Reif für die Insel Teneriffa (2009)

Natürlich sind wir Europäer erstaunt, hier nur seltsame Pflanzen und Vögel zu sehen statt der steinernen Zeugen einer großen Vergangenheit, wie wir es gewohnt sind. Doch versagen wir es uns dünkellos, davon zu reden, dass wir ja aus einem alten Kulturland kommen. Dabei ersparen wir uns das peinliche Eingeständnis: Altes Kulturland ist immer altes Kampfland. Spazieren wir in Europa doch, wo immer wir uns hinbewegen, über Halden von Totenköpfen, hier auf der Insel nur ausnahmsweise, nämlich in den beiden Ortschaften La Victoria und La Matanza de Acentejo, wo die Ureinwohner von den spanischen Eroberern niedergekämpft wurden. Im Übrigen lässt uns die Insel über das jungfräulich unschuldige Innerste unserer Erde schreiten, irgendwann vor langer Zeit an die Oberfläche gespuckt, wo es vor Schreck erstarrt ist, als es mit unserer Wirklichkeit konfrontiert wurde.

Teneriffa

Hier leben nicht nur die Teneriffer, die sich Tinerfeños nennen, sondern sogar noch Ur-Teneriffer, genannt Guanchen, zwischen den Nachkommen der Eroberer, genannt Mutterländer, und den Residentes, sogenannten Soebennocheuropäern, und den Touristen, genannt Zahlemann und Söhne.

In der Basilika von Candelaria residiert die Jungfrau von Candelaria, die Hoffnung gibt in den Nöten des Alltags. Und gleich nebenan stehen überlebensgroß vor der Brandung die Bronze-Helden der Vergangenheit, die Anführer der Guanchen, die den Stolz auf die große Vergangenheit repräsentieren, weil sie sich vor fünfhundert Jahren gegen die Eroberung ihrer Insel durch die Spanier gewehrt haben, wenn auch vergebens.

Teneriffa

Playa de las Americas, Sonnenecke der Insel Teneriffa, für mich wirst du immer das kanarische Las Vegas der nackten Bäuche bleiben. Du bist die aus der schwarzen Ödnis gestampfte Superstadt der Kanaren, in der die Baulöwen die Hauptgewinne gemacht haben, wenigstens bis zum Herbst 2008. Dann blieben plötzlich die Kräne und Mischmaschinen stehen, weil die Banken kein Geld mehr gaben und die Kaufinteressenten nicht mehr zahlen konnten. Die nackten Bäuche, dick, dicker am dicksten, sie werden zum Symbol der jüngsten Erfahrung: Die letzten beißen die Hunde.

Der Superbaum in Icod de los Vinos heißt Drachenbaum, obwohl er überhaupt kein Baum ist, sondern ein Strauch, aber so groß, wie er ist, und so alt, da ist der Begriff Drache der einzig passende. Im Übrigen sollen sich die Gelehrten nur weiter darüber streiten, ob diese gewaltige Pflanze eintausend oder zweitausend oder gar dreitausend Jahre alt ist. Was best slot games to play at casino macht das für einen Unterschied für die Touristen, die ihn knipsen. Die Hauptsache, man kriegt ihn ganz aufs Bild und findet rechtzeitig zum Bus zurück. Das gilt dann auch für den Riesen-Ficus auf dem Platz nebenan mit seinen umeinander geflochtenen Stämmen und den gewaltigen Luftwurzeln. Was war dagegen Großmutters Gummibaum doch für ein dezenter Wohnstubenzierat.

Teneriffa

Der Feigenkaktus am Weg zum Swimming-Pool ist kastriert: Alle Dornen wurden säuberlich abgebrochen, so dass er aussieht wie frisch rasiert. Auch den Riesenstrelitzien sind die gefährlichen Spieße weggenommen oder zumindest weggedreht worden. Der Luxustourismus verlangt konsequente Abrüstung. Leider auch geistig. Die Zeitung, die man am häufigsten sieht, ist die Bild-Zeitung.

Was wäre Spanien ohne die kanarischen Inseln? Nun ja, nicht gerade ein leeres Flachland. Aber es würde ihm doch der prächtige Orden auf der Brust fehlen, nämlich der Pico de Teide, mit seinen 3718 Metern der höchste Berg Spaniens, auf den man jederzeit mit hidalgischem Stolz hinweisen kann.

Teneriffa

Wenn das Luxushotel auf Teneriffa seinen ganzen Ehrgeiz daran setzt, seinen Gästen das opulenteste Frühstücksbuffet zu bieten, das man sich nur wünschen kann, einschließlich Kaviar und Sekt, dann ist es nur konsequent, dass es jedem Gast seine Badezimmerwaage hinstellt, um nicht allzu bald Konkurs anmelden zu müssen.

Badrose in dunkelrotem Samt, mit der Geduld, die du mir zeigst, wirst du mir zum Leitstern für den neuen Tag, der so offen vor mir liegt und so tief ist und doch nur so wenig in sich hineinschauen lässt wie du. Das Zimmermädchen hat  dich in die Spiegelecke des Waschtischs gestellt, in einem schmalen Väschen, damit du dich mir gleich vierfach zeigen kannst. Wie eine junge Schöne, die sich in ihrem dunkelroten Samtkleid von allen Seiten selbst betrachtet.

Mit dem lockenden Strudel deiner Mitte, die vergebens zur Begattung einlädt, und mit den paar Stacheln, die sich gegen keinen Fressfeind mehr wehren müssen, wirst du mir zum Vanitasbild. Ich habe an dir geschnuppert wie ein Liebhaber und war enttäuscht. Doch dass du nicht duftest, das kann ich dir nicht vorwerfen. Arme missbrauchte Aufpasserin, die über Seife, Shampoo und Zahncreme wachen soll. Deine Blätter sind angefressen. Sie verraten, dass du ein Vorleben hast. Macht nichts, macht dich höchstens noch anziehender. Wenn meine Augen sich in dem Changieren deiner Kelchblättchen verlieren, möchte ich ein Insekt sein, fähig dich zu begatten. Wir beide, du und ich, wir würden ein neues Geschlecht entstehen lassen, – aber was würde das werden?

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