Die glücklichen Jahre der Thorwalds

(Die glücklichen Jahre der Thorwalds, BRD 1962, 85 Minuten, Regie: John Olden und Wolfgang Staudte)

Eine Familie des Geldadels als sterbender Schwan, genüßlich beobachtet in der Art von Thomas Manns Buddenbrooks und zig ähnlicher Familienchroniken, also eigentlich nichts Neues. Aber viel ungewöhnlicher konstruiert als es in diesem Genre üblich ist, weil angelehnt an das Schauspiel in drei Akten „Time and the Conways” des britischen Dramatikers John Boynton Priestley (1894-1984). Vor allem, weil sich hinter dem Aufbau dieses 1937 erstmals aufgeführten Stückes die besondere Zeittheorie der Philosophen Abbotts, Dunne und Ouspensky verbirgt:

Nach dieser Theorie existieren Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig, weil die Zeit nichts unwiederbringlich wegrafft. Deshalb hat vergangenes Glück ebenso Dauer wie künftiges Unglück..

Diese überlegene Lebenseinstellung bestimmt die dreiaktige Konstruktion des Stückes wie des Films. Im ersten Akt eine Familienfeier im großbürgerlichen Ambiente. Die verwitwete Mutter von zwei vielversprechenden Söhnen und vier blühenden Töchtern malt in ihrer Begeisterung die gerade begonnenen Lebenswege ihrer Kinder so unterschiedlich aus, wie die Kinder sind, aber alle in den schönsten Erfolgsbildern. Ein Fest der Illusionen. Der zweite Akt unterbricht diese Vision mit der Darstellung der Wirklichkeit, wie sie sich 19 Jahre später zeigt. Der Erste Weltkrieg und die Wirtschaftskrise danach haben der Mutter nichts anhaben können, obwohl sie nun mittellos und hochverschuldet in ihrem prächtigen Haus wohnt. Doch die Kinder sind sämtlich gescheitert und vom Leben gezeichnet. Im dritten Akt werden die mütterlichen Illusionen des ersten Aktes wider besseres Wissen des Zuschauers weitergeführt, der nun darauf wartet, daß Fall für Fall das Desaster eintritt, das er schon kennt.

Damit wird der Zuschauer in die Situation eines Diogenes versetzt, der aus seinem Faß heraus das Leben mit höhnischer Überlegenheit betrachten kann. Daß zu dieser Haltung radikaler Verzicht gehört, wird nur an dem farblos-stillen ältesten Sohn der Familie gezeigt, der mit seinem Leben als unbedeutender kleiner Beamter zufrieden ist, obwohl er im Krieg den rechten Arm verloren und keine Frau gefunden hat.

Im Vordergrund wird mit dem als Parvenü abgelehnten Schwiegersohn aus kleinen Verhältnissen, der die schönste  und hochnäsigste Tochter bekommt, weil er als Geschäftsmann viel Geld gemacht hat, an die alte Standesproblematik angeknüpft, die im 19. Jahrhundert Konjunktur hatte. Wohl um auch den Zuschauern etwas zu geben, die mit der hintergründig-tiefgründigen Zeitphilosophie nichts anzufangen wissen.

Sehr viel Aufmachung und wunderbar zugespitzte Dialoge. Und doch bietet der Film wie das Schauspiel nicht gerade ein Vergnügen, allenfalls für den, der ähnlich dasteht, ein wenig Trost, im übrigen aber viel Anlaß zur Nachdenklichkeit.

Dieser Beitrag wurde unter Filmbesprechungen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.