Der große Gatsby

(The Great Gatsby, USA 1974, 135 Minuten, Regie: Jack Clayton, Drehbuch: Francis Ford Coppola nach dem gleichnamigen Roman von F. Scott Fitzgerald)

Francis Scott Fitzgerald (1896 – 1940) brachte seinen Bestseller über die Zwanziger Jahre in den USA und den Erfolgsmenschen Gatsby im Jahre 1925 heraus. The roaring twenties waren schon sein Thema gewesen bei den Romanen „Diesseits des Paradieses“ sowie „Backfische und Philosophen“ (beide 1920 erschienen), „Geschichten aus der Jazzära“ sowie „Die Schönen und Verdammten“ (beide 1922 erschienen). Das extravagante, aber inhaltlose Leben der scheinbar feinen Gesellschaft hatte eine besondere Faszination auf viele junge Autoren ausgeübt. Dass sie sich weitgehend auf die zynische Darstellung der Verhältnisse beschränkten, bestätigte nur die Diagnose der inhaltsleeren Gesellschaft.

Fitzgerald fand erst in „Der große Gatsby“ den Abstand, der nötig war, die eigene Zeit kritisch zu sehen. Der neue Film – eine erste Verfilmung hatte es bereits 1926 gegeben – übernimmt den Gestus des interessiert, aber distanziert zusehenden Nachbarn von Gatsby, eines alleinstehenden jungen Börsenmaklers namens Nick, der in der Ich-Form darüber berichtet, was im Park des Palastes nebenan geschieht. Da werden lärmende Parties gefeiert, bei denen Hunderte junger Menschen zu moderner, lauter Musik tanzen. Dieser Nick, der Züge des Autors Fitzgerald trägt, weiß nicht mehr über seinen Nachbarn Gatsby, als dass der sehr zurückhaltend ist und unermeßlich reich sein muß. Gerüchte sprechen davon, er sei mit dem deutschen Kaiser verwandt, er habe in Oxford studiert, sei ein Kriegsheld oder ein Spion gewesen und verdanke seinen Reichtum dunklen Geschäften, was ja in der Zeit der Alkoholprohibition naheliegend war.

Wie eine Präambel ist dem Film ein Ausspruch von Nicks Vater vorangestellt, an den er sich erinnert: Man sollte sich nie dazu hinreißen lassen, andere zu kritisieren, weil man nicht weiß, ob diese anderen ebenfalls so gute Voraussetzungen für ihr Leben vorgefunden haben, wie man selbst.

Danach versteht man allmählich, dass der geheimnisvolle Gatsby einmal eine junge Frau namens Daisy geliebt hat, dann aber in den Krieg ziehen mußte und als kleiner Leutnant nachhause gekommen ist. Da war er für die Daisy nicht mehr interessant. Was er sich so deutete: Reiche Frauen heiraten niemals arme Männer. Also wurde er ein reicher Mann. Als er nach acht Jahren erneut mit Daisy zusammentrifft, ist sie die Ehefrau eines vermögenden, aber hirnlosen Mannes namens Tom. Dieser Tom ist der typische Haustyrann mit Doppelmoral. Er hält sich als Geliebte die dümmliche, aber hübsche Frau des Tankstellenbesitzers, bei dem er seine Nobelkarosse betanken läßt. Dabei behandelt er den gutmütig, eifrigen Tankwart betont schäbig.

Damit ist die Gesellschaftsdiagnose auf drei Ebenen angelegt: Die fleißigen und nur gezwungenermaßen braven kleinen Leute, darüber die vom Leben im Wohlstand übersättigten und amoralischen Erfolgsmenschen und der hoch über allen schwebende wurzellose Superreiche, der lieber in seiner anerzogenen Anständigkeit leben würde. Wie der Autor sie zusammenstoßen und sich gegenseitig umbringen läßt, das ist schon ein Gesellschaftskrimi. Aber der Autor geht noch über diesen hinaus, und das mit recht, weil diese Leute ja schon so gut wie tot sind, während sie sich noch als Lebende herumtreiben.

Viel wichtiger als die spannende Frage, wer hat wem was getan, ist die Liebesfrage, die den großen Gatsby umtreibt: Warum hat Daisy nicht auf mich gewartet? Was sich zu der Frage steigert: Kann es überhaupt sein, dass sie zwischendurch diesen Tom einmal geliebt hat? Damit ist Fitzgerald bei der Frage aller Fragen angelangt: Was ist das, die Liebe? Und den vielen Bibliotheken voller Bücher, die zu dieser Frage geschrieben wurden, fügt er ein weiteres Buch hinzu, – ebenfalls ohne eine Antwort.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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