Der General

(The General, USA 1926, 80 Minuten, Regie: Buster Keaton, Clyde Bruckman; Drehbuch: Charles B. Smith, Al Boasberg nach Motiven des 1868 erschienenen Romans „The Great Locomotive Chase“ von William Pittinger; Hauptdarsteller: Buster Keaton)

Der früheste aller berühmten Antikriegsfilme war ein Stummfilm. Zum Schreien komisch, diese von einem Spitzenkomiker auf die Spitze getriebene Ablehnung des Kriegsgeschehens. Kann man die Heroisierung des streitenden Menschen doch wohl kaum noch mehr veralbern, als daß man eine simple Lokomotive General nennt. Und das ausgerechnet an dem schmerzhaftesten aller amerikanischen Kriege vorgeführt, an dem Bürgerkrieg von 1861 bis 1865, als die Südstaaten und die Nordstaaten wechselseitig und viel zu großzügig ihre männliche Jugend abschlachteten. Mit dieser Slapstick-Komödie hatte der erfolgverwöhnte Filmmacher offenbar den Bogen überspannt. „Der General“ wurde ein Flop. Das Publikum lehnte ihn ab. Man hatte noch keinen Sinn für die Lächerlichkeit des Krieges. Man empfand die Kriegszeit im Rückblick offensichtlich anders als der Komiker, nämlich als eine heroische Epoche der amerikanischen Geschichte. War und ist das Draufschlagen doch ein Wesensmerkmal des Amerikaners.

Das war der Knick in der Karriere Buster Keatons (1895-1966), von dem an es nicht mehr weiter aufwärts gehen sollte, nur durch quälend lange vier Jahrzehnte abwärts. Man ließ ihn nicht mehr so frei mit den Geldern schalten und walten wie zuvor, man fesselte ihn an konkrete Drehbuchvorlagen, statt seiner genialen Improvisationskunst zu vertrauen, und man meinte ihn bald nur noch für kleine Nebenrollen brauchen zu können.

Doch heute gilt der Film „Der General“ als das Meisterwerk Buster Keatons, der in rund 150 Filmen aufgetreten ist und viele Dutzend Filme in den unterschiedlichsten Funktionen, als Drehbuchautor, Regisseur und sogar Produzent, gemacht hat. Längst ist man sich einig: Mit diesem Film hat Buster Keaton einen bedeutenden Meilenstein der Filmkunst gesetzt. Und das nicht nur wegen der Dreistigkeit, mit der er den Krieg bekämpft und schließlich gegen ihn verloren hat. Auch nicht, weil er sein stets ernstes Gesicht zu einem Markenzeichen hochstilisiert hat: The Great Stoneface. Der Film war einfach perfekt gemacht, vor allem in der Art, wie er neben kleinen Slapstickeffekten Typisches umsetzte oder sogar vorausnahm.

Das fing an mit der bekannten Tatsache, daß Männer in Uniform Frauenherzen höher schlagen lassen. Der kleine Lokführer Johnnie Gray, der in den Südstaaten lebte, hatte eine Braut namens Annabelle, die ihn gerne als Soldat gesehen hätte. Also meldete er sich freiwillig zur Fahne der Konföderierten. Doch wurde er abgelehnt. Er sei als Eisenbahner wichtiger denn als Soldat, hieß es. Das war authentisch, es galt auch noch im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Dann geschah das Unglück, daß dem Eisenbahner von den Nordstaatlern sowohl seine Lok als auch seine Freundin entführt wurde. Das entspricht dem Inhalt des Romans von William Pittinger (1840-1904), der auf einer wahren Begebenheit beruhte. Pittinger selbst war einer der wagemutigen Männer, die am 12. April 1862 eine Lokomotive der Südstaatler entführten. In Buster Keatons Film wurde das zur großen Herausforderung, die aus einem Nobody einen Helden machen sollte. Der Lokführer Johnnie Gray schlich sich hinter die feindlichen Linien und schaffte es, sich trotz vieler Hindernisse seiner Lok und seiner Freundin zu bemächtigen. Dann kam es zu einer wilden Verfolgungsjagd, wie sie später für amerikanische Filme typisch und beinahe unverzichtbar werden sollte, wenn auch auf der Straße statt auf Schienen. Das Hin und Her von drei Zügen, deren Führer sich mit dem Umstellen von Weichen und dem Aufreißen des Schienenwegs sowie dem Umlegen von Telegrafenmasten gegenseitig auszutricksen versuchten, brachte die großangelegte Offensive der Nordstaatenarmee völlig durcheinander und zum Erliegen. Womit das Transportwesen und die Kommunikation als die Schwachstellen des Krieges entlarvt wurden, was das Kriegspielen unmöglich machen sollte.

Schließlich schaffte der unermüdlich vor sich hin arbeitende kleine Lokführer es tatsächlich, seine heißgeliebte Lokomotive und das nicht minder heißgeliebte Mädchen heim ins Lager der Südstaatenarmee zu bringen, dazu aus Versehen als seinen Gefangenen auch noch einen höheren Nordstaatenoffizier. Dafür wurde der Antikriegsheld in eine ordentliche Uniform gesteckt und zum Leutnant ernannt. Zur Freude seiner Freundin Annabelle und der heutigen Zuschauer, die den schnieke eingekleideten Kriegshelden mit hängenden Schultern dastehen sehen, wie den braven Soldaten Schwejk.

Die halsbrecherische Turnerei auf den Zügen mit vielem Auf- und Abspringen ist erstaunlicherweise nicht gedoubelt worden. Bei Buster Keaton, aus der harten Schule der Vorstadttheater kommend, in denen er schon als Kind aufgetreten war, kam kein Stuntman zum Zuge. Das gehörte für ihn zu dem generellen Anspruch der Wahrhaftigkeit des Filmkunstwerks. Deshalb auch baute er ohne Rücksicht auf die Kosten veristische Bürgerkriegsbilder auf, wie sie aus Dokumentationen bekannt waren. Immer wieder kamen fahrende Züge ins Bild, dafür mußten parallele Strecken verlegt werden für die fahrende Kamera. Soviel Fahrerei hatte es nie zuvor im Film gegeben. Und sogar die Fahrt eines Zuges der Nordstaatler auf eine hohe Brücke, die bereits brannte, ließ der Regisseur Buster Keaton nicht als Trick oder im Modell, sondern original ablaufen, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Das heißt, er ließ eine echte Lok mit den anhängenden Wagen vor laufender Kamera mit der zusammenbrechenden Brücke in den Row River in Oregon stürzen. Eine der teuersten Szenen der gesamten Stummfilmzeit. Aber damals reichte der Hinweis auf die extrem hohen Produktionskosten leider noch nicht aus, um einen Film zum Kassenschlager zu machen. Pech für Buster Keaton. Auch wer zu früh kommt, den bestraft das Leben.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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