622. Ausgabe

Ein afrikanischer Gewaltherrscher, Charles Taylor, der ehemalige Präsident von Liberia, ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – richtiger muss es heißen: gegen die Menschheit – vom Internationalen Gerichtshof  in Den Haag verurteilt worden. Ein weiterer Gewaltmensch, der ehemalige Präsident der Elfenbeinküste Laurent Gbagbo, sitzt ebenfalls in Den Haag ein und wartet auf seinen Prozess. Das lässt hoffen. Immerhin ist der Internationale Gerichtshof von den Vereinten Nationen gegründet worden, und inzwischen gibt es weltweit fast ein Dutzend ähnlicher international besetzter Gerichte, die sich um die Massenmörder im Amt kümmern. Dennoch liegt die Gefahr für Staatsführer, verurteilt und eingesperrt zu werden, immer noch weit unter 0,1 Prozent.

Island hat es uns vorgemacht. Das kleine Land im Abseits des Nordatlantiks hat es als erstes gewagt, einen früheren Spitzenpolitiker wegen seiner Rolle in der Finanzkrise vor Gericht zu stellen. Doch hat es nicht zu einer Bestrafung geführt. Dass der Mann, Geir Harde heißt der ehemalige isländische Ministerpräsident, jetzt freigesprochen wurde, hängt sicher auch mit der Komplexität der Finanzwissenschaft zusammen, in der seine Richter nicht ausgebildet wurden. Also müssen wir uns jetzt nicht gefordert fühlen, dem mutigen Beispiel Islands zu folgen und Politiker wegen ihres Versagens in der Krise anzuklagen. Denn bei uns ist die Juristenausbildung ebenfalls so schmalspurig angelegt, dass sie unsere Richter in Wirtschaftsfragen ahnungslos dastehen lässt.

Immer wieder ärgert mich das dumme Geschreibsel in der Presse über den Ein-Parteien-Staat China. Dabei gibt es keinen Ein-Parteien-Staat, und den kann es auch nicht geben, weil es niemals nur eine Partei gibt, denn Partei heißt Teil. Wo aber eine Organisation nicht eine von mehreren ähnlichen Organisationen ist, sondern die einzige, ist sie die Macht und nicht ein Teil der Macht.

Der Fußball und die Olympischen Spiele werden uns wieder Tag für Tag auf die völlige Unkenntnis über Flagge und Fahne stoßen lassen. Der Mann, den man gern als den neuen Sprachpapst bezeichnet, Bastian Sick, hat kürzlich geschrieben, Flagge und Fahne seien gleichbedeutend. Das ist Unsinn. Er hätte einmal ins Flaggengesetz schauen sollen. Dort ist der Unterschied festgeschrieben: Nur Gebietskörperschaften, also Länder und Städte, haben Flaggen. Bei der Flagge hat das einzelne Stück Stoff keinen besonderen Wert außer dem, dass es ein Hoheitszeichen ist und seine Vernichtung deshalb als Hoheitsdelikt strafbar ist, wobei die Empfindlichkeit der Staaten sehr unterschiedlich ist. Im Übrigen kann es in beliebiger Menge ersetzt werden, auch aus Papier für die angeblich Fähnchen schwenkenden Kinder beim Staatsbesuch, die in Wahrheit Fläggchen schwenken, nur dass dieser Ausdruck ungebräuchlich ist. Jedes Tuch oder Papier mit den Farben einer Gebietskörperschaft ist eine Flagge. Dagegen ist eine Fahne kein Hoheitszeichen, sondern bloß das Zeichen einer beliebigen Vereinigung, von  der Pfadfindergruppe über den Liederkranz und Schützenverein bis zum Regiment. Die Fahne ist stets ein Einzelstück und hat ihren besonderen Wert in dem Stück Stoff und seiner jeweiligen besonderen Gestaltung. Wer eine Fahne zerstört, macht sich bloß wegen Sachbeschädigung strafbar und ist nach Zivilrecht schadensersatzpflichtig. Dass es in der Umgangssprache auch die Alkoholfahne gibt und das Flaggenalphabet der Seefahrer, ist einfach Tradition, missverständlich, aber so belanglos wie der Umstand, dass Angelsachsen oder Schweizer den Unterschied zwischen Fahne und Flagge nicht kennen. Ist doch der Vorteil der deutschen Sprache neben ihrem Formenreichtum ihre größere Differenzierungsmöglichkeit, weshalb sie bis vor hundert Jahren mit Recht noch die internationale Wissenschaftssprache war.

Jetzt ist es mit Zahlen belegt, dass wir Deutschen in ein neues Biedermeier abrutschen. Erstmals hat die Zeitschrift „Landlust“, die uns sagt, wie mit Kübelpflanzen, Kräutertee und Milchschafen umzugehen ist, die Millionenauflage erreicht, während gleichzeitig „Der Spiegel“ deutlich unter die Millionenauflage zurückgefallen ist. Man darf gespannt darauf sein, welches Verlagshaus demnächst die alle selig machende Zeitschrift „Gartenlaube“ zu neuem Leben erweckt.

Aus der Zeitung erfahre ich, dass Aldi-Mitarbeiter heimlich Filmaufnahmen gemacht haben von jungen Frauen in besonders kurzen Röcken oder mit tiefen Dekolletés, wenn sie sich über Kühltheken beugten. Die Firmenleitung ist empört. Vermutlich also schöne Bilder. Dabei wird leider nicht mitgeteilt wird, ob die Frauen aus Armut zu wenig Stoff trugen, um ihre Blößen zu bedecken, oder ob sie zeigen wollten, was sie zu bieten haben.

Als ob die Digitalfotografie etwas Neues wäre, weil sie mit Fingern zu tun hat. Das wirklich Neue an ihr ist doch, dass nur noch ohne jeden Gedanken an Kosten drauflos geknipst wird. Weil man keine Filme mehr zu kaufen braucht und keine Blitzbirnchen dabei draufgehen. Also heißt digital: Fingerfertig statt mit Verstand.

Manchmal packt mich das Mitleid mit den angeleinten Hunden. Dann muss ich mich schnell zur Ordnung rufen: Denk ja nicht, der Hund fände es herabsetzend, immer an der Leine laufen zu müssen. Viel zu gern führt der Hund dieses große Wesen Mann oder Frau an der Leine.

Und in eigener Sache: Mein neues Buch „Die Berechnung des Glücks“ hat der Frankfurter Allgemeinen Zeitung so gut gefallen, dass sie den Buchtitel gleich als Überschrift für einen eigenen ganzseitigen Artikel genommen hat.

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