißt, dass Antisemitismus im 16. Jahrhundert in Europa selbstverständlich war. Das ist der Versuch einer Absicherung gegen Klagen, der nicht wirksamer und sinnvoller ist als das Schild „Baden verboten“ am städtischen Baggersee. Angefügt ist dem Film eine Szene ohne Sprache, in der ein Mann in einem Boot steht und mit Pfeil und Bogen die Fische im Wasser zu treffen versucht. Das ist zu den oft absurden Methoden des Christenmachens, was nach Jesu Worten die Aufgabe seiner Apostel als Menschenfischer sein soll, ein Kommentar, der für sich selbst spricht. Die Schrifttafel vorneweg wie die angehängte Szene gehören nicht zu Shakespeares Stück, sie sind Beigaben der Filmemacher, die sich ansonsten an den Originaltext gehalten haben.

Shakespeare hat ein Thema ausgestaltet, das ganz ähnlich schon in mehreren mittelalterlichen Schriften dargestellt war, so auch in der Geschichtensammlung  „Gesta Romanorum“, die um 1300 entstanden war und das Fleischpfand-Motiv ebenfalls mit den hohen Kosten einer Brautwerbung verbunden hatte. Dabei ging es um die Eroberung der schönen Tochter des römischen Kaisers Lucius Aurelius Commodus durch einen liebestollen Ritter. Die Liebesleute sind beliebig austauschbar. Der Geldverleiher ist in der Literatur stets die Hauptfigur. Bei Shakespeare ist das der Jude Shylock. Tiefschürfende Bücher sind über Shylock geschrieben worden, beispielsweise von Ludwig Börne, Heinrich Heine, Hermann Sinsheimer und Dietrich Schwanitz. Das sture Beharren des Juden auf seinem Recht führte zu immer neuen Versuchen, das Sublime seines Rachebedürfnisses zu erklären, eines Strebens, das nicht zu dem Angehörigen einer gesellschaftlich missachteten Minderheit passte. Aus der zu seinem Volk gehörenden Dulderrolle auszusteigen und sich zum Herrn über Leben und Tod eines Christen aufzuschwingen, das war eine Ungeheuerlichkeit, für die man kein Verständnis aufbringen konnte.

Schon eher hatte man Verständnis für die Täuschung des Gerichts durch die verkleidete Portia und für die Willfährigkeit des Dogen als oberstem Richter, sich auf eine Rechtsbeugung einzulassen. Denn auf nichts anderes lief die wortreiche Argumentation der Portia hinaus, dem Juden sei das Vergießen auch nur eines Tropfen Blutes untersagt, denn vom Blut stehe nichts in der Pfandvereinbarung. Dabei hatte man dem Juden schon das Herausschneiden des Fleisches als rechtmäßig gestattet. Etwas anderes als Rechtsbeugung wäre das nur, wenn man darin schon den Übergang vom starren genormten Recht zur Betrachtung einer Vereinbarung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit sieht,   also zu der heute üblichen Inhaltskontrolle. Aber dazu war es noch viel zu früh.

Inzwischen gibt es eine umfangreiche Literatur zum sogenannten Fleischpfand. Die Verquickung von zivilrechtlichem Anspruch und strafrechtlich relevanter Vollzugshandlung wirft viele Probleme auf. Dabei wird u. a. festgestellt, dass es sich eigentlich gar nicht um ein Pfand handelt, weil ein Pfandrecht nur an dem ganzen Pfand erworben werden kann, nicht aber an einem unselbständigen Teil. Zudem dient ein Pfand immer der ersatzweisen Veräußerung, wozu ein Pfund Menschenfleisch nicht geeignet ist.

Was Shakespeares als Komödie auf die Bühne gebracht hat, war damals lustig, hat für unsere Zeit aber eher den Charakter einer Tragödie. Und doch ist sie schon mehrfach verfilmt worden, so 1914, 1969 und 1990. Der mit seiner Gewitztheit hereingefallene Jude ist offenbar ein Sujet, das ankommt. Diese neueste in prächtigen Bildern daherkommende Shakespeare-Verfilmung hat, weil sie sich an den Originaltext hielt, natürlich viel mehr als gute Unterhaltung und eine Portion Schadenfreude zu bieten. Hat sie doch ein höchst brisantes Thema aufgegriffen, für Juristen wie für Literaturwissenschaftler und Sozialwissenschaftler nach wie vor aktuell. Selbstverständlich wollte und konnte der Film diese Problematik nicht ausbreiten, doch hat er deutlich werden lassen, dass die Verhandlung vor dem Gericht des Dogen der Höhepunkt ist – und ein packender. Alles in allem ein Film, der ein Erlebnis ist. Nur schade, dass die Leute von heute, wenn man Shylock erwähnt, meist nur Sherlock verstehen und an ihren letzten Krimiabend mit Holmes denken.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de/category/filmbesprechungen)

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