Molière

(Molière, F/2006, Komödie, Drehbuch: Laurent Tirard und Grégoire Vigneron, Regie: Laurent Tirard)

Sich mit Molière zu befassen, heißt die Kronjuwelen Frankreichs zu berühren. Was ein Dutzend andere Filmemacher vor ihnen gewagt haben, mal mehr hymnisch, mal mehr kritisch, das packen die Autoren Grégoire Vigneron und Laurent Tirard mit einer erstaunlichen Gerissenheit an. Geht es doch darum, Erklärungen zu finden für die Merkwürdigkeiten eines Lebenslaufs zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beispielsweise dafür, dass der junge und aus kleinsten Verhältnissen stammende Pariser Dichter und Schauspieler Jean-Baptiste Poquelin Molière (1622-1673) eine humanistische Ausbildung erhielt und sogar ein Studium der Rechte absolvierte. Eine Merkwürdigkeit auch, dass dieser junge Akademiker dann ein Theater gründete, sich für fähig hielt, große Tragödien zu kreieren, prompt einen Bankrott hinlegte und anschließend mit einer Wanderbühne die Provinz bereiste, wo seine ersten Stücke in der Tradition der Farce entstanden. Und eine weitere Merkwürdigkeit war, dass sein haarsträubendes Stück „Tartuffe oder Der Heuchler“ als so skandalös empfunden wurde, dass er es zweimal umschreiben musste, ehe es endlich 1669 in Paris aufgeführt werden konnte, das auch nur durch die gnädige Intervention des Königs Ludwig XIV. Dabei hatte es schon Forderungen gegeben, den Autor auf den Scheiterhaufen zu bringen, und auch die Exkommunikation war schon verlangt worden. Doch dann wurde „Tartuffe“ das meistgespielte Theaterstück seiner Zeit, und damit für Molière seine einträglichste Arbeit.

„Tartuffe“ wurde zum Spottnamen für Frömmler aller Art, für die wahrhaftig Frommen wie für die Leute, die es bloß geschickt fanden, den Frommen zu spielen. Ein Stück, das die Tradition der Farce und der Commedia dell’arte überhöhte, indem es die Akteure plastischer werden ließ, sie also über die Prototypen hinaushob, die das Publikum gewohnt war, was dem „Tartuffe“ die Bezeichnung Charakterkomödie einbrachte.

Zumindest für den Entwicklungssprung, den Molière von der Farce zur Charakterkomödie gemacht hat, bietet dieser Film eine plausible Erklärung. Er lässt den jungen hochverschuldeten Dichter namens Tartuffe in den Kerker werfen und schickt ihm dorthin einen Boten des reichen Geschäftsmannes Jordain, der sich in hemmungsloser Liebe zu der wohlhabenden und einen vornehmen Salon führenden Marquise Célimène hingezogen fühlt, sich aber nicht vor ihr aufzutreten traut. Der Reiche will den Schauspieler freikaufen, wenn der ihm auf die Schnelle seine schauspielerischen Künste so gut beibringt, dass ihm damit das Herz der Geliebten zu erobern gelingt. Ein Geschäft, das der im Kerker schmachtende Schauspieler nolens volens akzeptiert. Als falscher Geistlicher und Privatlehrer des Töchterchens kommt er in den pompösen Haushalt des reichen Mannes, was bei dessen Frau und bei der Tochter auf Ablehnung stößt. Der reiche Jordain wird von einem verarmten Adligen ausgenommen, der ihm angeblich als Freund bei der Werbung um die Braut behilflich ist, in Wahrheit aber nur daran interessiert ist, seinen Sohn mit der Tochter des Reichen zu verheiraten. Es kommt zu den üblichen komödienhaften Verwicklungen. Tartuffe und Heuchler sind sie alle, der Reiche wie der Adlige wie das Töchterchen und wie seine Frau und der falsche Geistliche sowieso. Aber es kommt auch zu einer echten Zuneigung von Jordains Frau zu dem falschen Pfaffen, der sie zu verführen versucht hat. Doch dann trennt sie sich in überlegener Haltung von ihm. Und er kehrt zu seiner fahrenden Schauspielertruppe zurück. Molière schreibt seine Erfahrung als falscher Pfaffe und Hauslehrer und Verführer nieder, aber in der drastisch entlarvenden Art, die ihm zweimal ein Verbot einbringt.

Dreizehn Jahre nach dem Abschied lässt Madame Jordain den Autor an ihr Sterbebett rufen. In dieser Schlusseinstellung gibt sie ihm als ihr Quasi-Vermächtnis den Auftrag, den Menschen Theaterstücke zu schenken, die keine Tragödien sind, sondern Komödien mit ernstem Hintergrund. Als er meint, das gebe es nicht, Komödien über etwas, was eigentlich zum Weinen ist, sagt sie, dann solle er es schreiben. Damit ist die quasi „ernsthafte“ Komödie erfunden. Sie heißt „Tartuffe oder Der Heuchler“.

Durch die jahrelangen verbissenen Widerstände war der Autor zu der grundsätzlichen Einsicht gebracht worden: „Die Aufgabe der Komödie ist es, die Menschen durch Kritik ihrer Laster zu bessern.“ Er glaubte felsenfest daran, das Theater habe die Kraft der Besserung der Menschen. Aus dieser Überzeugung heraus begründete er einen neuen Komödienstil. Er brachte erstmals sowohl drastische Komik als auch gehobene Reflexion in eine Komödie. Damit erreichte er alle Bildungsschichten – und wurde eine Berühmtheit, zwar erst spät, dafür aber umso überwältigender.

Mag diese erfundene Erklärung für die erstaunliche Entwicklung Molières einiges an Wahrscheinlichkeit haben oder nicht, das ist unerheblich. Jedenfalls ist sie in sich plausibel als Erklärung für die Wandlung eines Possenreißers zum Autor von Komödien mit Weltgeltung – und das sogar nachhaltig. Insofern hat dieser Film über Molière Positives geleistet für die Annäherung des Kinogängers von heute an einen der größten Autoren der französischen Klassik. Und das in amüsanter Erzählmanier, mit großer Ausstattung und in entsprechend eindrucksvollen Bildern.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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