Auch ich in Romania (2006)

Bukarest wurde einst als das Paris des Ostens gefeiert. Solche Sprüche machen skeptisch. Doch dann durch die Innenstadt zu fahren und rechts und links Bauwerke zu sehen, die wie die ehrwürdig ergrauten Großeltern moderner Prächtigkeit dastehen, stumm, reglos und runzelig, mit vielen Altersflecken. Die Würde des Alters, die Achtung fordert – und ein freundliches Hinwegsehen über die Blessuren, die ein langes Leben nun mal mit sich bringt. Statt dessen sich bemühen, es einzeln zu bestaunen, was so ungewöhnlich ist. Da den Fassadenschmuck mit Blendarkaden, mit schnörkeligen Balkons und Balustraden, dort das Prachtportal mit hochgewölbtem Glasvordach, unter dem die Equipagen anhielten, hier die Türmchen und kühnen Spitzen und dann die Karyatiden mit ihren schweren Säulenlasten. Zugegeben, manche Bleideckung mag inzwischen mehr imposant als dicht sein, gähnen doch manche Fensterhöhlen in den obersten Geschossen, wo einst die Domestiken wohnten, mir scheibenlos ihren Moderatem entgegen. Was mich schaudern läßt. Selbst schuld, sage ich mir. Warum auch muß ich hundert Jahre zu spät kommen?

Romania

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Das Haus der Presse, ein hochaufragendes Zuckerbäckerwerk, das einen Vergleich mit der Lomonossow-Universität in Moskau herausfordert. Und das mitten in der Stadt breitgetretene königliche Schloß, das jetzt Museum ist, wollte Versailles spielen. Wahrhaftig, der Palast des Diktators Nicolae Ceausescu (Bild links) ist nicht das einzige Beispiel für den Hang der Rumänen zur Gigantomanie. Nach dem Pentagon in Washington das zweitgrößte Gebäude der Welt, das war die Ambition. Aber von dem großen Aufmarschplatz aus auf die Vorderfront gesehen, muß ich feststellen: Im drittletzten der ungezählten Obergeschosse sind etliche Fensterscheiben durch Pappe ersetzt.

Romania

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Warum nur kommt mir hier in Bukarest immer wieder Bagdad in den Sinn? Weil ich wieder in so einer Beton-Bettenburg im 10. Stock wohne und auf die provisorischen Behausungen des Personals im abgetrennten Hof hinabschaue? Oder weil ich weit über die Stadt hinwegsehen kann, die jedoch hier im Nordbezirk nicht die imposanten Bauten zeigt wie im Zentrum. Dort drüben Wohnhochhäuser. Die waren in Bagdad mit besonderem Pfiff gestaltet, von international bekannten Architekten entworfen. Hier sind sie leicht farblich aufgefrischte Sozialismusscheußlichkeiten. Und andere Großbauten sind hier nicht pompöse Ministerien, sondern plattgedrückte Kommerzwarzen à la Markthalle und Auslieferungslager. Und doch alles wie in Bagdad, so weiträumig, daß man nicht einfach um den Block gehen kann. Bummel ich trotzdem mal ein wenig herum, dann sehe ich wieder überall die bewaffneten Uniformierten. In Bagdad sollten sie mit ihren Kalaschnikows vor angreifenden Amerikanern schützen. Was sie natürlich nicht konnten. Hier sollen die Männer von den Sicherheitsdiensten mit ihren schweren Revolvern, dem Tarnanzug mit keck aufgesetztem Schütze-Arsch-Schiffchen und Turnschuhen an den Füßen gegen andere Räuber schützen, gegen kleinformatigere. Was sie hoffentlich schaffen.

Casino Palace in Bukarest, ein Traum von einem Stadtpalais. Mit einem First Class Restaurant und der Spielbank. Statt der stattlichen Croupiers fast nur junge Mädchen beim American Roulette, mit uniform superkurzen Röckchen. Lange Beine als Aufforderung: Faites votre jeu! Kein elegantes Publikum, sondern knorzige junge Moneymaker, die immer neue Fächer von Hundertdollarscheinen auf den Tisch werfen, mit betont unwirscher Gebärde, und dafür Türme von Chips in ihrer Farbe zugeschoben bekommen. Sie setzen bei jedem Spiel immer nur häufchenweise und gleich acht- bis zehnfach übers Feld verteilt auf Plein und Cheval und Carré und fluchen, wenn die falsche Zahl kommt und machen eine Pause an der Bar, um sich darüber hinwegzutrösten, daß sie kein Glück haben. Dabei fehlt es ihnen nicht an Glück, sondern nur an Verstand. Wie kann man nur so blöd gegen sich selbst spielen?

