Babettes Fest

(Babettes Gaestebud, DK 1987, 105 Minuten, Regie: Gabriel Axel, nach einer Erzählung von Tania Blixen)
Deutsche Funkzeitschriften stecken den Film in die Schublade Komödie. Dabei ist das einzig Komische an ihm, daß die Freiwillige Filmselbstkontrolle (FSK), in der die christlichen Kirchen eine maßgebende Rolle spielen, ihn ab 6 Jahren freigegeben hat. Ansonsten ist das ein höchst ernsthaftes Stück Menschenbetrachtung. Und sogar noch etwas mehr. Die dänische Schriftstellerin Tania Blixen (1885-1962), die in Wahrheit Baronin Karen Christence Blixen-Finecke hieß, hat mit dieser Story eine Art Anti-Erzählung geschaffen.

In einem abgelegenen dänischen Fischerdorf an der Küste Jütlands führen die beiden Schwestern Martine und Filippa ihrem alten Vater den Haushalt. Er ist Propst, der Seelenhirte und unbestrittene Herr des Ortes. Er hat die Bewohner zu einer frommen pietistischen Gemeinschaft zusammengeschmiedet. Als ein Mann um die Hand der einen Tochter anhält, bekommt er die ablehnende Antwort des Muster-Egoisten zu hören: „Meine beiden Töchter sind meine rechte und linke Hand. Wollt Ihr mir etwa eine Hand abtrennen?“ Der nächste Bewerber ist ein junger Leutnant, vom Vater argwöhnisch betrachtet und deshalb von der gehorsamen Tochter, der jüngeren, in heldinnenhafter Selbstüberwindung weggeschickt. Der dritte Bewerber, ein berühmter Sänger von der Pariser Oper auf Urlaub, erkennt das ungewöhnliche Gesangstalent der älteren Schwester, gibt ihr kostenlosen Unterricht und kommt ihr über dem hinreißend gesungenen Verführungsduett „Reich mir die Hand, mein Leben“ aus „Don Giovanni“ näher. Und wird von ihr weggeschickt, weil sie den Vater nicht verlassen kann.

Zeitsprung. Das Fischernest ist jetzt ohne den Propst. Die beiden Töchter, feine alte Fräuleins, um nicht zu sagen, vertrocknete Jungfern, bemühen sich redlich, den verstorbenen Seelenhirten zu ersetzen. Doch zeigt sich, daß die Frömmler nur durch die autoritäre Herrschaft des Propstes zusammengehalten worden waren. Nun ist die hinterwäldlerische Gemeinschaft durch kleingeistigen Zank und Streit zutiefst entzweit. Da erscheint eine Französin im Ort, die von den politischen Unruhen nach dem Scheitern der Pariser Kommune von 1871 aus dem Land fliehen mußte. Sie wird als Hausgehilfen ohne Bezahlung von den beiden barmherzigen Schwestern aufgenommen und geduldig in die Sprache und Alltagsarbeiten eingewiesen. Sie lernt überraschend schnell, das ärmliche Essen schmackhaft zu bereiten, und das sogar noch besonders sparsam. Die Frau heißt Babette. Eine Freundin in Frankreich spielt für sie in der Lotterie. Eines Tages bekommt Babette einen großen Gewinn ausgezahlt. Da erbittet sie sich die Erlaubnis, anläßlich des anstehenden hundertsten Geburtstages des Propstes ein Festessen für das ganze Dorf zu veranstalten, und zwar ein französisches Essen.

Das Festessen ist der Clou des Ganzen. Die feinsten und teuersten Zutaten und Getränke läßt Babette aus Frankreich kommen. Und es kommt auch der ehemalige Liebhaber, der Leutnant, der aus lauter Frust Karriere gemacht hat und französischer General geworden ist. Die Frömmler des Ortes lehnen nicht nur die unbekannten Speisen ab, sie haben auch ein schlechtes Gewissen, sich an der Völlerei zu beteiligen. Deshalb haben sie sich vorher auf eine eigenartige Form des Nichtmitsündigens geeinigt. Sie haben sich geschworen, das Fest in Gehorsam und Geduld durchzustehen, aber kein Wort über das Essen zu verlieren.

Daran will auch ich mich halten. Das heißt: Der Höhepunkt der Handlung soll hier nicht verraten werden. Nur soviel sei gesagt: Die Hausgehilfin Babette entpuppt sich als Meisterköchin. Und die Kochkunst steht in diesem Film ganz allgemein für Kunst, das heißt für Überlegenheit. So wird, was als Mahl begann, tatsächlich ein Fest, wie es im deutschen Titel heißt und auch schon im englischen Titel der Erzählung hieß.

Der Film arbeitet so geschickt mit Zeitsprüngen und Überblendungen, daß man glaubt, ein Drama zu erleben. Was noch verstärkt wird durch die rauhe Landschaft und die anheimelnd nostalgischen Behausungen. Man ist gefesselt und mit Vermutungen beschäftigt. Dabei bleibt der Film bei der Vorgabe der Autorin: Immer wieder bahnt sich eine neue Entwicklung an, doch jedes Mal wird, was so naheliegend ist, nicht Wirklichkeit. Die Sache verrinnt ergebnislos im grauen Alltag. Und so muß man bald akzeptieren: Das ist die  wahre Wirklichkeit des Lebens, daß so gut wie nie Großes gelingt. Aus hundert glückverheißenden Ansätzen werden neunundneunzig Enttäuschungen. Das ist die eine Erkenntnis. Die andere ist: Pietistische Verbohrtheit und eine Bescheidenheit, die wie Askese wirkt, sind meist nur von beherrschenden Personen und von den Verhältnissen erzwungen und deshalb eine schlechte Maskerade, hinter der das kleine Menschsein besonders mies hervorschaut.

Für diese beiden Erkenntnisse kann man es hinnehmen, daß Tania Blixen keine schöne Geschichte mit Happy-end, sondern eine Anti-Erzählung geschrieben hat. Die wurde 1950 zunächst in einer Frauenzeitschrift veröffentlicht, dann 1958 in der Erzählsammlung „Anecdotes of Destiny“. Als Anti-Erzählung bezeichne ich sie, weil sie eine Story ist, die zwar überraschende, zufällige Verbindungen der Personen aufweist, aber ohne den sonst üblichen Trost des Positiven und die glückliche Wendung. Die lebenskluge Autorin hat das wahre Leben geschildert. Ein Leben, das gefilmt so desillusionierend ist, wie beschrieben. Wer daraus lernt, vom Leben keine Wunder zu erwarten und den Frömmlern zu mißtrauen, hat mehr bekommen, als die Kinokarte gekostet hat.

Ob man dieses Fazit allerdings schon in dem zarten Alter von 6 Jahren ziehen kann, wie die FSK offenbar meint, erscheint zweifelhaft. Oder muß man diese Beurteilung andersherum sehen? Mit der Einordnung als ein schon für Kinder zumutbares Machwerk nimmt man Erwachsenen von vornherein das Interesse an dem religionskritischen Film, also dem Ganzen den Wind aus den Segeln.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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