604. Ausgabe


Die meisten Staaten Afrikas kommen nicht auf die Füße, weil ihre führenden Politiker alles falsch machen. Die meisten Staaten Europas fallen aus demselben Grund über ihre eigenen Füße. Immer deutlicher wird: Der rücksichtslose Überlebenswille von demokratischen Parteipolitikern ist dem rücksichtslosen Überlebenswillen von Potentaten durchaus ebenbürtig.

Wenn ich höre, wie die Heute-Sprecherin über die Aktienbörse redet, von freiem Fall und tief in den roten Zahlen faselt, was dann landauf und landab Zeitungsschreiber nachbeten, denke ich an die Emissionsrechte, die unsere Industrie kaufen muss, wenn sie Umweltverschmutzung betreibt. Man sollte Journalisten, die ohne alle Fachkenntnisse sind, genauso zwingen, sich Emissionsrechte zu kaufen, wenn sie Bewusstseinsverschmutzung betreiben wollen.

Weil in Berlin Nacht für Nacht Autos abgefackelt werden, ohne dass Täter gefasst werden können, kommt der Berliner Innensenator Körting nicht darum herum, sich die alte Kriminalistenfrage zu stellen: Wem nützt das? –  Klar nützt das den Autohändlern, die Ersatzfahrzeuge verkaufen können. Aber es nützt auch den Versicherern, die mehr teure Vollkaskoversicherungen abschließen können. Und es nützt den Journalisten, die damit besser über das nachrichtenarme Sommerloch kommen. Aber es nützt auch dem Innensenator selbst bei seinem permanenten Bemühen um einen höheren Etat und mehr Planstellen für Polizisten. Wen soll er nun als ersten verhaften?

Wir leben im Zeitalter der Umfragen, und oft werfen uns die Ergebnisse dieser scheinbaren Wissenschaft um. So jetzt eine Studie, die in den USA für Furore gesorgt hat. Da hat man als Umfrageergebnis die Durchschnittswerte errechnet: Frauen, die bis höchstens zehn Jahre Schulunterricht genossen hatten, haben mit 7,4 Männern geschlafen, Frauen mit mehr als fünfzehn Jahren Schulbildung haben dagegen nur mit 5,3 Männern geschlafen. Ohne sich mit der Frage nach der Kausalität aufzuhalten, zog man kühn den Schluss, es sei für eine junge Frau schädlich, mit mehreren Männern zu schlafen, da pro Sexualpartner das Risiko um 1,6 % steige, dass sie die Schule ohne Abschluss verlässt und deshalb schlechtere Zukunftsaussichten hat. Sogenannte Wissenschaft made in USA. Leider lässt sie die Frage offen: Macht Sex dumm oder sind die Dummen mehr sexy?

Sieht man in Fernsehfilmen oder auch im Restaurant und Hotel, welche Mühe Eltern aufwenden, um ihre stets fordernd auftretenden Kinder zufrieden zu stellen, versteht man, dass in der Presse bereits von der gewachsenen Verhandlungsmacht der Kinder im Haushalt die Rede ist. Die Sechs- bis Dreizehn-Jährigen haben im Durchschnitt rund 25 Euro Taschengeld im Monat, doch die Handyrechnung der Kinder zahlen meist die Eltern, die selbst solche Taschengeld-Dimensionen nicht gekannt haben. Die Eltern haben ganz selbstverständlich auch den eigenen Fernseher und den eigenen Computer der Kinder zu stellen. Verständlich, dass die meisten Paare dem eigenen Kind den eigenen Hund vorziehen.

Bei uns rückt das Heiratsalter immer näher an das Rentenalter heran. Frauen heiraten neuerdings erst mit durchschnittlich 30 Jahren, Männer sogar erst mit 33 Jahren. Vor vierzig Jahren lag das Durchschnittsalter der Heiratenden noch bei 23 und 26 Jahren. Wenn wir so weitermachen und alle vierzig Jahre sieben Jahre später den Bund fürs Leben eingehen, haben wir im nächsten Jahrhundert nur noch Ehefrauen, die jenseits des Gebäralters sind. Das wird Organisationen, wie Terre des Hommes, die auf Adoptionen spezialisiert sind, freuen.

Zu den untergegangenen Wörtern der deutschen Sprache gehört jetzt auch dieses Wort: sparen. Davon ist nicht mehr die Rede, weil unsere Politiker keine Ausgabenposten mehr finden, die man sich sparen könnte. Dabei wäre Otto Normalverbraucher ohne lange Überlegung in der Lage, etliche zu nennen. So die Reduzierung der Zahl der Bundesländer und der Bundesministerien jeweils auf die Hälfte, Abzug der noch in Bonn verbliebenen Ministerien nach Berlin, kleinere Dienstwagen für die Politgrößen, weniger Geld an Brüssel verlieren, Verzicht auf die Subventionierung der deutschen Autohersteller, Verzicht auf finanzielle Unterstützung für deutsche Banken, Verstärkung der Steuerfahndung, Einstellung der Entwicklungshilfe für China und für totalitäre Regime. Diese Liste ließe sich leicht verlängern. Aber in Demokratien ist für Politiker das Sparen immer ein Risiko, weil sie damit Wählerstimmen verlieren könnten. Sie geben lieber mehr Geld aus, auch nicht vorhandenes, denn Geldverteilen ist Machtausübung, und die lässt einen gut aussehen.

Die Verwertungsgesellschaft „Wort“ in München hat sich von Autoren die Berechtigung übertragen lassen, ihre Rechte gegenüber bestimmten Verwertern ihrer veröffentlichten Worte wahrzunehmen. Das ist eine komplizierte Definition, zugegeben, aber doch noch lange kein Grund dafür, dass die per Auftrag zur Wahrnehmung Berechtigte namens „Wort“ ihre Wahrnehmungsrechtgeber als sehr geehrte Wahrnehmungsberechtigte anspricht, wie das seit vielen Jahren geschieht. Wo so hartnäckig ihr und wir verwechselt werden, möchte ich mich als Wort-Berater bewerben.

Wer sich aufgeklärt geben will, schimpft auf die vielen dicken Geländewagen, die durch unsere Städte fahren und unnötig viel Sprit verbrauchen und Abgase produzieren. Aber niemand, der die Autoproduzenten darüber aufklärt, dass immer mehr Autokäufer immer größer sind, auch immer mehr von ihnen Probleme mit dem Rücken haben und dass es vielen deshalb nicht um immer mehr PS geht, sondern schlicht um bequemeres Ein- und Aussteigen ohne Verrenkungen in höher gebaute Autos.

Dass die Berufstätigkeit zum Familiennamen wurde, hat in Deutschland Tradition. Diese Namen begegnen einem auf Schritt und Tritt: Schmidt und Müller und Maurer genauso wie Bäcker, Fischer, Metzger und Bauer, auch Schreiner, Färber, Pflüger, Knecht und Schreiber trifft man zuhauf, und sogar Soldat und König gibt es, aber beispielsweise in einer Arbeiterstadt wie Ludwighafen am Rhein heißt kein Mensch Arbeiter. Das Arbeiten war offensichtlich noch nie besonders attraktiv.

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