Der große Diktator

(The Great Dictator, USA 1940, 120 Min., Drehbuch, Regie, Produktion und Doppelrolle: Charles Chaplin)

Ein kleiner und so linkischer wie menschenfreundlicher jüdischer Friseur rettet im Krieg dem Offizier Schultz des Phantasiereiches Tomania das Leben und gewinnt damit einen Beschützer, wie sich viele Jahre später im Ghetto zeigt, als die Sturmtrupps des Diktators Adenoid Hynkel die Juden drangsalieren. Dort beginnt auch die neckische kleine Liebesgeschichte, die zu einem Erfolgsfilm gehört. Durch sein Engagement für die Juden wird der Beschützer Schultz später selbst zum Gejagten, der schließlich genau wie der Friseur in ein Konzentrationslager verbracht wird. Den beiden gelingt die gemeinsame Flucht, und der Friseur wird, wegen seiner frappierenden Ähnlichkeit mit dem Diktator verwechselt, gezwungen, bei einer Massenversammlung eine flammende Rede an sein Volk zu halten.

Dieses Meisterwerk Charles Chaplins besticht durch die Souveränität, mit der er in fünffacher Funktion gearbeitet hat. Dass es ausgerechnet ein jüdischer Friseur ist, der dem großen Diktator gleicht, ist nur eine der vielen kleinen Bosheiten, mit denen dieser Film auf Adolf Hitler einschlägt, auf diesen kleinen Österreicher, der dabei ist, ein Großreich aufzubauen. Die sensationellen Erfindungen, die dem Diktator vorgeführt werden, sind sämtlich Flops, der Diktator redet sich immer wieder in einem furiosen Phantasiedeutsch in Rage, und der Globus, der ein Luftballon ist, zerplatzt genauso beim Jonglieren des Machtmenschen mit ihm, wie seinem Traum von der Weltherrschaft die Luft ausgeht.

Ein großartiger Komiker kämpft mit seinen Mitteln gegen einen verbissen ernsthaften Machtmenschen an. Und kann dabei nicht vermeiden, schließlich selbst höchst ernsthaft zu werden. Nämlich in der großen Rede, die der Friseur als falscher Diktator hält. Das ist die Schlussapotheose des Films, die zugleich sein Scheitern eingesteht. Denn der Filmemacher bricht aus seinem Genre aus und lässt den kleinen Juden plötzlich all seine Lächerlichkeit verlieren, ein ernsthaftes Gesicht annehmen und druckreife Sätze über Liebe, Freiheit, Brüderlichkeit und Demokratie sprechen, die klingen, wie von Thomas Jefferson in Gesetzestafeln eingeritzt.

Der englische Komiker Charles Spencer Chaplin (1889-1977), selbst kein Jude, stellte sich dar als ein typischer jüdischer Kleinbürger mit seiner Weltfremdheit und Ängstlichkeit und als unberechenbarer Diktator, der sich mit seinen wüsten Hasstiraden selbst zum Zerrbild eines Herrschers machte. Sein Kumpan Benzino Napaloni, der zweite große Diktator, wurde zum perfekten Clown. Doch war Chaplin sich offenbar darüber im Klaren, dass Komik allein nicht genügen würde, Machtmenschen wie Adolf Hitler und Benito Mussolini in ihre Schranken zu weisen. Eine Komödie würde lediglich der breiten Masse einen vergnüglichen Abend bescheren, mehr aber nicht bewirken. Adolf Hitler und Benito Mussolini als lächerliche Figuren hinzustellen, das war Charles Chaplin nicht genug. Deshalb die große Schlussrede, und deshalb hat er selbst diese ernsthaft programmatische Filmrede des kleinen Friseurs noch mehrfach bei politischen Veranstaltungen gehalten. Diese Rede wurde sogar gedruckt unter die Leute gebracht.

Damit entpuppt sich der Film „The Great Dictator“ als Teil einer Kampagne eines prominenten und höchst erfolgreichen britischen Künstlers gegen den antijüdischen Geist, der damals in den USA stark verbreitet war und u. a. dazu geführt hatte, dass das Land sich sogar gegen die Aufnahme jüdischer Waisenkinder abgeschottet hatte. Starke amerikanische Nazi-Organisationen bedrohten den Filmemacher schon bei den Vorbereitungen zu diesem Werk. Und auch die US-Regierung zeigte eine ablehnende Haltung. Verständlich, weil sie neutral bleiben wollte, durch diesen Film aber mehr Druck der Öffentlichkeit zum Kriegseintritt befürchten musste.

Übrigens gibt es Berichte, Adolf Hitler habe diesen Film gesehen. Schon drei Monate nach der Uraufführung hatte ein Kontaktmann von Joseph Goebbels eine Kopie besorgt, die der Reichspropagandaminister seinem Führer zur Verfügung stellte. Hitler pflegte allabendlich einen Film zu sehen, um sich vom Tagesgeschehen lösen und besser einschlafen zu können. Wie Hitler auf diese Verhöhnung reagiert hat, ist leider nicht überliefert, jedenfalls hat er „The Great Dictator“ in den Filmschatz aufgenommen, den er in der Reichskanzlei für seinen persönlichen Bedarf angesammelt hatte.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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