Hypogäum – Triumph der Venus von Malta

Book Cover: Hypogäum - Triumph der Venus von Malta
Editionen:Hardcover
ISBN: ‎ 978-3939321538
Seiten: 414

Eine junge deutsche Touristin, die auf der Insel Malta mit ihrem einheimischen Freund das mehr als fünftausend Jahre alte, in den Fels geschlagene unterirdische Höhlensystem Hypogäum besichtigt, wird plötzlich mit Gewalt in eine fremde Unterwelt gerissen. In eine Welt des Weiblichen. Die wochenlange Suche nach der Verschwundenen führt schließlich zu einem Erfolg, der so nicht gewünscht war.
Bei der wochenlangen Suche des Tauchlehrers und zweier Freunde nach der Verschwundenen lehnt die Polizei jegliche Hilfe ab. Bald geraten die Jesuiten, die früher wegen ihrer Manipulationen mit Opium von der Insel vertrieben waren, in Verdacht, dort unten im Reich einer prähistorischen Fruchtbarkeitsgöttin geheime kultische Zeremonien zu veranstalten. Damit tut sich eine ganz neue Welt auf, schwarz und weiß, betäubend und bodenlos. Was für eine Rolle spielt darin der Polizeipräfekt?
Jesuitisches und Opium, prähistorische Religionspraktiken, Glückspiel und Bespitzelung sowie die aktuellen Probleme mit dem permanenten Zustrom von afrikanischen Flüchtlingen auf Malta und die Hilflosigkeit der Europäischen Union, das sind die Ingredienzien, aus denen der Autor diesen mehr als nur erregenden Roman-Cocktail gemixt hat.

Der Schriftsteller und Blogger Walter Laufenberg, ausgewiesener Malta-Kenner, hebt mit diesem spannenden Kulturthriller das Genre Thriller auf eine neue, höhere Ebene: Laufenberg ist Spannung plus.

Veröffentlicht:
Verlag: Salon Literatur Verlag
Genres:
Auszug:

Leseprobe
Prolog:

Wer auf der Insel geboren wurde, nennt sie den Mittelpunkt der Welt, egal ob seine Vorvorvorfahren nur vom Sturm dorthin verschlagen wurden oder von Sklavenhändlern eingeschleppt, ob sie als Eroberer gekommen waren, als Besatzer dort ihren Dienst leisten mussten oder als Händler von hier aus ihre Fäden geknüpft haben, wenn sie nicht gar als abgekämpfte Piraten sich im Abseits zur Ruhe setzen durften. So oder so – menschliches Strandgut aller Art sind sie. Als letzter und buntester Haufen kamen dann die Malta-Touristen auf ihre Insel, so glaubt man wenigstens. Nicht ahnend, dass die Maltesischen Inseln nur Buckel der im Meer versunkenen Landverbindung zwischen Afrika und Europa sind, die sich jetzt wieder zu heben scheint, in furchterregender Geschwindigkeit. Und die Menschen Afrikas, die nicht warten können, weil ihr Lebensfaden so kurz ist, vertrauen sich dem noch unsicheren Weg an und kommen, kommen, kommen.

Die Personen der Handlung

Lies mehr

Nelle Fuchs. Die Lokalreporterin des Bonner Generalanzeigers ist 30 Jahre alt, blitzgescheit und sehr realistisch. Sie ist sportlich schlank mit langem hellblondiertem Haar, unverheiratet und ohne jede Beziehung zum Religiösen.

Ellen Fuchs. Sie ist eine braungebrannte Brunnenbauerin, die im Jemen als Entwicklungshelferin für den Deutschen Entwicklungsdienst DED gearbeitet hat. Sie ist ebenfalls unverheiratet.

Richard Fulgham. Der maltesische Tauchlehrer ist 35 Jahre alt, gebildet und geschichtsinteressiert, sowohl vaterlands- als auch kirchentreu. Als Sohn einer deutschen Touristin spricht er ein gutes Deutsch, ist mittelgroß und stets korrekt gekleidet. Er ist Malteserritter.

Eugen Klein-Schneidewind. Ein Redakteur der Nordwest-Presse in Oldenburg in Oldenburg, mit seiner Frau in Urlaub auf Malta. Ein bisschen großsprecherisch, aber auch hilfsbereit und todesmutig. Ein Mann mittleren Alters mit Bierbauch und dem Riecher für eine große Reportage.

Friedhelm Zimmermann. Redakteur des Bonner Generalanzeigers. Ein Mann in den Dreißigern, verheiratet, gut aussehend, auf Frauen wirkend, der aber sein Geld pingelig zusammenhält.

Hans Hill. Ein deutscher Schriftsteller, der sich in einem kleinen Hotel auf Malta eingemietet hat, um einen Malta-Roman zu schreiben. Der Autor ist schon älter, groß und schlank und nie korrekt gekleidet.

