603. Ausgabe

Die Journaille von Bild bis Spiegel genau wie Funk und Fernsehen kommen uns mit Geschrei wie Absturz des DAX im freien Fall oder Ausverkauf an Aktienmärkten oder Schwarzer Montag für Anleger und verraten damit nicht nur ihre verständliche Sensationsgier, sondern auch fehlende Wirtschaftskenntnisse. Denn der DAX ist das Abbild von Angebot und Nachfrage, das bedeutet, dass jedem Verkäufer ein Käufer gegenübersteht, und für den Käufer ist ein Wochentag fallender Kurse kein Schwarzer Tag, sondern ein Goldener Tag. Der Wert der an der Börse gehandelten Unternehmen hat sich ja nicht geändert, bloß ihr Kaufpreis. Das heißt: Schon lange konnte man nicht mehr so günstig Teile der Unternehmen kaufen wie an dem Tag der fallenden Kurse.

Streik der Fluglotsen oder nicht? Was schon als Drohung zu gewaltigen Turbulenzen führt, ließe sich leicht vermeiden. Die Deutsche Flugsicherung DFS mit ihrem Sitz in Langen bei Frankfurt ist zwar eine GmbH, aber voll im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Ihre gut besoldeten Fachleute, die Fluglotsen, nehmen als eine Sonderpolizei hoheitliche Aufgaben wahr. Wenn unsere Politiker einmal den Mut aufbrächten, etwas Gescheites auf den Weg zu bringen, dann würden sie diese Fachleute zu Beamten machen, was sie früher schon einmal waren. Denn Beamte können nicht streiken. Der Vorschlag: Verbeamtung gilt auch für einige andere Gruppen von Fachleuten, die wie die Fluglotsen an den empfindlichsten Stellen des Staates arbeiten und mit einem Streik katastrophale Zustände herbeiführen könnten, wie etwa Piloten und die Leute in den großen Rechenzentren, den Wasserwerken, Klärwerken und der Müllabfuhr. Es wäre richtiger, diese Leute zu Beamten zu machen statt Theaterdirektoren, Pfarrer, Stadtgärtner usw.

Saddam Hussein am Galgen, Mubarak vor Gericht, die Kriegsverbrecher des Balkankriegs in Den Haag in Haft, es ist die Frage, ob solche Fernsehbilder die nächsten Brutalos, wie etwa den Syrer Baschar al Assad, dazu bringen werden, sich aus Angst vor der mit Sicherheit zu erwartenden Bestrafung mehr zurückzuhalten und den Weg ins Exil zu wählen, oder ob diese Bilder sie im Kampf um den Erhalt ihrer Macht nur umso rabiater vorgehen lassen. Damit bekommt die uralte Frage der Strafrechtswissenschaftler, ob Strafandrohung abschreckend wirkt oder nicht, eine neue Ausrichtung: Im Falle von Machthabern statt normalen Kriminellen kann die Aussicht auf härteste Bestrafung kontraproduktiv sein, weil sie zum Einsatz von noch mehr krimineller Energie führen kann.

In Norwegen drehen Passanten an den Zeitungskiosken die Zeitungen um, die auf der Titelseite groß das Bild und den Namen des Massenmörders von Oslo bringen. Und manche Händler machen von sich aus mit. Was die Zeitungsherausgeber nicht verstehen wollen. Die Journalisten kennen nichts Wichtigeres als Leute groß herauszustellen, und Nachdenklichkeit ist nicht ihre Sache. Auch bei uns haben sich die Sprecher von Funk und Fernsehen dabei überschlagen, in jedem kleinen Bericht mindestens fünfmal den Namen des Attentäters zu nennen, mit Vornamen und Mittelnamen und möglichst noch in norwegischer Original-Aussprache. Da beweist das norwegische Volk mehr Einsicht. Warum einem Verbrecher unnötig zu der Prominenz verhelfen, auf die er es angelegt hat? Wir sollten vom Judentum lernen, in dem noch die Vorstellung von der härtesten Strafe lebt, zu der ein Schwerverbrecher verurteilt wird: Seines Namens soll nicht gedacht werden!