Museum der Rumänischen Literatur. Meine Führerin mit dem klangvollen Namen Luminita, ein kleine Frau mit großen Augen, kann bei jeder nächsten Berühmtheit aus den frühen Jahrhunderten der Literatur des Landes wieder noch größere Augen machen. Vor lauter Bewunderung, vielleicht aber auch vor lauter Bemühung, dem Fremden, der so interessiert wie unwissend ist, den richtigen Eindruck von ihren Zelebritäten zu vermitteln. Dabei klebe ich an der lästigen Frage fest: Was bleibt von dem Leben der Leute, die vor Jahrhunderten Literatur geschaffen haben? Literatur, ja, im Antiquariat noch zu finden. Im übrigen nur ein paar Notizhefte, Briefe, Bildchen von glücklichen Stunden im Kreis von Freunden, ein paar Möbelstücke und Reisemitbringsel, mal ein Hut, mal ein Degen, mal das Schreibzeug.

Mit dem Bus durch die Schluchten der Ausfallstraßen. Das hohe Grauragende rechts und links. Verkommen, abgeblättert, mit schmalen Balkons, die meist zugeglast sind und blind auf die Straße hinabsehen, wo die hektischen Blechkistchen ihnen das bunte Leben vorspielen. Die gleichförmig schmalen Metallrahmen der Fenster lassen die Mietskasernen einheitlich vergittert erscheinen. Kaum zu glauben, daß in diesen Tristessemetastasen Menschen leben. Doch da sehe ich eine Frau am offenen Fenster, mit ihrer Zigarette und dem Fernblick des Feierabends. Und da wie dort hängt Wäsche, bemüht, schneller trocken als abgasschwarz zu werden. Da hopst im achten Obergeschoß ein kleiner Junge auf dem offenen Balkon herum und trommelt mit beiden Fäustchen auf die Steinbrüstung, als gäbe er den Takt vor für die Weiterentwicklung der Menschenablage zur Wohnung. Recht so, auf ihm ruht ja alle Hoffnung.

Eine Dreiviertelstunde braucht der Bus, um aus der Innenstadt aufs offene Land zu kommen, wo er endlich frei durchatmen kann. Oder ist das nur der höher geschaltete Gang, den ich höre. Rundum Land, das wie durch einen Zaubertrick hinter den letzten Graufassaden ausgebreitet wird. Brachland da und Sonnenblumenfeld hier. Land for Sale, sagt ein Schild zu diesem Nichts und Beinahe-Nichts. Überlandleitungen, die schneller als wir in die Weite entfliehen. Dann Maisfelder und immer mal wieder ein kleines Wäldchen. Und wieder Sonnenblumenfelder. Alles nur, um die Leere zu kaschieren, murmele ich vor mich hin. Ich bin versucht, Leere mit tausend E zu sprechen. Doch da sammelt eine junge Frau mit buntem Kopftuch ihre braunen Kühe ein. Und jetzt fährt eine Bauernfamilie auf dem Pferdefuhrwerk in den Abend, auf holprigem Feldweg, parallel zu unserer Autobahn. Tatsächlich, eine richtige Autobahn, das verehrte graue Band, das sich in der Ferne im Grau des Nachthimmels verliert.

Curtea de Arges, das Städtchen am Fuß der Karpaten, ist für mich eine Uralt-Kathedrale in einem verwunschenen Park, dessen Bäume gregorianische Choräle rauschen. Und plötzlich ein Pope vor mir,  mit einer mächtigen Stimme, als Verbindungsglied zwischen Himmel und Erde absolut überzeugend, der die Besucher moderatorenmäßig gekonnt begrüßt und bewillkommnet und dann erklärt und erklärt und erklärt. Ich starre auf die erhaben herausgemeißelten Schriften an der Kirchenfront, vor der wir stehen, und kann doch nichts entziffern. So daß ich froh bin, endlich dem Regen und der doppelten Wörterflut entfliehen zu können, mich in das geschmückte Gotteshaus hineinschleichend. Das war einmal die Hauptstadt der Walachei, habe ich noch im Ohr, da sehe ich die jungen Burschen in weißen Hemden und schwarzen Anzügen, deren Gesang durch den hohen Kuppelbau und hinaus in die Lautsprecher des Parks wabert. Wie sie den Blicken und dem Fotoklicken der Besucher standhalten, so ungeheuer ernst, so konzentriert. Und wie sie singen: seelenerschütternd. Theologiestudenten. Wie überall im Ostblock haben die Kirchenoberen den Kommunisten die Klinke zu den Seelen aus der Hand genommen, sobald die sich verabschiedeten oder verabschiedet wurden. Und alte Frauen kommen und gehen, küssen inniglich das Gnadenbild und können gar nicht mehr aufhören, sich zu bekreuzigen. Doch dann im Bus ist die Welt wieder in Ordnung. Nur noch 2 km bis zu Dr. Oetker, verkündet ein großes Schild.

