Buddenbrooks

(Buddenbrooks, BRD 1959, ursprünglich zwei Teile von 99 und 107 Minuten, Fernsehfassung 145 Minuten, Regie: Alfred Weidenmann, Drehbuch: Harald Braun, Jacob Geis und Erika Mann nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Mann)

Ein Schauer lief mir den Rücken herunter, als ich in den 80er Jahren in der Bücherabteilung des Berliner Großkaufhauses KaDeWe hörte, wie eine hübsche junge Frau zu ihrer Freundin sagte: „Och, guck mal, die Buddenbrooks, die jibt et  jetzt och schon als Buch.“ Da wurde wahr und überdeutlich, was der 75jährige Thomas Mann rückblickend zugegeben hatte, nämlich er habe keine Vorstellung davon gehabt, als er die Auflösung eines Bürgerhauses beschrieb, dass er damit viel mehr Auflösung und Endzeit verkündete.

Der Erfolgsroman des jungen Thomas Mann (1875-1955), geschrieben in den Jahren 1897-1900, erschien im Jahre 1901. Er trägt den Untertitel: „Verfall einer Familie.“ Ein umfangreiches Werk, das schon die typische Unart Thomas Manns zeigt, der Romanhandlung Wissenschaftliches und Essayistisches aufzuladen. Was zusammen mit seinem besonderen Schreibstil – lange und kunstvoll verschachtelte Satzkonstruktionen – die Lektüre erschwerte.

Nicht erstaunlich, dass die erste Auflage von 1000 Exemplaren sich schleppend verkaufte und dass der Roman mehrfach verfilmt wurde, um seinen Inhalt auf leichtere Art zugänglich zu machen (1923, 1959, 1979 und 2008). Erstaunlich ist eher, dass sich das Publikum mit dem Gezeigten zufrieden gab. Es hat einfach nicht daran gedacht, die aus dem Deutschunterricht in der Schule geläufige Frage zu stellen: „Was will der Autor uns damit sagen?“ Das ist die Überlegenheit des Bildes. Es okkupiert mit den schönen Aufnahmen von patrizischer Wohnkultur, prächtiger Kleidung, proletarischer Emanzipation und anheimelnder Kutschenfahrt mindestens Dreiviertel der Aufmerksamkeit des Betrachters. Da bleibt für das gehörte Wort nicht mehr viel übrig, fürs Weiterdenken und Weiterfragen noch viel weniger.

Der Film von 1959 bringt tatsächlich nur den Verfall einer Familie. Nichts darüber hinaus, nichts Grundsätzliches, also auch nichts Wesentliches. Man muss und kann sich einfach damit abfinden, dass es diese stolze und traditionsbewusste Familie Buddenbrook und ihren internationalen Getreidegroßhandel nicht mehr gibt. Geschieht ihr ganz recht. Der Senior der Familie, Konsul Jean Buddenbrook, war nicht klug genug, den betrügerischen Bewerber zu durchschauen, dem er seine Tochter zur Frau gab, obwohl die den Mann nicht mochte. Er starb durch einen Steinwurf in den Wirren der halben Revolution von 1848. Seine frömmelnde Frau war nicht in der Lage, sich der geldgierigen Pfaffen zu erwehren, die sie umschwärmten. Die kränkelnde Tochter Clara fiel auf einen Missionar herein, der nur an ihrem Geld interessiert war. Tony, die andere, hübschere und naiv lebenslustige Tochter, fiel gleich zweimal hintereinander auf einen Heiratsschwindler herein. Der Sohn Christian, der sich den Anforderungen der Etikette nicht gewachsen fühlte, glitt ins Halbseidene ab und endete im Irrenhaus. Der andere Sohn Thomas hatte zwar zunächst eine Liebschaft mit einem Blumenmädchen, stand als Familienoberhaupt aber in eiserner Selbstbeherrschung bis zuletzt aufrecht auf dem sinkenden Schiff, brachte dem Haus Buddenbrook sogar noch den Höhepunkt der Reputation ein, als er Senator wurde, starb aber nach einem missglückten Extraktionsversuch seines unfähigen Zahnarztes. Sein kleiner Sohn, Stammhalter und letzte verzweifelte Hoffnung des Handelsherrn, wenn auch leider mehr musisch als kaufmännisch begabt, war schon an Typhus gestorben. Und seine musikbegeisterte Frau fuhr enttäuscht zu ihrer Familie nach Holland zurück.

