Klaus Modick: Bestseller

Pfiffig

(Klaus Modick: Bestseller, Roman, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015, Taschenbuch, 282 Seiten)

Wenn ein Schriftsteller sein Buch „Bestseller“ nennt, hat das auf Anhieb ein Geschmäckle. Doch liest man gnädig los in dem angeblichen „Bestseller“, weil man weiß, dass der Autor kein Anfänger im Romanschreiben ist, und wird für dieses Entgegenkommen auf den ersten zwanzig Seiten mit so weitschweifigem Geschwafel bestraft, dass man das Buch zunächst einmal weglegt. Erst beim neuen Zugriff, um nur ja nichts Halbes zu machen, wird man mit dem Anfang einer Geschichte belohnt. Da ist man aber schon im Kapitel 3. Der Autor war mit diesem Lahmstart verdammt mutig, sagt man sich dann. Und: Das Lektorat des Verlags muss überm freundlichen Augenzudrücken eingeschlafen sein.

Immerhin sind in dem langen Vorgeplänkel schon einige Autorennamen genannt worden, neben ein paar kritischen Hinweisen auf die Literaturkritik und das Schreiben. Interessante Erfahrungen eines Kenners der Buchindustrie, hier erfreulich sarkastisch serviert. Das schmeckt einem Insider natürlich. Also liest man weiter. Mit dem Erfolg, dass man auf Seite 177 endlich das findet, was man früher den geschürzten Knoten nannte und heute den Plot Point 1. Der Ausdruck stammt zwar aus dem Filmhandwerk, ist hier aber angebracht, weil Modick selbst das Werk, das nun gestartet wird, hin und wieder als Drehbuchschreiben bezeichnet. Beim Film steht der Plot Point 1 in der Regel am Ende des ersten Viertels. Mehr Platz pflegt ein Regisseur für Eye-Catcher und Exposition nicht zu gewähren. Aber da gibt es natürlich auch Ausnahmen, wenn die Problemlage sehr kompliziert ist.

Eine solche Ausnahme ist die traditionell hoch geschätzte Literaturgschaftlhuberei, die Klaus Modick in Kaleidoskopblicken zeigt. Da werden – die einen positiv, die anderen negativ – Walter Kempowski und Arthur Schnitzler sowie Marcel Proust und Fedor Dostojewski erwähnt, daneben Marcel Reich-Ranicki, der große Fälscher George Forestier, sowie Martin Walser mit seiner dezenten Kritik an der Holocaust-Industrie. Da kriegen die jungen blondierten und belanglosen Debütantinnen ihr Fett weg, und alle Betroffenheitsbesoffenheit wird unwirsch abgetan. Modicks Ohrwatschen treffen die Bücherschreiber wie die Bücherproduzenten und die Bücherkritiker. Rundumschläge gegen Geldgier und Ignoranz. Wer mit dem Buchmarkt zu tun hat, kann sich kaum zurückhalten, manche Zeile zu unterstreichen. Und man wundert sich über die Kühnheit des Verlags, der ja seit 2002 nicht mehr zu den unabhängigen Verlagen gehört, sondern selbst Teil eines der großen, den Buchmarkt beherrschenden Konzerne ist.

Dazu hier einige Zitate aus dem Buch: „ … ärgerte ich mich dann noch darüber, dass dem Kollegen X der Fritz-von-Herzmanovsky-Orlando-Literaturpreis (manierierte 22 222 Euro), der Kollegin Y die Ricarda-Huch-Medaille (glatte 10 000 Euro) und dem Kollegen Z, der in diesem Jahr schon den Peter-Bamm-Preis (satte 40 000 Euro) eingeheimst hatte, auch noch die Ehrengabe der Albert-Paris-Gütersloh-Gesellschaft (eine moderne Skulptur) zugeschanzt worden waren. Doch nichts gegen Literaturpreise! Sie treffen zwar oft die falschen Leute, werden aber immer wieder gern genommen – auch von mir, damit’s da gar kein Vertun gibt.“ Oder einen Absatz weiter: „Wirklich glauben und trauen mag den zweimal jährlich eingehenden Abrechnungen vermutlich kein Autor. Das Gefühl, dass da doch etwas nicht stimmen könne, ist chronisch, weil man als Autor nie verifizieren kann, was einem da vor- und abgerechnet wird.“ Und zu der begeisterten Aufnahme des gefälschten Lyrikbändchens „Ich schreibe mein Herz in den Staub der Straße“, das von einem im vietnamesischen Dschungel verschollenen Fremdenlegionär namens Forestier stammen sollte, in Wahrheit aber von dem Düsseldorfer Verlagsangestellten Karl Emmerich Krämer getextet worden war, der damit die gesamte Kritikerkaste blamierte, heißt es bei Modick: „Auf diese schlaue Mystifikation fiel der komplette Literaturbetrieb herein, allen voran die Frankfurter Allgemeine Zeitung.“

Doch beim Sich-Wundern über die rücksichtslose Entlarvung der Literaturindustrie wird man ganz allmählich hineingerissen in eine schön konstruierte Wer-Hätte-Das-Gedacht-Geschichte. Also kein Buch nur für Insider. Ein toller Einfall, der hier selbstverständlich nicht verraten wird, lässt den dreisten Titel des Buches „Bestseller“ berechtigt erscheinen. Mit immer neuen überraschenden Wendungen schafft der Autor es, einen so zu fesseln, dass man am Ende seufzt: „Donnerwetter, das Buch ist ja spannender als ein Krimi – zumindest in der zweiten Hälfte.“

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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