Darjeeling Limited

Filmbild – Darjeling(The Darjeeling Limited, USA 2007, 105 Minuten, Regie: Wes Anderson, Drehbuch: Wes Anderson, Roman Coppola und Jason Schwartzman)

Der westdeutsche Großstadt-Kinosaal war nicht einmal halbvoll, es gab nur hin und wieder einzelne Lacher, sonst keinerlei Reaktion, die auf große Begeisterung schließen ließ. Das durchaus gemischtaltrige Publikum, kaum sehr junge Leute, verließ das Kino schon während der endlosen Schlussmusik und zeigte sich dabei weder erschüttert noch belustigt.

Überdeutlich, dass Anderson etwas Ungewöhnliches bieten wollte, die Zuschauer aber nicht den Eindruck hatten, etwas Ungewöhnliches erlebt zu haben. Der Film soll in den USA schon kurz nach seinem Erscheinen über 12 Millionen Dollar eingespielt haben, dort also gut angekommen sein. Worum ging es?

Drei aus den USA kommende, sehr unterschiedliche Brüder, die sich länger nicht gesehen haben, treffen nach dem Tod ihres Vaters in einem durch Indien fahrenden nostalgischen Luxus-Zug namens „Darjeeling Limited“ aufeinander. Der Älteste hat einen Plan und setzt ihn über die Köpfe der Brüder hinweg durch. Er will ein Wiedersehen mit der Mutter arrangieren, die sich in ein christliches Kloster im indischen Abseits zurückgezogen hat. Den Brüdern macht er jedoch vor, es gehe um eine Tour, die ihnen als Hilfe zur Selbstfindung ein gemeinschaftliches Erlebnis von höherer Spiritualität bieten werde. Alle drei haben ihre Probleme. Der Älteste trägt schwere Kopfbandagen, die angeblich nur von einem Motorradunfall herrühren, vielleicht aber auch von mehr. Der Zweitälteste hat sich von einer Freundin getrennt, die ihn dann zu seinem Verdruss noch einmal in Paris aufgestöbert hat, das Vorspiel des Films, was er in einer Kurzgeschichte beschrieben statt verarbeitet hat. Der Jüngste hat aus Angst vor der Vaterrolle, die auf ihn zukommt, eine hochschwangere Frau verlassen und kommt doch nicht von ihr los.

Alle drei sind permanent unterwegs, mit viel zuviel Gepäck beladen, mit zuviel Ratlosigkeit zudem und mit zuviel Wut im Bauch, die sich auch schon einmal gegeneinander austobt. Sie kaufen ein und verlieren das Gekaufte. Sie versuchen sich in mythischem Getue und stellen sich dabei sehr ungeschickt an. Sie retten zwei Kinder vor dem Ertrinken und nehmen an der Einäscherung des dritten Kindes teil, dessen Rettung ihnen nicht gelungen war, und werden so Freunde der Einheimischen. Und verlieren auch diese Verbindung gleich wieder.

Das Besondere an diesem Film ist, dass er an die Jahre gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts erinnert, in denen man als junger Mensch nach Indien pilgerte, um unter der Anleitung eines hochverehrten Gurus ein neuer Mensch zu werden. Die damals an diesem Seligkeits-Rezept zweifelten und daheim blieben, können sich jetzt in ihrem heimischen Kino bestätigt fühlen: Indien schenkt einem keine neue Spiritualität, dafür führen wir viel zuviel Ballast mit, lieben wir zu sehr unser kleines Ich, fallen wir zu leicht jedem Kaufreiz zum Opfer, sind wir viel zu abhängig von Nikotin und diversen anderen Drogen und obendrein immer zugedröhnt von Musik. Und das Indien, dem wir begegnen, ist ohnehin nur das Indien der schrecklichen Armut und der kuriosen Riten uns fremd bleibender Religionen.

Der in den USA als neue Film-Hoffnung gefeierte Wes Anderson stellt seinen Zeitgenossen mit diesem trotz schöner Landschaftsaufnahmen nur scheinbar unterhaltsamen Film ein Zeugnis aus, das voll von Symbolik ist, aber von einer Symbolik, die anders ist als bei Bunuel. Denn Anderson reißt seinen Mitmenschen die Masken herunter, diesen mit Vuitton-Koffern und Lärm- und anderem technischen Spielzeug beladenen, zu Telefonitis und Zigarettenalbernheit neigenden, Sex mit Liebe verwechselnden, sich mit Parfum Marke Voltaire Nr. 6 und Pharmakonsum begnügenden armseligen Kreaturen. Der Film „Darjeeling Limited“ ist letztlich ein Essay in bewegten Bildern. Mag sein, das ist die letzte literarische Form, mit der man noch die Menschen von heute aufklären kann, die nicht mehr gewohnt sind, etwas Anspruchsvolleres zu lesen, und nur noch Bildchen gucken können.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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