Ulysses

(Ulysses, GB 1967, 120 Minuten, Regie: Joseph Strick, nach dem Roman von James Joyce)

Wer sich den Film ansieht, weil er meint, auf bequeme Weise in nur zwei Stunden das goutieren zu können, was ihn bei der Lektüre des Buches Wochen kosten würde, der irrt. Er bekommt nur Appetithäppchen, und ob die ihm schmecken oder am Gaumen kleben bleiben oder heftiges Sodbrennen verursachen, das ist eine Frage seiner Konstitution.

Die 24 Stunden im Leben des jüdischen Anzeigenaquisiteurs Leopold Bloom hat der irische Autor James Joyce (1882-1941) in siebenjähriger Arbeit zu einem Tausend-Seiten-Roman von beinahe einmaliger Dichte verarbeitet. Und der Film bemüht sich, dieses vielbewunderte Werk der Verdichtung in einer noch weiter komprimierten Form darzubieten. Dabei läßt er den am 16. Juni 1904 sich in Dublin herumtreibenden gutmütigen Protagonisten durch die intensiven Banalkontakte mit seinen Mitmenschen so klein werden, wie er ihn durch die Hintergrundfolie Odysseus groß macht. Homers Odyssee tritt immer wieder mit ihrem bekannten Personal, dem einäugigen Polyphem, der Circe, der Calypso, den Sirenen, den in Schweine verwandelten Gefährten, der Nausikaa, der wartenden Penelope und so weiter, in den Vordergrund. Gleichzeitig scheinen die Zeitbezüge vom Anfang des 20. Jahrhunderts durch, die Arroganz der über die irische Insel herrschenden Briten, der überall virulente Antisemitismus, die dumpfe Religiosität, die in den Alkoholismus führende Existenznot der Iren.

Auch was Joyce in der Nachfolge der großen russischen Erzähler an literarisierter Tiefenpsychologie bringt, hat der Film aufgegriffen und in eindrucksvolle Szenen umgesetzt. Freud in Bildersprache. Und sogar an das eigentlich literarische Experiment hat der Film sich herangewagt, an dieses artistische Spiel mit den Erzählformen. Mutig und höchst ungewöhnlich fürs Kino der abrupte Wechsel vom Erzählen zum Assoziieren, zum verhörmäßigen Gegeneinander von Frage und Antwort, von dramatischer Darstellung bis hin zum großen inneren Monolog der Molly Bloom. Nur selten hat man den Eindruck, daß der Film bloße Verlegenheitsbebilderung bringt, meist ist die Visualisierung eine Bereicherung. Wenn der Film auch keine eigentliche Handlung bietet, vergeht dem Zuschauer doch die Zeit im Fluge, und sei es nur, weil er ständig auf den Beginn der Handlung wartet – obwohl er wissen sollte, daß auch das Buch keine hat.

Ist der Film also geglückt? Allenfalls als Anregung, mal wieder in das Buch hineinzuschauen. Lesen, irgendwo loslesen, sich wieder einfangen lassen von diesem alle Grenzen sprengenden Palaver, dessen Reiz darin besteht, daß die Sprache den Rang eines Grundelements einnimmt, noch vor Luft, Wasser, Feuer und Erde rangierend. Sprache, so vielfältig geschliffen und in den unterschiedlichsten Idiomen gespiegelt, daß sie Zeile für Zeile mit neuen Überraschungen aufwarten kann. Zumindest, wenn man in der Lage ist, das Original zu lesen, oder aber die kongeniale Übertragung ins Deutsche von Hans Wollschläger vor sich hat.

Falls Buch und Film einen Sinn haben sollten, ist er jedenfalls nicht leicht zu finden. Möglich, daß man nur durch ein Umwegdenken James Joyce auf die Schliche kommt. Etwa durch die Frage, warum er ausgerechnet einen Juden zu seiner Hauptfigur gemacht hat, also einen Außenseiter der Dubliner Gesellschaft. Wo er doch diesen Leopold Bloom zu seinem Herrn Jedermann macht. Das, was Joyce den Juden nachsagen läßt, nämlich daß sie nur an sich denken und daß sie wie der ewige Jude Ahasver immer unterwegs sind, könnte damit auf eine perfide Weise generalisiert worden sein im Sinne von: Wir alle denken nur immer an uns und sind wie Ahasver stets unterwegs.

Möglich aber auch, daß Joyce darauf verzichtet hat, in seinen großen Roman einen Sinn hineinzupacken. Sprachäquilibristik auf höchster Ebene, das könnte dem Sprachmaniak vollauf genügt haben. Also l’art pour l’art, vermengt mit zwielichtiger Erinnerung an seine Heimat, immerhin handelt es sich um ein Stück Exilliteratur, und der Autor hatte ein ambivalentes Verhältnis zu seinem Vaterland, und mit sehr viel Verachtung für seine Mitmenschen, die er bekanntlich fast nur im alkoholisierten Zustand ertragen konnte.

Der Regisseur hielt sich brav ans Buch, oft wörtlich, und machte wie der Autor nur in Realismus, ohne jede Stellungnahme. Was für den, der das Buch zumindest angelesen hat, viele freudige Wiederbegegnungen bringt. Kein Wunder aber, daß der sehr freizügig bis obszön parlierende Film, der sogar  bei uns erst mit 13 Jahren Verspätung in die Kinos kam, in Irland noch bis zum Jahre 2000 verboten war.

Das Buch, wahrhaftig alles andere als die ideale Drehbuchvorlage, wurde 1980-82 sogar ein zweites Mal verfilmt, und zwar von dem deutschen Experimentalfilmer Werner Nekes. Der Titel seines 94-Minuten-Films: Uliisses. Bemerkenswert, weil das der Versuch war, die Joycesche Sprachraffinesse durch adäquate filmtechnische Experimente wiederzugeben. Also keine Literaturverfilmung, sondern Transponierung der Beschreibung in eine andere Kunstform.

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