Unsere Massenmedien können gar nicht genug Trara um den Fußball machen, um davon abzulenken, dass die scheinbar so mächtigen Akteure Merkel, Barroso, Trichet und Company von den internationalen Banken am Nasenring geführt und zu einem Fehler nach dem anderen gezwungen werden. Erst der Bruch des Vertrages von Lissabon, dann ein Rettungsschirm nach dem anderen, schließlich die Selbstaufgabe der Europäischen Zentralbank, die uns endlich in der Transferunion ankommen lässt, in der es heißt: Wer noch arbeitet und spart, ist selbst schuld an seinem Unglück.

Deutschland – Entwicklungsland. Jahrelang hieß es in der Presse: Das deutsche Krankenhaus ist krank. Weil es angeblich nicht mehr zu finanzieren war. Jetzt heißt es: Das deutsche Krankenhaus macht krank. Denn Jahr für Jahr holen sich zwischen 400 000 und 600 000 Menschen in unseren Krankenhäusern gefährliche Krankheiten, woran pro Jahr 15 000 Menschen sterben. Die Verwalter der Kliniken haben einfach weniger Seife für das Händewaschen des medizinischen Personals gekauft und auch bei anderen eigentlich selbstverständlichen Hygienemaßnahmen eisern gespart, und schon hat sich die Bettenauslastung und damit die Finanzierung der Kliniken entscheidend gebessert.

Schon lange weiß man: Selbständige und Freiberufler sind weniger häufig krank als unselbständig Beschäftigte. Aber dass Arbeitslose mit Abstand mehr krank sind und die meisten Medikamente verschrieben bekommen, hat jetzt erst die Techniker-Krankenkasse festgestellt. Ihr Resümee: Arbeitslosigkeit macht krank. Da kann man sich ein Lächeln kaum verkneifen – und den guten Rat: Die Krankenkassen sollten hilfreiche Tipps geben, wie man mit mehr Schwarzarbeit das Krankwerden vermeidet.

Wir haben, las ich in der Zeitung, eine starke Zunahme von psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zu beklagen und gleichzeitig eine wachsende Anzahl von psychologischen Praxen zu registrieren. Das wirft für mich die alte Frage von Huhn und Ei neu auf.

Wir Normalbürger sind auf dem Weg zu einer neuen Leibeigenschaft. Von allen Seiten wird versucht, uns noch mehr Geld abzunehmen. Eine Stadt nach der anderen erhebt eine Extrasteuer für die Zweitwohnung und eine Bettensteuer für Hotelübernachtungen, die Fernsehgebühr wird anders berechnet und damit höher, und die Autobahnmaut kommt immer mehr ins Gespräch. Dabei gehört Deutschland schon zu den sechs EU-Staaten, in denen der Staat mehr als die Hälfte des von den Steuerzahlern erwirtschafteten Einkommens kassiert. Und nachdem die liberale Partei sich ins Abseits manövriert hat, ist auch niemand mehr zu sehen, der dafür sorgt, dass der Staat zurückgeschnitten wird.

Habe mit einigen Leuten aus der weiteren Nachbarschaft zusammengesessen, die als Berufsbezeichnung Schriftsteller angeben. Sie sprachen von top und flyer und meeting und award und background. Und als ich erwähnte, dass mein Internet-Magazin in rund achtzig Ländern der Erde gelesen wird, kam prompt die Frage: In welcher Sprache? – Natürlich in meiner Sprache, in Deutsch. –Aber dass eine Internet-Publikation in deutscher Sprache weltweit ihre Leser findet, stieß auf ungläubiges Staunen. Das zeigte mir: Über die Sprache ist es ganz einfach, Deutschland abzuschaffen. Da braucht man gar nicht zu überlegen.

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