Das Narrenschiff

 

(Ship of  Fools, USA 1964, 143 Minuten, Regie: Stanley Kramer, Drehbuch: Abby Mann nach dem 1962 erschienenen gleichnamigen Roman von Katherine Anne Porter)

Sich zum Narren machen ist leichter als Narren zeichnen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Amerikanerin Katherine Anne Porter (1890-1980), die 1931 eine Schiffsreise nach Europa gemacht und gleichzeitig das 1494 erschienene Buch „Das Narrenschiff“ von Sebastian Brant (1457-1521) gelesen hatte. Davon angeregt, plante sie eine ebenso umfassende und endgültige Abrechnung mit der Menschheit vorzulegen. Die sah dann so aus: Auf einem Schiff vereint, das sie in 27-tägiger Fahrt über den Atlantik vom Mexikanischen Veracruz nach Bremerhaven und in eine ungewisse Zukunft bringt, sind Menschen unterschiedlicher Nationalität und Profession, Alte und Junge, Arme und Reiche, manche wie Katze und Hund zueinander. Dabei halten sie sich für Erste-Klasse-Passagiere, weil der Dampfer auch einige hundert spanische Farmarbeiter transportiert, unter menschenunwürdigen Bedingungen im Zwischendeck eingepfercht. Sie sind wegen gefallener Zuckerpreise entlassen und von Kuba heimgeschickt wurden.

Der Film macht aus dem Jahr 1931 der Roman-Reise das Jahr 1933, in dem in Deutschland, dem Ziel der Reise, schon die Nationalsozialisten herrschen. Eine politische Zuspitzung des Porter-Romans. Das ist zugleich eine Konkretisierung des berühmten Brant-Buches, das eine allegorische Reise von einzeln in Versen geschilderten Vertretern aller menschlichen Dummheiten auf dem Lebensschiffs nach Narragonien beschreibt. Was bei Brant eine Enzyklopädie unserer Schwachpunkte ist, wird bei Porter zum Sammelsurium komischer Typen, die in einer Zufallsgruppe vereint sind.

Dabei bringt Porters Roman das Menschliche großzügig gespachtelt zu Papier, fast möchte man sagen: Kaum ein Substantiv ohne ein bis zwei Adjektive, kaum ein Verb ohne Adverb. Daraus wurde ein dickes Buch. Und daraus wird im überlangen Kinofilm eine durchaus unterhaltsame Folge von miteinander verschränkten Episoden: Die betrogene amerikanische Diplomatengattin, die ihren Mann verlassen hat, das deutsche dumme Gör aus der Damenbekleidungsbranche, das sich an den deutsch-nationalen Schwadronierer wirft, der plump-dämlich auftretende gescheiterte Sportler aus Amerika, der junge amerikanische Maler, der sich von einer jungen Amerikanerin aushalten lassen muss, der Religionsfanatiker im Rollstuhl mit seinem Neffen und Pfleger, der sein erstes Sexerlebnis ersehnt, das alte Professoren-Ehepaar mit seiner Bulldogge, das zu gut erzogene Mädchen, das am Rockzipfel seiner Eltern hängt, der deutsche Jude, der genau wie der Zwerg nicht mit am Tisch des Kapitäns sitzen darf. An ihren Katzentisch wird dann auch noch der deutsche Geschäftsmann verbannt, der unvorsichtigerweise im Gespräch zugegeben hatte, dass er eine jüdische Frau hat. Dazwischen die spanische Tanzgruppe, die sich skrupellos Geld beschafft und nicht vor Gewalttätigkeit zurückschreckt. Und als Kontrast die heruntergekommene und rauschgiftsüchtige Aristokratin, die als politisch Verbannte von Kuba nach Teneriffa deportiert wird und den Schiffsarzt in eine verzweifelte, schließlich sogar tödliche Verliebtheit stürzen lässt.

Sind das Narren? Vielleicht das Ehepaar, das seinen dicken Hund zwischen sich am Tisch sitzen lässt beim Captains’s Dinner, auch der Religionsfanatiker und der verhinderte Spitzensportler. Auf sie trifft zu, was zur Definition des Narren gehört, nämlich dass das Menschlich-Allzumenschliche so total von ihnen Besitz ergriffen hat, dass sie uns den Spiegel vorhalten und uns aus unserer Selbstüberschätzung zurückholen.

Doch die anderen Figuren dieses gar nicht so lustigen Spiels sind eher traurige bis tragische Gestalten. Vor allem der freundliche und gutgläubige deutsche Jude, der glaubt, ihm werde in der Heimat schon nichts zustoßen, weil er im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurde. Und eine tragische Gestalt ist auch der Zwerg, der sich in jeder Situation zu überlegen verständnisvollem Lachen bereit zeigen muss. Er steht für die Tausende von Hofnarren, die in früheren Jahrhunderten schon wegen ihrer vom Üblichen abweichenden Gestalt als lustig empfunden wurden, oftmals sogar mit Gewalt zu Krüppeln und Verrückten gemacht, um den Unterschied zu den Größen der Welt deutlich werden zu lassen.

Der Straßburger Sebastian Brant, Doktor beider Rechte und Professor an der Universität Basel, Kaiserlicher Rat und Beisitzer am Hofgericht zu Speyer, hat mit seinem Buch „Das Narrenschiff“ das wichtigste Werk der Zeit vor der Reformation geschrieben. Die Autorin Katherine Anne Porter hat sich mit ihrer Selbstüberschätzung als Nachfolgerin Sebastian Brants selbst zur Närrin gemacht und gleichzeitig die Millionen Leser ihres Bestsellers zum Narren gehalten.

Fazit: Der Film ist etwas für einen schön plüschigen Kinoabend. Fast könnte er auch mit einer Folge der Fernsehserie „Das Traumschiff“ verwechselt werden. Aber eine Abrechnung mit dem Menschengeschlecht, wie sie Sebastian Brant geliefert hat, ist das nicht. Der hehre Titel „Das Narrenschiff“ ist falsch. Entweder hat der Film das Thema verfehlt, oder er hat sich mit dem Titel verhoben. Wie auch immer, das eine ist so bedauerlich und beschämend wie das andere.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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