Bei der Fahrt durch die Walachei, wo immer mal wieder ein Straßendorf für mich paradiert, werde ich zum staunenden Zeugen eines Zaunwettbewerbs. Die Aussage ist klar: Ein Haus ist erst ein Heim für den Walachen, wenn es von dem Rechteck eines Zauns umfriedet ist. Und an der Straßenfront muß der Zaun noch individuell gestaltet sein, in Material, Form und Farbe einer schöner als der andere. Manche Häuser jedoch machen nicht mit. Die haben sich eingekastelt in schlichte Bretterzäune, fugenlos und mannshoch. Da zeigen sich antagonistische Gefühle. Die Angst vor Räubern ist das eine, der Stolz des kleinen gerne großen Grundbesitzers ist das andere, was zum Rechteck ums Haus führt.

Mangalia, ein Badehosenort wie Dutzende andere an den südlichen Meeresküsten. Aber so modern: Kreisverkehr nach Kreisverkehr, Hotel vor, hinter, an und neben Hotel. Und ein Laden noch improvisierter, noch saisonaler als der andere. Was die Passanten in ihrer locker-legeren bis halbwegs ledigen Aufmachung nicht stört, die was von dem plastikglänzenden, glasglitzernden und flittrigen Angebot brauchen können oder aus lauter Langeweile beäugen, begehren, betatschen und in der Landeswährung Lei mit Hunderttausenderscheinen bezahlen.

Nein, kein Vogelzwitschern im Neptun-Resort und auch kein Wellenplätschern. Nur das Haßgebell der wilden Hunde. Wo die sich balgen, hält sich kaum eine Blume, nur das Ensemble aus weggeworfenen Flaschen und leeren Kartons und allerlei anderem Unrat ziert das bißchen Grün unter den ratlos dastehenden Bäumen. Man muß besonders energisch auftreten, um sich die Kläffer vom Leib zu halten, rät man mir. Und ich kann mir nicht einmal zum Trost sagen: Nachts schlafen die Hunde doch.

Constanta, stolz auf seinen über 160jährigen Bahnhof. Da wird an unseren Zug von Süden ein Zug von Norden angekoppelt, um den Zug nach Westen lohnend zu machen. Raus aus dem Dreck, der die Bahnstrecke viel zu lange begleitet. Dann durchs Weinland den Kanal entlang, der die Donau mit dem Schwarzen Meer verbindet. Von Sträflingen gebaut, von denen viele zu Tode kamen. Das tote Ende des langen Darms, der sich quer durch Europa legt, vom hungrigen Mund Rotterdam über den Rhein, den Main, den Rhein-Main-Donau-Kanal und die Donau hierher schlingernd. Constanta, die Gleichbleibende, hat die Stadt was mit der anderen Gleichbleibenden, mit Konstanz, gemeinsam? Ja, schon möglich, daß mir hier auch Wasser vom Rhein bei Konstanz begegnet. Ein Schiff aber niemals. Habe ich doch überhaupt nur einen einzigen Kahn auf dem Donaukanal gesehen. Er trug Sand übers Wasser, Sand von da nach dort, fragt mich nur nicht nach dem Ort.

Romania

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Eine Zugstunde nördlich von Bukarest endet das flache Land. Wie ein die Welt aussperrender  Riegel liegen die Karpaten vor mir. Der Intercity geht sie munter an. Und auf einmal werden die Häuser putzig. Immer mal wieder das Obergeschoß aus Holz. Der reißende Gebirgsbach neben mir dürfte ein kalter Gruß sein. Schon glaube ich, in Tirol zu sein. Da empfängt mich der Bahnhof von Sinaia mit seiner verspielt-gefälteten Architektur. Liebevolle Einstimmung der hochgeschätzten Gäste der gehobenen Klassen auf ihren Erholungsaufenthalt in der Bergwelt. Die mit einem Klettersteig gleich gegenüber vom Bahnhof beginnt und mich mit zwei Kabinenbahnen ruck-zuck auf 2100 m Höhe bringt. Welch eine Luft im Vergleich zu der in Bukarest.

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Die Attraktion von Sinaia ist deutsch, ist aber nicht das Hotel Deutschland und auch nicht das Restaurant Marlene Dietrich, sondern das königliche Schloß Peles. Ein Stück süddeutscher Neoromantik im Stil der Burg Hechingen in Baden-Württemberg. Der dort aufgewachsene Prinz Karl von Hohenzollern-Sigmaringen hat es sich bauen lassen, nachdem die rumänischen Bojaren ihn im Jahr 1881 zu ihrem König Carol I. gemacht hatten. Blaublütiges deutsches Exportgut wie schon fünfzig Jahre vor ihm der Bayernprinz, der als König Otto I. von Griechenland fungierte. Ceaucescu gefiel das romantische Nest so gut, daß er es als Nobelherberge für seine Staatsgäste nutzte. Heute ist es Museum. Beim Gang durch den Park mit den vielen Skulpturen fällt mir auf, daß nicht nur der Baustil typisch deutsch ist, auch die vielen Verbotsschilder sind es. – Na, wenn hier alles deutsch ist, hätte ich auch gleich zuhause bleiben können.

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