Leergut

Filmbild – Leergut(Vratné Lahve, Tschechien 2007, 103 Minuten, Regie: Jan Sverák, Drehbuch und Hauptdarsteller: Zdenek Sverák, Kamera: Vladimír Smutný)
Filme gibt es, die sich vergeblich damit abmühen, ein großes Buch zu bebildern, und es gibt Filme, die über jedes noch so kleine Buch hinausblühen. Hier geht es um ein Filmkunstwerk von der zweiten Sorte. Die Story ist einfach strukturiert: Ein alter Lehrer in Prag ist es leid, sich von den respektlosen Kindern terrorisieren zu lassen, und lässt sich in den Ruhestand versetzen. Was bei ihm aber nicht Ruhe bedeuten kann, weil er sich dafür viel zu jung fühlt und viel zu gern mit dem Leben beschäftigt ist, mit seinem und mit dem seiner Mitmenschen. Daheim herumzusitzen, wird ihm schnell unerträglich, weil er spürt, dass er in der häuslichen Sphäre seiner Frau nur stört. Und seiner unglücklichen, weil sitzengelassenen Tochter kann er nicht helfen, weil er keinen Zugang zu ihrer frömmelnden Abgehobenheit findet. Auch die Oparolle genügt ihm nicht. Also sucht er sich einen Job. Als Fahrradkurier übersteht er einen Unfall, der ihm zeigt, dass diese Beschäftigung doch nicht nur eine Sache der Einstellung und des guten Orientierungsvermögens ist, wie er gemeint hat, sondern auch der jugendlichen Wendigkeit.

In der Leergutannahme eines Supermarkts findet er die Erfüllung seiner Wünsche. Die kleine Flaschen-Durchreiche ist sein Fenster hinaus ins Leben. Er wird zum Freund seiner Kundinnen und Kunden, passt auch einmal auf Hund oder Kleinkind auf, bringt einer Gebrechlichen die Lebensmittel nachhause und streckt sogar aus der eigenen Tasche das Geld vor, bis die Kundin die nächste Rentenzahlung erhält. Ein Mann, der glücklich ist, will auch seine Mitmenschen glücklich machen. So macht er aus seinem Kollegen, einem alten verbitterten Kriegsinvaliden, einen netten und wieder gepflegten Mann und schließlich einen Hochzeiter. Für den jungen Mann am Reißwolf öffnet er eine neue Lebensperspektive. Und auch für seine Tochter fädelt er ein Verhältnis mit einem jungen Lehrer ein. Und gerade das, was offiziell als Kuppelei bezeichnet und schlecht angesehen ist, wird hier zur selbstgewählten Kernaufgabe eines Menschenfreundes. Die erotischen Abenteuer, die er für sich selbst wünscht, beschränken sich nach einer Panne, weil er die Wochentage verwechselt hat, auf schöne Träume.

Die Kontrasthandlung um seine Frau kommt leider etwas zu kurz. Kein Wunder, der Film wurde von zwei Männern – Vater und Sohn – gemacht. Die Ehefrau, der der Ruheständler nichts vormachen kann, die alles besser weiß und ihm so streng wie steif gegenübertritt, wird erst durch einen erwachsenen Nachhilfeschüler für Französisch aus dem zu engen Korsett des gutbürgerlichen Wohlverhaltens befreit. Fällt dann aber auch direkt aus der Rolle. Schließlich ist sie bereit zu einem besonderen gemeinsamen Abenteuer mit ihrem Mann anlässlich ihres vierzigsten Hochzeitstages, nämlich einer Ballonfahrt. Dieser Ausflug endet beinahe tödlich, aber dann doch mit dem Satz: „Wir dürfen noch eine Weile weiterleben.“ Wobei dem Ballon sehr symbolträchtig die Luft ausgeht und dam Zuschauer aufgeht, dass ihm wohl nicht mehr geboten wird als die Aussicht auf ein Weiterleben wie bisher.

Der Film, als Komödie bezeichnet, besticht durch die Selbstverständlichkeit, mit der er die Probleme des menschlichen Miteinanders anspricht, und das auf der unspektakulären Ebene der sogenannten Normalmenschen. Das ist nicht das klassische Theater als moralische Anstalt. Hier gibt es nichts Erbauliches, nichts Lehrreiches, aber auch keinen Klamauk. Es gibt keine Problemlösungen als Sonderangebot, nicht einmal einen Helden, dem man nacheifern könnte. Den Zuschauern werden lediglich Alltagsrollen geboten, in denen sie sich wiedererkennen können, ja, müssen. Worüber sie dann lachen dürfen. Für den einen ist das ein Film übers Altern, für den anderen eher ein Film über die Art, wie man Lebenschancen ergreifen kann. So oder so, seine Direktheit gibt diesem Streifen bei aller Lustigkeit eine besondere Wärme, weil man sich betroffen fühlt.

Dass dieser Film bei all seiner betonten Einfachheit doch so bezaubernd, so schön und erfreulich und auch erfolgreich ist, das ist vor allem ein Verdienst der Regie und der liebevoll verspielten Kameraführung, die einerseits gern, wenn auch nicht gerade neu, den fahrenden Zug der Zeit zeigt, andererseits mit Großaufnahmen von Kleinem den Horizont des Betrachters weitet und ihn immer mal wieder in verlockende Traumbilder entführt.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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