Der Glücksritter vom Roten Meer

(Lettres de la Mer Rouge, F 2005, 100 Minuten, Regie: Eric Martin, nach den Aufzeichnungen von Henry de Monfreid)
Als ein fieberkranker junger Mann wird er liebevoll gesundgepflegt, was er seiner Pflegerin aber nicht dankt. Als ein unternehmungslustiger Mann, der das gekünstelte Leben der feinen Gesellschaft verachtet, zieht er hinaus in die fremde Welt Afrikas, um sich selbst und einen Sinn für sein Leben zu finden. Als ein gescheiterter Mann, wegen Schmuggels, Waffenhandel und Spionage zum wiederholten Male im Gefängnis, findet er nur mit Hilfe der Familienmitglieder, denen er davongelaufen war, den Weg zurück in die Freiheit und Heimat – und in die Literatur.

Das ist in drei Sätzen zusammengefaßt das Leben des Abenteurers und eifrigen Schreibers Henry de Monfreid  (1879-1974). Doch ist der Mann mehr als drei Sätze wert. Mit 32 ist der Lebensmittelchemiker der Firma Maggi aus dem bürgerlichen Leben ausgestiegen und von Elsaß-Lothringen nach Tschibuti und Abessinien gezogen. Mit seiner Ablehnung falscher Autoritäten und schnöder Geldgier und der Sklaverei eckt er überall an. Schon bald hat er selbst Sklaven, sind ihm Geschäfte wichtiger als sein Leben, wächst in ihm neben der Verachtung für die weißen Ausbeuter das Unverständnis für die Unzuverlässigkeit und Brutalität der Eingeborenen. Dann gerät er auch noch in die Verwicklungen der Weltpolitik, weil drei Jahre nach seinem Aufbruch in die Fremde der Erste Weltkrieg ausbricht. Die wahren Herren der afrikanischen Länder spielen ihre Macht aus. Ihnen ist der einzelne bei aller Cleverness und Geduld und Leidensfähigkeit rettungslos ausgeliefert. Hatte ihn sein afrikanischer Leibdiener noch manche Lebensweisheit erkennen lassen, und hatte ihn die gefährliche Konfrontation mit dem gottähnlichen Kaiser von Abessinien auch gezwungen, seine eigenen Grundüberzeugungen zu relativieren, die Sturheit militärischer Befehlshaben läßt ihn am Leben verzweifeln. Wer ihm in der ausweglosen Lage hilft und in wessen Arme es ihn schließlich treibt, das ist die eigentliche Überraschung des Films, der im übrigen durch das Schwelgen der Kamera in unbekannten Landschaften und im afrikanischen Leben mit seiner wilden Fülle begeistert. Alles so wunderbar fremd und bunt, wenn auch das Blut genau so rot ist wie bei uns. Fazit: Ein Abenteuerfilm, in dem nicht viel Wesentliches gesagt wird. Dafür bleibt dem Betrachter um so mehr zum Nachdenken.

Henry de Monfreid hat in den Jahren seiner afrikanischen Odyssee so viele und so umfangreiche Briefe an seine ehemalige Pflegerin Armgart geschickt, die aufsässige und ihm geistesverwandte Tochter des deutschen Statthalters in Straßburg, daß daraus ein großer Reisebericht entstand. Damit und mit zahlreichen weiteren Büchern, vor allem Reiseberichten, hat der Zivilisationsflüchtling und gescheiterte Sinnsucher sich in die Reihe der großen Reiseschriftsteller der Neuzeit eingeordnet, neben Pierre Loti, François René Vicomte de Chateaubriand, Robert Louis Stevenson, Rimbaud, Alexandre Dumas, Gérard de Nerval, Joseph Conrad und Lawrence von Arabien, nicht zu vergessen Mark Twain und Hermann Fürst von Pückler-Muskau oder Henri Michaux und Stendhal, um hier nur das Dutzend der bekanntesten anzuführen.

Im späten 18., im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert suchte man in der Welt der Wilden das wahre Leben zu entdecken. Das scheinbar unverfälschte, natürliche Leben. Das öffnete einem großen und begeisterten Publikum neue Fenster. Und es ließ sogar manchen Abenteurer zum geistigen Menschen heranreifen. Aber das hatte auch ganz andere Konsequenzen. Beispielsweise die neue Mode, die Eingeborenen ferner Länder im Zoo auszustellen und sie bei der Fütterung und bei typischen Tätigkeiten vorzuführen. Nicht nur Hagenbeck stieß damit auf große Begeisterung. Wissenschaftler begannen mit der Kopfvermessung der Wilden und kreierten eine höchst problematische Rassenlehre. Sehr oft brachte die Begegnung mit der Welt der Primitiven, wie man sie zu nennen pflegte, auch krasse Verachtung und Ablehnung hervor. Ein Phänomen, das so unvermeidlich zu sein scheint, daß man es heute noch an Entwicklungshelfern beobachten kann, die als engagierte Menschenfreunde hinausgehen und manchmal als zutiefst enttäuschte Helfer heimkehren und die Afrikaner voller Verachtung als Bimbos und Halbaffen bezeichnen. Sie haben es nicht verkraftet, daß anders nicht unbedingt besser heißt. Der Mensch, dieses Tier mit der hypertrophen Verstandesentwicklung, ist und bleibt da wie dort ein interessantes Ergebnis der Evolution, wird dieser Erde aber wohl nie als ein Schmuckstück dienen.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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