Ferien wie noch nie

(The Last Holiday, GB 1950, 84 Minuten, Regie: Henry Cass, Drehbuch: J. B. Priestley)

Der englische Schriftsteller und Journalist, u. a. Autor des Dramas „Ein Inspektor kommt“, John Boynton Priestley, schreibt ein Filmskript und engagiert sich sogar als Co-Produzent, um zum wiederholten Male sein Lieblingsthema, die Relativität von Zeit, zu illustrieren. Beinahe wie ein Spiel mit der Zeit muten ja schon die Lebensdaten Priestleys an: 1894-1984. Für das ambitionierte Filmprojekt wird die Nr. 1 der britischen Mimen verpflichtet: Sir Alec Guinness. Und heraus kommt ein kleines Filmkunstwerk, kurz und gut, bescheiden in seinem Aufwand, ohne große Aktionen und illustre Schauplätze, dafür ergreifend in der hoffnungslos schicksalsergebenen Haltung und Mimik des Protagonisten, des braven Herrn Bird, dessen Endzeit-Gesicht einen noch im Traum verfolgt.

Bird ist, als Vertreter für Landmaschinen tätig, immer früh ins Bett gegangen, wie er sagt, und zuverlässig bei der Arbeit gewesen. So hat er sein Leben vertan. Dann konfrontiert ihn sein Arzt mit dem Befund, daß er an einer seltenen und unheilbaren Krankheit leidet, die ihm nur noch eine kurze Frist zum Leben läßt. Er folgt dem Rat des Arztes, einfach seinen Lebensrest zu genießen, kündigt seinem Arbeitgeber, der ihn mit übergroßzügigen Lohnsteigerungen vergebens zu halten versucht, hebt seine Ersparnisse von der Bank ab, die ihm neue Anlagechancen bieten will, und mietet sich im ersten Haus am Platze in einem luxuriösen Badeort ein.

Der schüchtern verschlossene Einzelgänger im Maßanzug eines Lords und mit dessen Koffern, von Hotelaufklebern aus aller Welt übersät, alles beim Trödler erstanden, erweckt zu seiner Überraschung das lebhafte Interesse und die Neugier der feinen Gesellschaft im Hotel. Man bietet ihm Freundschaft und großartige Positionen an, ja Beteiligungen an Firmen. Er läßt sich zu einem Einsatz bei der Pferdewette überreden und gewinnt haushoch. Ebenso vom Glück verfolgt ist er beim Pokern. Frauen machen ihm schöne Augen, weil der so hilflos erscheinende Mann in ihnen den Mutterkomplex anspricht.

Die geschliffenen Dialoge verraten den erfahrenen Schriftsteller im Filmteam genauso wie die behutsam gezeigte allmähliche Verwandlung des scheuen Mannes. Bird hilft mit seinem überflüssigen Geld Menschen, die in Not sind. Und er überrascht mit dem ebenso unkonventionellen Verhalten, einem Gegenüber einfach zu sagen, was er denkt. Schließlich ist er es, der bei einem Streik des Personals die so heterogene Gesellschaft zu einer Selbsthilfegruppe zusammenschweißt. Entsprechend begeistert ist man von ihm. Jeder möchte diesem Engel in Menschengestalt etwas Gutes tun.

Doch als der endlich zugibt, daß all ihre freundlichen Angebote zu spät und vergebens seien, weil ihm wegen tödlicher Erkrankung nur noch wenig Zeit zum Überleben bleibe, ist die allgemeine Bestürzung groß. Dann kommt, was kommen muß: Die ihm gestellte Diagnose wird als falsch erkannt. Bird ist gesund. Doch bei der ersten Ausfahrt in einem geliehenen Wagen geht die gerade erst wiedergewonnene Lebenszeit verloren. Und der alte Geiger, der am Anfang den Blinden nur gespielt und dem Todeskandidaten kameradschaftlich zugekniept hatte, spielt am Schluß zum Totentanz auf.

Ein Film, der wie kaum ein anderer dem Werbespruch entspricht: Mach dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino! Weil er ein Carpe-Diem-Film ist, der einen zur richtigen Lebenseinstellung bringen kann. Nur schade, daß sowohl der Originaltitel als auch der deutsche Titel so blaß und blöd sind, daß man dahinter die ernstzunehmende Tragikomödie von beinahe antikem Format nicht vermuten kann.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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