767. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Die Absicht war klar: In dem wochenlangen Streiten zwischen den vier Parteien, die sich zu einer Regierungskoalition zusammentun wollten, sollten bereits alle Ziele für Deutschlands Entwicklung in der nächsten Legislaturperiode festgeschrieben werden. Damit die Mehrheit der über 700 gerade in den Bundestag gewählten Abgeordneten schon weiß, wann sie das vorgeschriebene Ja zu sagen hat und wann das ebenso vorgeschriebene Nein. Es galt, ein Abnick-Parlament zu etablieren. Das ist vorerst misslungen. Deutsche Wertarbeit.

Die Deutsche Welle hat über die zehn schönsten Bibliotheken der Welt berichtet und voller Stolz bemerkt, dass dazu auch eine deutsche gehört, nämlich die Bibliothek der Philosophischen Fakultät der Freien Universität Berlin. Na, schön. Es passt zu unserer Zeit, jetzt sogar Bibliotheken nur noch nach ihrer Schönheit zu bewerten.

In der DDR, diesem deutsch-perfekten Großexperiment eines landesweiten Gefängnisses, es möge ruhen in Frieden, kriegte alles, was etwas Besonderes sein sollte, die Vorsilbe Inter verpasst, beispielsweise Interhotel und Intershop. Das nur, weil Inter wie international klang, also wie der schöne Gegensatz zur engen DDR-Wirklichkeit. Jetzt haben wir im wiedervereinten Deutschland den Zusatz Inter in dem Begriff intersexuell ganz anders neu entdeckt: Alles andere als männlich und weiblich. Während sich bisher männlich als der Gegensatz von weiblich definierte und weiblich als der Gegensatz von männlich, gibt es jetzt mit intersexuell ein drittes Geschlecht, das sich nicht sächlich nennt, weil das Neutrum nur in der Grammatik als drittes Geschlecht existiert. Wer will sich auch als Neutrum oder sächlich bezeichnen. So bietet sich der generelle Verzicht auf die Unterscheidung von Menschen nach Geschlecht an, die uns bei Zug- und Flugzeugtoiletten längst selbstverständlich ist und für die wir die schön kurze Bezeichnung Unisex haben.

Da lese ich, dass das dritte Geschlecht schon im Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794 berücksichtigt war. Das passt zu der erstaunlichen Vorreiterrolle, die der Staat Preußen eingenommen hatte, mit der Massen-Integrierung von hugenottischen Flüchtlingen, mit der Religionsfreiheit und der Abschaffung der Folter, mit der Bauernbefreiung und nicht zuletzt mit der Erinnerung an einen König, nämlich Friedrich den Großen, der mit dem Philosophen Voltaire auf Augenhöhe diskutieren konnte. Kein Wunder, dass es den Alliierten gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Bedürfnis war, Preußen abzuschaffen.

Das Landgericht Frankfurt am Main will ab Januar nächsten Jahres eine englischsprachige Kammer für Handelssachen einrichten, um internationale Rechtsstreitigkeiten, bei denen es oft große Summen an Prozesskosten und Anwaltshonoraren zu kassieren gibt, nach Frankfurt zu holen. Das gibt der Forderung von Sprachschützern Vorschub, die deutsche Sprache endlich in den Rang einer durch das Grundgesetz garantierten Selbstverständlichkeit zu erheben.

Wie aus dem Mund der Leiterin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu hören war, haben fünfzig Prozent der nach Deutschland kommenden Migranten keine Ausweispapiere bei sich. Deshalb kann man sie meistens nicht zurückschicken. Da frage ich mich, warum mir schon für einen schlicht touristischen Besuch in Amerika, Kanada, Australien, Russland oder China so ein Aufwand mit Pass und Visum und weiteren Registrierungen abverlangt wird. Bin ich soviel verdächtiger als die Leute, die ihren Ausweis weggeworfen haben? Und wenn ich dann erfahre, dass diese Migranten fast alle ihr Smartphone dabei haben, frage ich mich, wieso unsere so nichtssagend geschwätzigen Politiker nicht schon längst ein Gesetz gemacht haben, das den Behörden erlaubt, die fehlenden persönlichen Daten der Migranten von deren Handys abzulesen.

Die beiden christlichen Parteien CDU und CSU, die das heutige Deutschland entscheidend geprägt haben, wehren sich gegen ihren schwindenden Einfluss. Dabei spiegelt der nur die Entwicklung unserer Gesellschaft wider. Sind von den im Jahre 2011 Geborenen noch 51,88 % christlich getauft worden, übrigens etwas mehr evangelisch als katholisch, so waren es schon vier Jahre später nur noch 44,56 % der Neugeborenen, nun etwas mehr katholisch als evangelisch. Der starke Rückgang hat nicht nur mit der großen Zahl von Migranten aus fremden Kulturen zu tun, er zeigt auch den wachsenden Anteil von Konfessionsfreien an unserer Gesellschaft, die sich natürlich nicht von den sich christlich nennenden Parteien vertreten fühlen.

Übrigens: Mein Läster-Lexikon wächst und wächst. Wer noch ein Stichwort vermisst, das er von mir kommentiert lesen möchte, sollte es mir mitteilen. In den letzten Tagen sind folgende Stichwörter neu aufgenommen worden: Unnatürlich, Wiedersehen, Ephemera, Glauben, Rosen, Islam, Herostrat, Lebensfeindlich und Happy End.

Der bedeutendste Wirtschaftszweig der Moderne, der Tourismus, ist auf immer neue Untersuchungen angewiesen. Ich konnte aufgrund jahrelanger teilnehmender Beobachtung das Verhalten der Gruppenreisenden und ihres Reiseleiters beim Aufbruch der Westdeutschen in den neuen Massentourismus der 50er, 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts beschreiben, so penibel und unterhaltsam wie manchmal auch peinlich. Das Ergebnis ist der Tatsachenroman „Hohe Zeit“, der mir schon viele Gratulationen und Beschimpfungen eingebracht hat. Hauptsache, er ist jetzt in den Händen der Tourismusforscher.

Hohe Zeit Cover

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