Überwintern auf Mallorca (2007)

Und ob Mallorca ein guter Platz zum Überwintern ist. Auch zum Schreiben nach Lust und Laune. Keine Störung zu befürchten. Die Oleanderbüsche stehen stumm um mich herum wie übersatte schwarze Stiere, die wissen, dass sie nicht zum Kampf aufgerufen werden. Ganz in feinmaschige Kunststoffnetze eingepackt, weltabgewandt. Und die Palmen gehen wie Pilger in Sack und Asche, so fürsorglich sind ihre immer unruhigen Wedelköpfe in graue Turbane eingewickelt.

Gerade nur für den Hundekot auf den Bürgersteigen, garantiert täglich frisch, reicht die spärliche Wintersonne. Schnell hartgetrocknete Würstchen, so kann der Immerwind sie gerecht verteilen in den menschenleeren Gassen dieses Fischerdörfchens mit angeklebter Residentensiedlung und aufgepfropftem Hotelkomplex. Ihr lautloses Rollen hin und her ist das einzige bisschen Leben, das von dem Starren aufs Wasser ablenkt. Vom Wundern über die Wellen, die an den Küstenfelsen necken und lecken, ohne Unterlass und so drängend, dass mir die schönsten Vorstellungen den Kopf überschwemmen:

Liege da auf dem schmalen Plateau, das dem zernagten Felsgebröckel als glatte Betondecke übergestreift wurde, liege auf meinem schönen Frottee-Badetuch mit dem übergroßen Zitronenbild, habe die Augen ins Himmelblau getunkt und denke: Sonderbar, bei soviel Platz an dieser Küste, warum nur hat man so gegeizt mit dem Beton? Klar, aktiviere ich Verständnis, die Tourismusplaner durften nicht noch mehr von der pittoresken Splitterküste zudecken, weil der Strandpartie der Charakter der Wildheit erhalten bleiben sollte. Ist ja auch so viel zuviel Platz für mich.

Doch wenn jetzt wieder Sommer wäre, dann kämen sie aus ihren Löchern, wie aufgescheucht. Die Schönen und Fröhlichen, in Bikinis und Badeanzügen, so bunt wie ihre Badelaken, die sie vor den Wind halten, um sie auszubreiten, hinter mir und vor mir und rechts neben mir und auch links neben mir. Nichts von wegen links liegen lassen. Manches Badetuch kommt mir dabei etwas zu nahe. Macht nichts, macht doch nichts. Eins legt sich sogar mit einer Ecke auf mein Fußende. Mit einem Blondschopf drauf. Und von rechts weht eine bunte Unterlage mit ihrer Längskante über mein Tuch. Nicht zurückzuschieben, nein, unmöglich, weil sich schon eine Schöne im Bikini darauf räkelt. Die sich jetzt mit der auf der anderen Seite von mir zu unterhalten beginnt. Als ob ich überhaupt nicht existierte. Mein Badetuchreich wird einfach ein wenig zusammengeschoben. Nun ja, Grenzland ist immer gefährdet. Hauptsache, ich bleibe der Landesherr. Die beiden sind vermutlich Freundinnen, bemühe ich mich erneut um Verständnis. Und ich liege ihnen im Weg, weil ich mich mitten auf dem kleinen Plateau breitgemacht habe. Eigentlich schon unverschämt, bin ich doch nur Gast an dieser Küste.

Meine rechte Nachbarin reicht meiner linken Nachbarin ihre offene Zigarettenschachtel rüber, aus der die Freundin sich mit einem freudigen Lächeln bedient. Mit Filter, sehe ich. Aha, nicht die ganz hartgesottenen Raucherinnen. Beim Zurückreichen fällt eine Zigarette aus der offenen Packung mir auf den Bauch. Macht nichts, macht nichts, lächle ich mit einem freundlichen Kopfnicken. Ob ich sie behalten will, fragen die so intensiven wie stummen Blicke von rechts und von links. Aha, die herabgefallene Zigarette auf meinem Bauch als ein Geschenk. Also eine Einladung, ihr Mitraucher zu sein. Doch ich schüttel den Kopf, immer noch stumm. Ich kann mich doch nicht als Nichtraucher bezeichnen, wo das Rauchen für die beiden Schönen so etwas Selbstverständliches ist. Mich nicht unnötig klein machen, wo schon mein Badetuchreich verkleinert worden ist.

