In Kroatien ohne Krawatte (2009)

Aus allen Himmeln regnen sie herab auf Kroatien, die Touristen, um dort das Naturwunder der Plitvicer Seen zu bestaunen. Wirklich überwältigend, wie sie zwischen den vielen Kaskaden in die jeweils nächste Tiefe rinnen, rauschen, plätschern oder sich ergießen, die Touristen, und dabei ein Foto nach dem anderen schießen, Tropfen für Tropfen.

Am Tag, als der Regen kam, war restlos alles nass wie das Auge, wie die Jacke, wie die Baseball Cap und das neue Paar Wanderschuhe. Auch die Straße und der Blick aufs Meer. Nur der gedeckte Balkon des Hotelzimmers bot noch die Möglichkeit, dem Land näherzukommen. In der Nacht dann die totale Verschwisterung, als Luft und Straße und der Blick aufs Meer sich in der Dunkelheit, der allein selig machenden, vereinigten.

Die Generationen von fleißigen Menschen, die an der dalmatinischen Küste ihren Schweiß den Hügeln gespendet haben, um die Steinbrocken einzusammeln und zu Mäuerchen aufzuschichten, sie haben winzige Felder geschaffen. Die meisten gerade so groß wie ein Einzelgrab, manche schon von Familiengrabgröße. Doch wurden ihre Knochen dann ganz woanders abgelegt, als sie krumm gearbeitet waren. Auf dem Kirchhof endlich zur Ruhe gebettet, unter einer schweren Marmorscheibe, makellos glatt und wiederverwendbar, über der sich ein glatter schwarzer Grabstein mit dem Foto eines Menschen und seinen Lebensdaten erhebt. Wenigstens darin unterscheiden sie sich, die Verkrümmten und Ausgeschwitzten. Die aufgeschichteten Mäuerchen aber sind ihre wahren Denkmäler, wie sie vor sich hinwittern, wildem Kraut und Gestrüpp Windschutz bieten, Staub einsammeln und dem vorbeifahrenden Fremden die Romantik des Vergehens vorgaukeln.

Es gibt sie noch, die sozialistischen Frühstückssäle, in denen zwei Figuren herumstehen, in Uniform und Habachtstellung, für nichts weiter zuständig als zum Aufpassen. Da musst du dir selbst den Tisch decken, den Kaffee aus dem Automaten holen oder den Tee aufgießen, auch das schwammige Brot aufbacken, wenn der Apparat mitmacht. Doch hat das Hotel wenigstens Farbe bekommen, auch teure Luxusbäder. Nur der Vertreter der amerikanischen Papiertaschentücher war noch nicht hier in Kroatien.

Der obligate Rundgang auf der Stadtmauer um das alte Dubrovnik wird gemacht, obwohl bis auf wenige Restchen der Hauptreiz verschwunden ist, nämlich die fotogene Bedeckung der Häuser mit den uralten Mönch-und-Nonne-Ziegeln. Was einst mit seinen Gelb-und Brauntönen begeistert hatte, bemoost und verrottet, das ist einer weitgehend einheitlichen, aber properen neuen Abdeckung der Dächer in Hellrot gewichen. Die Serben, Bosnier und Montenegriner, die 1991 und 1992 die Stadt beschossen, dem entsetzten Aufschrei der gesamten kultivierten Welt zum Trotz, sie haben damit den Dubrovnikern zu neunen Dächern und Dachstühlen verholfen. Und die Touristen zahlen nach wie vor denselben Preis für die Dachbesichtigung. Also gut gelaufen.

Mein Schiff, richtiger, die Fähre, an deren Heck ich stehe und die ich deshalb dreist mein Schiff nenne, es drückt das Wasser so energisch hinter sich weg, um weiterzukommen, wie ich das Leben. Auf der Brücke der Kapitän, mein Kopf. Und doch ist mein Schiff mir überlegen, denn es hat einen Fahrplan, einen gut durchdachten und langerprobten.

