Die Päpstin

(Pope Joan, D/GB/I/E 2009, 148 Minuten, Drehbuch: Sönke Wortmann und Heinrich Hadding; Regie: Sönke Wortmann; nach dem gleichnamigen Roman von Donna W. Cross)

Wirklich überzeugend zeigt dieser Film, wie schwer das Leben in Mitteleuropa im Mittelalter war. Hunger und Krankheit und Mord und Totschlag, Falschheit und Verbohrtheit rundum. Ein Menschenleben war beinahe ohne jeden Wert. Wirklich überzeugend zeigt dieser Film aber auch, wie schwierig es ist, aus einem Trivialroman ein ansehnliches Filmepos zu machen. Weil im Trivialroman auf historische Wahrheit wenig Wert gelegt wird. Geht es doch nur darum, die Vorstellungen und Meinungen der Leser und vor allem Leserinnen von heute zu bestätigen, ohne die kein Massenerfolg einzufahren ist.

„Pope Joan“, der historische Roman der Amerikanerin Donna Woolfolk Cross, Jahrgang 1947, erschien im Jahre 1996. Obwohl das Thema bereits durch  Boccaccio und Hans Sachs, Achim von Arnim und Bertold Brecht ausgelutscht war, wurde ihr Buch ein Weltbestseller. Was kein Wunder ist. Das Buch entspricht exakt den Vorgaben, die Literaturagenten den Autoren diktieren, die historische Bestseller schreiben wollen: Als Protagonistin eine junge emanzipierte Frau, die viel leidet und innig liebt und sich in überlegener Haltung durchsetzt, aber niemals etwas Böses tun darf, damit das Idealbild einer Frau nicht beschädigt wird. Und all das bis zum letzten Sonnenstrahl auf möglichst vielen hundert Seiten breitgetreten. Solche Bestseller zu produzieren, das ist heute auf beiden Seiten des Atlantiks gerade im Genre des historischen Romans das Ziel der meisten Schreiberinnen und Schreiber. So ist das Buch der Amerikanerin nach bewährtem Schwachsinn-Rezept zustande gekommen, danach auch dieser wilde Action-Film, der uns ins 9. Jahrhundert und an den Rhein, nach Fulda und Rom entführt, dabei aber einen Fehlgriff nach dem anderen begeht:

Das ungewöhnlich begabte Mädchen Johanna kommt trotz des brutalen Widerstandes ihres fanatisch frommen Vaters als Bruder Johannes Anglicus verkleidet ins Benediktinerkloster Fulda und wird über Jahre nicht enttarnt, obwohl einer der Mönche das falsche Spiel längst durchschaut hat. Alle anderen scheinen mit Blindheit geschlagen zu sein.

Wie Johanna als Bruder Johannes Anglicus in Rom den scheinbar todkranken Papst Sergius II. durch eine radikale Umstellung der Ernährung von seinen Gichtschmerzen befreit, das entspringt einer Denkweise, die aus einer modernen Soap Opera stammen muss.

Die frühe Bastelarbeit, mit der Johanna, das auf Graswurzelniveau lebende Kind armer Leute, am perfekt gebauten Modell per Wasserkraft eine Tür bewegen kann, ist am Ende das, was als Zeichen des Himmels den Streit um die Zwei-Schwerter-Lehre zwischen Papst Sergius II. und Kaiser Lothar I. entscheidet. Dabei war das Besondere der Johanna nicht die technische Begabung, sondern ihre schnelle Auffassungsgabe beim Schreiben und Lesen in Latein und Griechisch.

Dass Johanna  als der Fremdling Johannes Anglicus vom Volk Roms durch  Akklamation zum Papst gewählt wird, ist so schön demokratisch wie unglaubhaft, weil der Film schon gezeigt hat, wie die führenden Familien Roms in einem rabiaten Machtpoker die Papstnachfolge unter sich auskungeln. Das Recht zur Papstwahl war damals bereits auf die lateinischen Stände Roms beschränkt worden.

Als erstes eine Schule für Mädchen zu gründen, um deren Minderbewertung abzuschaffen, hätte sich die Päpstin, die ständig Angst vor Entdeckung haben musste, natürlich verkniffen. Nach dem Motto: Keine schlafenden Hunde wecken. Aber das um rund tausend Jahre vorverlegte emanzipatorische Selbstverständnis der Frau musste sein, weil hauptsächlich emanzipierte Frauen den Schmöker und den danach gedrehten Film goutieren sollen.

Und ein Liebesverhältnis muss natürlich auch sein. Aber dass ihr Liebhaber, den sie als Päpstin zum Hauptmann der Papstgarde gemacht hat, anders als im Roman alleine gegen die Störer der Prozession ankämpfen muss, obwohl gesagt worden war, dass die Garde ihm treu ergeben sei, ist völlig unglaubhaft. Der heimlich Geliebte wird gleichzeitig mit ihrem Tod bei einer Fehlgeburt auf der Prozessionsstraße in der Nachbarschaft erschlagen.

Dass die Päpstin Johanna in der nach ihrem Tode geschriebenen Chronik der Päpste, dem Liber Pontificalis, nicht genannt wurde, musste nicht mit der persönlichen Feindschaft und Rachsucht des Chronisten gegenüber Johanna erklärt werden, weil diese Unterschlagung – egal, ob es die Päpstin gegeben hat oder nicht – aus Rücksicht auf das Prestige der Kirche ohnehin selbstverständlich war.

Aber wenigstens in einem Punkt wächst der Film über die Buchvorlage hinaus. Die uns alle ständig umtreibende Frage, ob es wirklich einmal eine Päpstin gegeben hat, ist für jeden, der das Kino verlässt, beantwortet. Er hat sie ja leibhaftig vor sich gesehen, die Päpstin Johanna. Und sie war sogar recht hübsch.

So kommt die andere Frage überhaupt nicht auf, nämlich warum so ein in Hollywood-Manier fabrizierter 25-Millonen-Euro-Schmarren, der so tut, als könnte er aus dem falschen Blickwinkel von heute das Vorgestern erklären, aus etlichen Filmfördertöpfen mit unseren Steuergeldern finanziert wurde.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)


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