635. Ausgabe

Bei uns werden die nächsten Wahlkämpfe lahm ausfallen. Welcher Spitzenpolitiker ist denn noch scharf darauf, wiedergewählt zu werden, nachdem ihm Peer Steinbrück vorgemacht hat, dass man nach dem Verlust von Amt und Würden mit immer denselben paar Vorträgen, die man aus der Schublade zieht, weit mehr Geld einnehmen kann – auf viel bequemere Weise und ohne jede Verantwortung.

Unsere Spitzenpolitiker trauerten in Berlin an dem viel zu spät fertiggestellten Mahnmal für die mehreren Hunderttausend von den Nazis ermordeten Zigeuner und vermieden es dabei hartnäckig, diese Menschen so zu bezeichnen, wie sie selbst sich nennen. Die Politiker blieben bei den Verlegenheitsbezeichnungen Sinti und Roma. Gleichzeitig bemühen sie sich, den stark angewachsenen Einwandererstrom aus Serbien und Mazedonien zu stoppen, bei dem nicht gesagt wird, dass es sich hauptsächlich um Zigeuner handelt. So und so steckt in der Vermeidung des traditionellen und alles andere als abwertenden Begriffs Zigeuner die Diskriminierung, die man eigentlich vermeiden will.

Da wird in Brüssel ein ganz großes Rad gedreht. Ihren Lutschtabak Snus, ein Genussmittel, das in 26 der 27 EU-Staaten nicht nur verboten ist, sondern auch fast völlig unbekannt, wollen die Schweden überallhin exportieren dürfen. Dafür setzen sie alle möglichen und unmöglichen Hebel in Bewegung. Ein EU-Kommissar, den die schwedischen Lobbyisten zu bestechen versucht hatten, ist deshalb schon zurückgetreten. Nach den Exporterfolgen mit Schwedenstahl, Schwedenmöbeln und Schwedenkrimis soll ganz Europa auch noch schwedische Tabakkügelchen lutschen. Aber die meisten Europäer bleiben immer noch lieber beim Daumenlutschen.

Unsere Hochschulen haben sich jahrelang damit gebrüstet, dass sie dieses und jenes Fach auf Englisch unterrichten, um mehr ausländische Studenten anzuziehen. Jetzt müssen manche Hochschulen zurückrudern. Viele ausländische Studenten hatten nach dem Studienabschluss in Deutschland bleiben wollen, fanden dann aber keine Anstellung, weil sie nicht genügend Deutsch konnten. Ein peinliches Versagen der deutschen Hochschulen.

Fast fünfzehn Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Okay, die beschweren sich dann auch nicht bei mir, wenn ich sage: Das ist eine Schande.

Die EU hat im Jahre 2002 die Devise ausgegeben: Muttersprache plus 2. Jeder Europäer sollte neben seiner Muttersprache zwei weitere Sprachen beherrschen. Nach zehn Jahren kann man den meisten Europäern die Note geben: Muttersprache 4 minus, und in einer Fremdsprache noch schlechter.

Ein Überraschungsei: Der Mann der satirischen Heute-Show, der mit der superhohen Stirn, ist als Fußball-Kommentator im Stadion zu sehen. Was lehrt uns das? Man darf in Deutschland alles auf die Schippe nehmen, nur den Fußball, den muss man ernst nehmen.

Das Schreckliche an Gefangenschaft ist seit eh und je das Zurückgeworfensein auf seine Selbstgespräche, die man auch noch zu unterdrücken versucht, weil man Lauscher vermutet, und auf seinen sexuellen Kitzel, bei dem man Beobachter fürchten muss. Erstaunlich: Heute ziehen immer mehr Menschen freiwillig diese Lebensform dem Leben in Gemeinschaft vor, jedoch ohne Angst vor Lauschern und Beobachtern. Sie führen Ein-Personen-Haushalte und nennen sich stolz Singles.

Die Kosmetikindustrie bemüht sich mit ihren Anti-Aging-Produkten, uns jünger aussehen zu lassen als wir sind. Doch der Gesetzgeber, die Werbung und die Journaille lassen uns alt aussehen, indem sie uns die gewohnten Begriffe rauben. Die Volksschule ist schon weit weg, wie auch der Lehrling, das Zuchthaus wurde zum Gefängnis, die Liebe zur Beziehung, das Fahrrad zum Bike und der Turnschuh zum Weiß-der Teufel-was-alles. Wer heute noch die altgewohnten Begriffe benutzt, sieht sehr alt aus.

In Mannheim wie in vielen anderen Städten hat man die Tage, an denen jeder seinen Sperrmüll vors Haus stellen darf, abgeschafft. Angeblich aus Sorge um das saubere Straßenbild, in Wahrheit hat man damit den florierenden Handel mit hauptsächlich von Ausländern eingesammelten Gebrauchtwaren abgewürgt, um dem etablierten Einzelhandel etwas Gutes zu tun. Und es gibt auch nicht mehr die kleine Freude über ein Fundstück, das man gerade brauchen kann. Weil ich es nicht über mich bringe, gut erhaltene alte Sachen der Müllabfuhr zu übergeben, kann ich nun nichts mehr loswerden – deshalb aber auch nichts Neues kaufen.

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