Die Ballade vom traurigen Café

(The Ballad of the Sad Café, GB/USA 1991, 95 Minuten, Drehbuch: Michael Hirst, Regie: Simon Callow)

Ein schönes Beispiel dafür, daß ein Stück Literatur und seine Verfilmung durchaus zweierlei sein können – meist auch sind. Der Drehbuchautor hat sich auf ein Bühnenstück von Edward Albee gestützt, was man dem Film ansieht, weil der Regisseur sich nur andeutungsweise die Mühe gemacht hat, den beschränkten Raum der Bühne großzügig auszuweiten. Dieses Bühnenstück war die Umsetzung einer 1951 erschienenen Erzählung der amerikanischen Romanautorin Carson McCullers (1917-1967). Bei diesen Transformationen blieb eines immer gleich, der Titel. Aber auch nur er.

Die Geschichte ist leichter zu erzählen als zu verstehen. In einem trostlosen Südstaatennest führt eine große, herbe Frau namens Amalia einen Kramladen. Sie ist gleichzeitig heimliche Schwarzbrennerin und versorgt die Männer des Ortes mit ihrer täglichen Ration Schnaps, damit sie sich nach der Arbeit aus ihrer Tristesse in stumpfsinniges Dösen hinüberretten können. Gleichzeitig ist diese geschäftstüchtige Frau aber auch eine Art Heilkundige und damit auf andere Weise die Wohltäterin des Ortes. Und sie ist die Herrin einer Baumwollplantage.

Plot point one: Es tritt ein zwergenhafter Krüppel auf, der sich als entfernter Verwandter von Miss Amalia ausgibt. Sie akzeptiert ihn und kümmert sich wie eine Mutter um ihn. Der Bucklige revanchiert sich mit seinem Engagement für ihr Geschäft: Aus dem Kramladen macht er das Café des Ortes. Ein großer Erfolg, ein Gewinn für den ganzen Ort. Doch dann kommt Marvin Macy aus dem Zuchthaus zurück, der Mann, der Miss Amalia leidenschaftlich geliebt hat, der sie geheiratet und ihr sein Land überschrieben hat und doch von ihr nach zehn Tagen Nichtehe rausgeworfen worden war. Dadurch war er auf die schiefe Bahn geraten. Jetzt  will der verbitterte Mann einfach daheim sein, ist aber wegen seines wilden Aussehens und rabiaten Auftretens der Schrecken der Bevölkerung und sowieso der Todfeind seiner Frau. Schließlich rät der Krüppel den beiden, ihren Streit in einem öffentlichen Boxkampf auszufechten. Ein Superereignis für die gesamte Bevölkerung auf den Dielen des Cafés: Frau gegen Mann, ohne Boxhandschuhe, ohne Pausen, ohne Ringrichter und ohne jedes Reglement. Eine grauenhafte Schlägerei von geradezu archaischer Großartigkeit.

Plot point two: In dem Moment, da die beiden gleich jämmerlich ramponierten und blutverschmierten Kontrahenten zu einem Ergebnis kommen, nämlich zum Sieg der Frau über den Mann, springt der Zwerg ihr an die Kehle und verschafft damit dem Mann den Sieg. Gemeinsam mit ihm zerstört er dann die gesamte Einrichtung des Cafés, während die geschlagene Frau heulend abzieht.

Die Erzählerin Carson McCullers wird gerühmt dafür, daß sie sich für schräge Typen, für Außenseiter erwärme. Und so wird auch diese Story mit ihrem überraschend fragwürdigen Ausgang im allgemeinen gedeutet. Die Autorin selbst hat zudem noch eine falsche Fährte gelegt, indem sie den Reverend salbadern läßt, die große Liebe sei immer so besitzergreifend, daß sie den geliebten Menschen verzehre.

Der Film bringt weit mehr. Man könnte ihn als ein mit dem Zuschauer veranstaltetes Experiment sehen. Denn das Finale des Boxkampfs läßt uns Zuschauer als Verlierer auf die Bretter gehen. Sind wir doch damit hereingefallen, daß uns im allgemeinen die Hauptfigur einer Geschichte zum Sympathieträger wird. Ein generelles Problem der Literaturrezeption. Uns war die von Anfang an im Mittelpunkt stehende raffgierige Miss Amalia sympathisch, obwohl sie den Ort mit ihrem Schnaps ruinierte und ihren Mann nur geheiratet hatte, um an sein Vermögen zu kommen. Uns war der erst später auftretende Marvin Macy unsympathisch, weil er im Zuchthaus gesessen hatte und furchteinflößend aussah. Unsere Krankheit heißt Vorurteil. Dafür, daß diese Krankheit das Thema des Films ist, gibt es diverse Hinweise. Beispielsweise die anfängliche Aversion der Leute – und der Zuschauer – gegenüber dem häßlichen Zwerg, dann auch die Tatsache, daß gerade der Behinderte als einziger den Durchblick hat. Weitere Hinweise auf Vorurteile sind in den eigentlich nicht zur Handlung gehörenden kurzen Szenen mit dem Ku Klux Klan und mit den ironischerweise eng aneinandergeketteten schwarzen und weißen Sträflingen beim Straßenbau zu sehen. Das heißt, der Film gibt der Geschichte vom traurigen Café Sinn, indem er uns beweist, daß wir keine Außenseiter sind, sondern so peinlich vorurteilsbeladen wie alle anderen.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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