Kroatien Fähre

Kroatien lebt weitgehend vom Tourismus. Deshalb wird den Leuten eifrig eingepaukt, freundlich zu den Gästen des Landes zu sein. So erfolgreich, dass man meinen könnte, durch das Land des Lächelns zu fahren. Nur selten ein Reinfall, wie auf der Autofähre Marko Polo der Jadrolinija, die dreiundzwanzig Stunden braucht von Dubrovnik bis Rijeka. In dem kahlen Raum, der Bar heißt, läuft ein moderner Fernseher, der alles grotesk in die Breite zieht, dem unwirschen Barmann aber genügt. Er hat vorsichtshalber darauf verzichtet, die Eistruhe und die Kuchenvitrine zu bestücken. So wird er weniger gestört, braucht bei den Fragen der gierigen Reisenden nur immer den Kopf zu schütteln. Und der Fahrgast versteht: Den altgewohnten Sozialismustrott können auch neue Namen nicht perfekt verdecken.

Korcula imponiert mit seinem befestigten Hafen. Als ich dort zum Freund des kommunistischen Inselchefs geworden war, vor Jahrzehnten, mit einem Slibowitz nach dem anderen, war ich der Held meiner Reisegruppe: Denn der Reiseleiter hatte für sie warme Decken besorgt. Das war Vorsaison, in jeder Beziehung.

All diese Inseln und Inselchen, die doch nur grüne Beulen im Meer sind, kieferbepelzt, mit ein paar Schrammen da und dort, wo Menschen sich ihren Weg gebahnt haben, und mit der hellen Kalksteinpaspelierung rundum, sie haben natürlich auch einen Namen, egal ob bewohnt oder nicht bewohnt, einen Namen, den man aber nicht erfährt, auch nicht wissen muss, wenn man nicht dort geboren wurde.

Split, das hochgerühmte Kaiserdomizil, die alte, von Leben überkochende Wuselburg, von der See her gesehen ist Split ein hellglänzender Stalagmitenhaufen, breit hingelagert. Ein bisschen Busendrapierung mit frischem Grün, aber darüber wie grimmige Kahlköpfe so bedrohlich dreinschauende Berge, dass man sich sagt: Zum Glück weit weg.

Opatija, heute stehe ich in dem uralten Kirchlein St. Jakob, der Keimzelle der Stadt, und bemühe mich vergebens um Verständnis für die Benediktinermönche, die sich hier vor fast sechshundert Jahren getreu dem Prinzip ihres Ordens bete und arbeite im absoluten Abseits angesiedelt hatten. Heute würde es keinen Unterschied machen, wenn die Männer stattdessen durch die Gegend gezogen wären und die Töchter des Landes geschwängert hätten. Statt der kleinen romanischen Kirche stünde dann in diesem Park noch ein k.u.k.-Hotel mehr. Zeiten vergehen wie Wolken und Wellen. Als junger Mann habe ich hier die schwer mit Orden behängten Veteranen aus Titos Armee bewundert, die zu seiner Ehre aufmarschierten, und habe im ersten Spielcasino Jugoslawiens mit wenig Deutscher Mark das Roulette gefüttert.

Lovran, dieses Liebesnest im Lorbeer- und Maronengrün, liegt immer noch am Ende des Strandwegs von Opatija, wie Opatija am Ende des Strandwegs von Lovran liegt. Weil wir damals darauf verzichteten, weiterzugehen als bis zu der Hotelbar mit dem Zigeunerprimas. Sechs Kilometer, die so kurz waren mit einem Mädchen im Arm, und doch mehr Stunden brauchten als heute.

Jetzt kann ich nur nüchtern resümieren: Kroatien ist für uns ein ideales Reiseland geworden. Es liegt gleich vor der Tür, hat ein perfekt ausgebautes Straßen- und Tunnelsystem, bei dem der deutsche Autofahrer fast neidisch werden kann, hat wichtige Kulturrelikte en masse und Sonne und Meer, beste Weine und deftiges Essen – und dabei spricht oder versteht beinahe jeder Einheimische Deutsch. Herz, was begehrst du noch mehr?

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