Schachnovelle

[Schachnovelle, BRD 1960, 100 Minuten, Regie: Gerd Oswald)

Ein Überseedampfer, der abfahrbereit noch einen wichtigen Passagier erwartet. Da kommt endlich der allseits bekannte Schachweltmeister an Bord. Jedoch keine Abfahrt, weil ein noch wichtigerer sich verspätet hat: Ein Unbekannter wird von einem Bischof an Bord gebracht. Der Weltmeister ist äußerst ablehnend gegenüber schachinteressierten Mitreisenden und läßt sich schließlich nur gegen ein hohes Honorar auf ein Spiel mit den Amateuren ein, die gegen ihn keine Chance haben. Da tritt der Unbekannte hinzu, mischt sich ein und erzwingt ein vielbewundertes Remis. Rückblende nach Wien in die Situation von 1938, als Hitler Österreich besetzt. Der Unbekannte ist Dr. von Basil, der als Vermögensverwalter der Kirche  noch rechtzeitig große Werte dem Zugriff der Nazis entzogen hat. In der Gestapohaft versucht man, ihn durch völlige Isolierung zum Sprechen zu bringen. Durch ein Schachbuch mit 150 Meisterpartien, das er stehlen kann, hält er sich monatelang geistig rege. Schließlich verlegt er sich sogar aufs Auswendigspielen, das ihn zu Wahnsinnsanfällen führt.

Ein gutgemachter Unterhaltungsfilm, der alles bringt, was man erwartet: Die Überheblichkeit des Prominenten, die Treue des Vermögensverwalters, die Sensationsgier der Leute und ein Happy-end mit einer Prima-Bellerina, die sich ihrer Karriere zuliebe zuerst an den Wiener Gestapochef gehalten hat, dann aber von Dr. von Basils Standhaftigkeit überwältigt ist und mit ihm ins Exil fährt. Diese Frau gibt es nicht in der „Schachnovelle” von Stefan Zweig (1881 – 1942), die im Jahr seines Freitodes veröffentlicht wurde und dem Film als Vorlage diente. Und auch im übrigen ist dort einiges anders.

Was diesen Film zu einem aufschlußreichen Untersuchungsgegenstand macht für das Thema Literaturverfilmung. Klar, der Film ist als erzählendes Medium der Literatur nahe verwandt: Der Ausschnitt aus der Totalität des Geschehens, der Zwang zum Nacheinander auch des Gleichzeitigen, der Reiz der szenischen Gestaltung, die Möglichkeiten der Rückblende. Doch fehlt zwangsläufig die hohe Sprachkunst eines Stefan Zweig, und es fehlen die köstlichen Definitionen des Dichters, etwa für den Stolz des Schachweltmeisters als intellektuelle Einseitigkeit bei universeller Unbildung. Oder die Qual der Selbstreflexion und die Diagnose Schachvergiftung, die der Häftling sich selbst stellt. Es fehlen die überlegenen Aussagen zu dem gemeinhin als königliches Spiel gepriesenen Schach, dem jegliche Glückskomponente fehlt, womit es als Nicht-Spiel entlarvt wird, als ernsthafter Kampf. Es fehlt auch die überzeugende Herleitung des Wahnsinns aus dem Zwang heraus, sich beim einsamen Spiel gegen sich selbst ständig bewußtseinsmäßig in einen Weiß-Spieler und einen Schwarz-Spieler zu spalten.

Alles Feinheiten, die sich kaum bildlich darstellen lassen. Zum Ausgleich greift der Film zu Steigerungen. So wird aus dem Dr. B. der Novelle der Dr. von Basil des Films und aus der Waschschüssel des Häftlings ein permanent tropfender Wasserhahn, also eine moderne Foltermethode. Der Gestapochef wird superblond und zum Konkurrenten des Inhaftierten um die Gunst der Prima-Bellerina. Dem Häftling wird das Buch samt kariertem Bettzeug und den aus Brot geformten Figuren weggenommen, statt daß er diese Hilfsmittel nicht mehr benötigt. Die Dummheit des Schachweltmeister wird effektvoll zu hanebüchener Arroganz gesteigert. Beim Spiel auf dem Schiff behauptet der Unbekannte, die Schachfiguren seien die ersten, die er in Händen hat, während  er in der Novelle wenigstens schon als Gymnasiast gelegentlich Schach gespielt hat. Auch mit Weglassen kann man ja Steigerungen erzielen. So auch mit der im Film unterschlagenen Aufklärung darüber, wie der Häftling durch einen Tobsuchtsanfall freigekommen ist. Und wo das Buch den Schlußpunkt damit setzt, daß der überlegen Schach spielende ehemalige Häftling beschließt, nie mehr ein Schachspiel anzufassen, also sich zum Selbstentzug der Droge Schach aufrafft, da wird der Betrachter des Films mit der Aussicht auf ein neues Leben des Helden mit der ihm nachgereisten schönen Frau beglückt. Das heißt, Film und Buch haben zweierlei Publikum im Visier, nämlich Menschen  unterschiedlicher Sensibilität, und arbeiten nach dem Prinzip: Jedem das Seine.

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