Kitty und die Weltkonferenz

(Kitty und die Weltkonferenz, D 1939, 90 Minuten, Drehbuch: Helmut Käutner nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Stefan Donat, Regie: Helmut Käutner)

Eine simple kleine Komödie ohne besonderen Tiefgang, was schon der Titel verrät. Dass internationale Konferenzen weitgehend dem Vergnügen der Teilnehmer dienen, weiß man schon seit dem Wiener Kongress von 1814/15. Also ein Film, der als abgehakt gelten könnte. Doch war er das Regiedebüt des Schauspielers Helmut Käutner (1908-1980), der einer der großen Filmregisseure werden sollte. Das gibt dem Film eine Bedeutung, die über das Sujet hinausreicht. Immerhin brachte Käutner das erstaunliche Kunststück zustande, sowohl in der Nazizeit große Filme zu drehen als auch in der Nachkriegszeit und in der Bundesrepublik, als er sich sogar mit dem höchst eindrucksvollen Antikriegsfilm „Die letzte Brücke“ (1953) hervortat.

Wenn man das Entstehungsjahr des Films „Kitty und die Weltkonferenz“ liest, 1939, muss man hellhörig werden. Immerhin das Jahr, in dem der Zweite Weltkrieg begann. Der Film hatte seine Premiere am 25. August 1939, also nur wenige Tage vor Kriegsausbruch am 1. September 1939. Er ist schon bald darauf verboten worden, angeblich weil die Figur des britischen Wirtschaftsministers zu positiv dargestellt war. Tatsächlich lebt der Streifen von der väterlich überlegenen Art, in der der fiktive britische Wirtschaftsminister den kindlich ungelenken Versuch der Hotelangestellten Kitty hinnimmt, sich als seine wichtige Mitarbeiterin aufzuspielen, nur um endlich einmal einen Mann für sich zu interessieren. Der Minister macht mit, weil er das naive Mädchen mit dem süßen Herzmündchen und den großen Kulleraugen nicht vor den Kopf stoßen kann. Für ihn nicht nur erholsam, sondern auch besonders reizvoll, weil Kitty überhaupt nicht ahnt, dass sie es mit dem wichtigsten Mann der Wirtschaftskonferenz zu tun hat, die in dem Schweizer Hotel am Luganer See tagt, in dem sie als Maniküre angestellt ist. Dass es um ein von den aufgeregten Journalisten erwartetes englisch-französisches Geheimabkommen geht, kriegt sie nicht mit. Die französische Delegation spielt in dem Film überhaupt keine Rolle, genau wie die amerikanische. Das ist vielsagend. Es geht allein um den britischen Wirtschaftsminister, daneben bloß noch um den lächerlichen Vertreter eines Landes mit Phantasienamen. Als Kitty schließlich erfährt, mit wem sie es zu tun hat, lässt sie sich von der Freundlichkeit des britischen Wirtschaftsministers so einlullen, dass sie dem holländischen Möchtegern-Journalisten, den sie heimlich liebt, eine wichtige Information zukommen lässt, die ihm einen Vorsprung vor allen anderen Journalisten bietet.

Das mit dem prompten Verbot dieses Films nach Kriegsbeginn ist nicht erstaunlich, denn mit den Kriegserklärungen Großbritanniens und Frankreichs am 3. September 1939, also unmittelbar nach dem Beginn des deutschen Einmarsches in Polen, hatte sich die Weltsituation grundlegend geändert. Plötzlich war das britische Königreich einer der Feinde Deutschlands, die Darstellung eines besonders freundlich gezeichneten britischen Ministers also ein Unding.

Viel wichtiger als das Verbot des Films ist, sich einmal klarzumachen, dass überhaupt ein Film mit einem ausgesprochen sympathischen britischen Minister als einer der Hauptpersonen im Jahre 1939 in Deutschland gedreht worden ist. Wie konnte in dem Jahr, in dem die heimlichen Kriegsvorbereitungen in Deutschland auf Hochtouren liefen, so ein Film produziert werden? Stand doch die deutsche Filmwirtschaft damals schon im  sechsten Jahr vollständig unter dem Diktat des Propagandaminister Joseph Goebbels. Und der vertrat eisern die politische Linie seines Chefs Adolf Hitler. Jeder deutsche Kinofilm war im Dritten Reich ein politischer Film. Mal ging es um Ablenkung von Problemen, mal um Opferbereitschaft und Geduld, mal um Nationalbewusstsein und ähnlich Staatstragendes, ganz zuletzt dann nur noch ums Durchhalten. Jedenfalls vertrat der deutsche Film immer das Staatsinteresse. Die Kulturpolitik des Dritten Reiches war kompromisslos totalitär.

Dieser amüsante Streifen „Kitty und die Weltkonferenz“ ist für uns Heutige wichtig, weil er durchaus als ein Beleg dafür betrachtet werden kann, dass Deutschland unter Hitler keinen Krieg gegen England führen wollte. Das gibt diesem Film eine Bedeutung, die weit über das lustige Sujet hinausweist. Joseph Goebbels, der Filmenthusiast und Herr über das kulturelle Geschehen in Deutschland, hat mit diesem Film noch im Jahre 1939 unübersehbar signalisiert, dass Deutschlands Politik sich nicht gegen England richtet. Das ist die klare Aussage dieses Films vom Vorabend des zweiten Weltkriegs. Das entsprach der mehrfach deutlich gewordenen Ambition Hitlers, gemeinsam mit England gegen den für ganz Europa gefährlichen Feind Bolschewismus anzugehen. Hitler hat es für selbstverständlich gehalten, dass England sein Kampfgefährte gegen die Sowjetunion wäre. Noch der Flug seines Stellvertreters Rudolf Hess nach England dürfte aus dieser Sehweise zu erklären sein. Die lebenslange Einkerkerung des Führerstellvertreters durch die Alliierten hatte ja keinen anderen Sinn als den, die Kooperationswünsche Deutschlands für immer unaussprechbar bleiben zu lassen.

Hitler hat mit dieser West-Ost-Sehweise, mag sie realistisch gewesen sein oder nicht, Winston Churchill überschätzt, der nicht gesamteuropäisch dachte, sondern der traditionellen insularen britischen Sehweise verhaftet war. Für Churchill war die Abwehr des Europa bedrohenden Bolschewismus nicht so wichtig, wie die Zerschlagung Deutschlands, weil das die stärkste Wirtschaftmacht im Zentrum Kontinentaleuropas war, die einzig ernsthafte Konkurrenz für England. Mit dieser kurzsichtig englandzentrierten Sehweise hat Churchill zwar dazu beigetragen, in Deutschland ein menschenverachtendes Regime in die Knie zu zwingen, doch hat er sich gleichzeitig mitschuldig gemacht an dem anderen Endergebnis des Zweiten Weltkriegs, nämlich der zwei Generationen langen Einsperrung und Unterjochung von vielen Millionen Menschen unter dem menschenverachtenden Kommunismus hinter dem Eisernen Vorhang. Und das war keine simple kleine Komödie mehr.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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