Das stolze Selbstverständnis des hanseatischen Großbürgertums wirkt im Film recht albern, wenn immer mal wieder betont wird, dass ein Buddenbrook das nicht tut und das nicht dulden kann. Der Name als Fetisch. Und die durchgehend vorgeführte pietistische Frömmigkeit der Familie führt nicht zum wirtschaftlichen Erfolg, sondern in den Ruin, als sollte damit die Theorie von Johannes Calvin und Max Weber widerlegt werden, dass Frömmigkeit vom Himmel mit Erfolgen auf Erden belohnt wird.

Die Todesfälle der drei Buddenbrook-Stammhalter sind vom Steinwurf über Typhus bis zum faulen Zahn nichts als Allerweltspech. Sie resultieren nicht aus einem geschäftlichen Versagen der Kaufleute, nicht aus dem Aufkommen neuer geistiger Strömungen oder veränderter Technik. Die Welt hat sich nicht gewandelt, ihr kann man die Schuld am Untergang des Handelshauses nicht in die Schuhe schieben. Die Kinobesucher müssen feststellen: Lauter Banalitäten führen zum Verfall der Familie.

Doch ist zu berücksichtigen: Der Film war an die Romanvorlage gebunden. Und der berühmte Roman, für den Thomas Mann 1929 den Literaturnobelpreis bekommen hatte, verrät in der abgespeckten Form als Film, dass der junge Autor nicht den Einblick in die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte seiner Zeit hatte, die für eine grundsätzlichere Darstellung des Verfalls einer Kaufmannsfamilie notwendig gewesen wäre. Der Autor hat sich mit den Unglücksfällen beholfen, die in seiner eigenen Familie passiert waren. So wurden Heiratsschwindler, Erbschleicher, Verschwender und geldgierige Priester sowie Bankrotteure, also Leute, die es zu jeder Zeit gegeben hat, zu den Verursachern des Untergangs der Buddenbrooks. Der junge Autor muss die Ängste, die stets vor einer Jahrhundertwende virulent sind, gespürt haben, als er an diesem Buch arbeitete, und doch hat er nicht grundlegende gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Veränderungen, also einen Epochenwechsel, für den Untergang des Handelshauses verantwortlich gemacht, sondern die Zufallsereignisse seiner Familie. Dabei hat er sogar noch ein Selbsttor geschossen, indem er deutlich werden ließ: Die seelisch-geistige Differenziertheit von Künstlernaturen verträgt sich nicht mit der Lebenstüchtigkeit eines erfolgreichen Kaufmanns. Damit hat er sich selbst, im Roman personifiziert durch den musisch begabten Hanno, als den Gnadenschuss dargestellt, der dem fallierenden Handelshaus gegeben wurde. Soll man das nun als Einsicht deuten oder als Renommage?

Doch zurück zum Film. Die Zuschauer im Kino mussten vergebens auf das erneute Auftreten des jungen Mannes namens Morton vom Filmanfang warten, der Medizin studierte und sich so spontan in die Tony Buddenbrook verguckt hatte, wie sie sich in ihn. Die sich anbietende tröstliche Brücke aus dem Ständestaat hinüber in den modernen egalitären Staat der Leistungsträger brachte der Film nicht. Wie er auch kein irgendwie weiterführendes Schlusswort für den Kinobesucher übrig hatte. Das prächtige Patrizierhaus war leergeräumt, der alte Konkurrent, ein widerlicher, typischer Aufsteiger, hatte es sich unter den Nagel gerissen und bestimmte nun, wo Wände eingerissen werden sollten. Ein simples Symbol am Ende. Und der Zuschauer fragt sich heute wie damals: Was sollte das?

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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