703. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

In Berlin wollte man endlich eine Straße oder einen Platz nach  Gottfried Benn benennen, also nach einem der bedeutendsten deutschen Dichter der Moderne, der bis zu seinem Tod im Jahre 1956 im Bezirk Tempelhof-Schöneberg gelebt hat. Dieser wohlbegründete Antrag ist vom zuständigen Kulturausschuss abgelehnt worden, weil der Dichter das falsche Geschlecht hatte. Man wollte im Sinne der Gleichberechtigung der Frau nicht noch mehr Männernamen in das Straßenverzeichnis bringen. Nicht für einen Missgriff bei der gebotenen Verweiblichung des Berliner Straßenverzeichnisses hält man, dass es seit kurzem die Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße am Nollendorfplatz gibt, benannt nach einem Vorkämpfer für Schwulenrechte.

 

Zwei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben jetzt festgestellt, dass Deutschland die weltweit niedrigste Geburtenrate habe: Pro 1000 Einwohner durchschnittlich nur 8,3 Kinder. Daneben fehlte leider der Vergleich der diversen finanziellen Anreize zum Kinderkriegen und der Hilfen beim Kinderaufziehen in den verschiedenen Ländern. Damit wäre aufgedeckt worden, dass die Geburtenrate nicht mit noch mehr Geld gesteigert werden kann, weil der Verzicht auf Kinder nicht eine Folge von Armut ist sondern von Reichtum.

 

Presse, Funk und Fernsehen schütten uns zu mit Fußball und mit Krimis, weil die Macher meinen, das ganze Volk sei mit so was zu begeistern und zufrieden zu stellen. Wir werden also gewaltig unterschätzt. Und das ist gut so, denn das gibt bekanntlich Überlegenheit.

 

Ich muss gestehen, ich habe mir gestern den Spreewaldkrimi im Zweiten Programm angetan – war aber nicht sehr von ihm angetan. Nur drei bis vier mal die alte Schlangenmär der Sorben erzählt bekommen, aber nichts von den Ammen gesehen, die den Spreewald berühmt gemacht haben, und auch nichts von dem aktuellen Problem, den rotbraunen Abwässern des nahen Braunkohleabbaus.

 

Die Mischpulte in den deutschen Fernsehanstalten werden jetzt mit Leuchtfarben veredelt. Damit die Tontechniker bei Dokumentarfilmen nicht mehr vergessen, die störende Musik runter zu nehmen. Die viel zu laute Musikuntermalung macht es bisher meist unmöglich, den interessanten Text zu verstehen. Deshalb soll der entsprechende Schieber jetzt mit Rotlicht aufblinken.

 

Literarische Satire und Realsatire sind nicht immer leicht zu unterscheiden. So wenn ich schreibe: Die USA haben eine schwarze Justizministerin, die ausgerechnet Lynch heißt, was ein Beweis dafür ist, dass Amerika immer noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Frage: Ist das Satire oder Realsatire?

 

Habe jetzt gesehen, dass ich bei Tchibo sogar ein Flugzeug kaufen könnte. Ein richtiges zweisitziges Flugzeug mit Motor für nur 95.000 Euro. Das ist doch kein Preis für so ein großes Gerät. Würde ich mir direkt kaufen, nur schade, es passt nicht in die große Schublade, in der außer Kaffee alles gelandet ist, was ich bisher bei Tchibo gekauft habe.

 

Auf dem Schild einer bayerischen Arztpraxis gelesen: Facharzt für Traumatisierte, Frustrierte, Labile, Timide und Knirscher. Das heißt, den kleinen Rest der Bevölkerung müssen sich die übrigen Ärzte teilen. Bedauernswert.

 

Habe jetzt in einem Karton ein Foto entdeckt, das der als Prominentenfotograf berühmt gewordene Jupp Darchinger 1983 auf einem Balkon des Reichstagsgebäudes von mir gemacht hat. Wie die Zeit vergeht. Ich habe mich kaum noch erkannt. Ich hatte Darchinger damals für eine Serie von Fotos des neuen Regierenden Bürgermeisters Richard von Weizsäcker nach Berlin gebeten. Die Schilderung unserer gemeinsamen Fototour mit dem Regierenden Bürgermeister und seinen schwer bewaffneten Beschützern quer durch Berlin sowie der Reaktionen der Berliner darauf ist zu finden in meinem Dokumentarroman „So schön war die Insel“, der Berlin in den letzten Jahren vor dem Fall der Mauer zeigt. Längst vergriffen, aber ein paar Exemplare für speziell Berlin-Interessierte habe ich noch aufbewahrt.

Walter in Berlin 1983

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