Die rechts neben mir langt mit ihrer freien rechten Hand rüber und grapscht mit den von überlangen Fingernägeln gezierten Dünnfingern nach der Zigarette. Was mich plötzlich tiefer Luft holen und die Zigarette zur anderen Seite von meinem Bauch runterrollen lässt. Da muss die Schöne sich mit dem ganzen Arm über mich legen, um an ihre Zigarette zu kommen. Und ich muss mich ein wenig zu ihr hin drehen, damit ich das Fundstück nicht mit der Hüfte zerdrücke. So kommen wir für einen klitzekleinen Moment Brust an Brust zu liegen, und ich spüre das Kribbelkrabbel der suchenden Finger an meiner Seite.

Die beiden Freundinnen lachen fröhlich los und übertönen damit mein verlegen und viel zu leise gemurmeltes: Pardon. Die Linke reicht der Rechten über mich hinweg ihr Feuerzeug und streift dabei meinen Arm. Die Freundin lehnt sich gegen mich, um das Ding entgegenzunehmen. Wohl, damit es nicht auch noch auf mich fällt. Ob die Rechte weiß, was die Linke tut, kommt mir ein störender Spruch in den Sinn. Ich stelle fest: Mein Badetuchland ist bei diesen umständlichen Rauchvorbereitungen schon auf mein persönliches Slim-Format zusammengeschrumpft. Dabei werde ich groß und größer. Nicht zu übersehen, meine Männlichkeit ist nicht mehr mit mir einig und probt den Aufstand. Keine stolze Neutralität mehr, keine Splendid Isolation. Dabei wollte ich doch bloß meine Ruhe haben. Ich muss mich hastig herumdrehen, muss auf dem Bauch liegen.

Was mir aber nichts nützt. Die beiden sprechen lebhaft über mich hinweg, sprechen von einem Mann, an dessen Männlichkeit sie Zweifel haben, sprechen vom anderen Ufer, sprechen aber wohl nicht über mich, stelle ich fest. Ein wenig erleichtert kann ich ihnen jetzt zuhören. Die Schönen haben sich soviel Wichtiges zu sagen, vielleicht auch Wahres und sogar Gutes. Weshalb sie sich nicht einmal von dem Mann zwischen ihnen und von den Leuten stören lassen, die mit großen Schritten über sie und über mich hinwegsteigen, um ans Wasser zu gelangen.

Als dann ein nasser Wasserball auf meinem Rücken landet, ein federleichtes, kaltes Platsch, balgen meine beiden Nachbarinnen sich um ihn. Das dicke runde Ding, so nass, ist offenbar nicht so leicht zu ergreifen mit den Langnägelfingern. Ein fröhlicher Wettbewerb, der auf meinem Rücken ausgetragen wird. Ich springe auf und sehe die Rechte so gespielt empört an, wie die gespielt empört auf meine Badehose starrt. Weshalb ich mich hastig umdrehe, was mir aber bei der Linken den gleichen durchschlagenden Erfolg einbringt. Da bleibt mir nur die Flucht. Wobei ich mein schönes Badetuch mit dem übergroßen Zitronenbild zurücklassen muss.

Ach, nein, das liegt doch schon Jahre zurück. Und das war das andere Badetuch, das liegen geblieben ist. Das mit der übergroßen Banane. Das Zitronentuch habe ich ja noch. Aber wie gerne würde ich es opfern, wenn nur endlich wieder Sommer wäre und sie aus ihren Löchern kämen, die Schönen und Fröhlichen. Ich hätte nichts dagegen, wenn sie sich um einen Wasserball balgten. Wenn ich nur endlich erlöst wäre von meinen wehmütigen Blicken auf die rostbraunen Dächer Mallorcas mit den Mönch-Und-Nonne-Ziegeln. Und auf die Windmühlen, die einsam und verlassen in der Landschaft stehen, wie vergessene große Sonnenblumen. Wenn sie doch nur endlich wieder ihre Badetücher auf dem Betonplateau über den zernagten Klippen gegen den Wind halten würden, damit sie sich schön glatt ausbreiten lassen, so raumgreifend wie möglich. Wenn sie ihre Zigaretten und Feuerzeuge hinüber und herüber reichen würden. Ich würde mich sogar dazu überwinden mitzurauchen, wenn nur endlich dieses lange Überwintern zu Ende ginge, dieses Leben in Warteschleife zwischen der Freundin des einen Sommers und der Freundin des nächsten Sommers.

 

 

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