Borg Boffa. Der Polizeipräfekt von Valletta, pensionsreif, stattlich und faul, ein überzeugter Sozialist. Golfspieler und Pflanzenfreund.

Ludmilla Markowski. Die für Malta zuständige Beauftragte der Europäischen Grenzsicherungsagentur Frontex, die in Warschau ihren Sitz hat. Eine attraktive Polin in den Vierzigern.

Pater Benedikt. Ein schon älterer Jesuitenpater. Der Archivar des Jesuitenordens von Malta. Er hat ein grobes, hässliches Gesicht, das aussieht wie aus lauter Gemüse zusammengesetzt.

Dita Massimo. Eine makellose Schönheit von Anfang Zwanzig, die als Fotomodell arbeitet, nebenher als Edelprostituierte.

Pit Polydor. Der für ein altmodisches Ambiente schwärmende Inhaber der Tauchschule Aquarius in Qawra im Norden Maltas, mit einer Dependance in Sliema, an der Richard Fulgham beschäftigt ist. Ein Gemütsmensch, selbstverständlich Malteserritter.

Nina. Sehr attraktive deutsche Tauchschülerin aus Solingen.

Joseph Jochem, Chefredakteur des Bonner Generalanzeigers, korpulent, gemütlich und gutmütig. Ein nicht mehr junger Mann mit Bierruhe und seinen Pfeifen.

Prof. Dr. M. M. Jonas. Genetiker am Institut der Universität Malta für Genetic Research, hilfsbereit, wenn auch etwas zu langatmig erklärend. Malteserritter.

Prof. Dr. Simon Lilienthal. Toxikologe der Universität Malta, hilfsbereit, ebenfalls ein Dozierer, jedoch historisch versiert.

John Ubama. schwarzer Bootsflüchtling, der aus Nigeria stammt. Er ist befreundet mit dem Schicksalsgenossen Nikos aus dem Tschad.

1.

„Überirdisch“, flüstert Nelle kopfschüttelnd und betrachtet die aus dem beigefarbenen Fels geschlagene Höhle. Mit den klobigen Säulen und den angedeuteten Deckenbalken kommt ihr der Raum vor wie eine leere Bühne mit recht einfallsloser Theaterkulisse. „Die warten wohl auf den Auftritt des Zwergenkönigs Laurin. Und so was rühmt der Führer als das Allerheiligste dieses unterirdischen Tempels.“
„Zwergenkönig Laurin? Kenn ich nicht“, flüstert ihr Begleiter zurück.
Niemand beachtet den leisen Wortwechsel. Die Besucher starren sämtlich stumm ergriffen in die nur schwach beleuchtete Aushöhling im Fels, die aussieht wie eine übergroße Muschel. Nelle schaut sich um. Dieses angebliche Allerheiligste reizt sie weit weniger als das fehlende Stück in dem massiven Edelstahlgeländer neben ihr, das den Zugang zum dritten Untergeschoss versperrt. In zwei Sprachen steht das Verbot unübersehbar auf dem Blechschild, das an einem rotweißen Plastikband hängt. In Englisch: No Entry. Und in dieser sonderbaren Sprache, die Maltesisch sein muss: Titholx. Nelle liest es und wartet mit Ungeduld darauf, dass der Führer mit seinen Erklärungen fertig ist und sich mit der Touristengruppe dem Ausgang zuwendet.
Als die Meute endlich weitergeht, drückt Nelle sich an das Ende der Besucherschlange. Sie geht nicht mit, lässt den Abstand zu den anderen größer werden und die Herde geduldiger Schafe um die nächste Kehre in dem verwirrenden Höhlensystem verschwinden. Sofort versinkt die allerheiligste Muschel wieder im Dunkel der Unterwelt. Da hebt Nelle das Plastikband an, neben dem sie steht, und schlüpft drunter durch. Wozu ist man jung und schlank und durchtrainiert? „Sport öffnet einem zusätzliche Welten.“
Richard tut es ihr ohne Zögern nach. „Recht so“, sagt er. „Schließlich habe ich Eintritt gezahlt für alle drei Tiefgeschosse dieses unterirdischen Tempels. Und eine Absperrung, die sich so einfach aufheben lässt, ist keine wirkliche Absperrung.“
Die junge Frau mit dem langen hellblondierten Haar, das hinter ihr herflattert wie eine Fackel, hat sich nicht weiter um eine Rechtfertigung für die Missachtung der Absperrung bemüht. Ist ihre Devise doch: Neugier gehört für eine Journalistin zum Beruf. Sie ist bereits behende die sieben Stufen hinuntergestiegen, dann auf den etwas tieferen Boden gesprungen und mit der Taschenlampe, die sie in der Hand hält, in den Gang hineingeeilt, der sich zu ihrer Überraschung rechterhand öffnet. Sie braucht sich nicht nach Richard umzuschauen. Sie ist sicher, dass er hinter ihr herkommt. So anhänglich, wie er ist, und immer bemüht, sich als jung und sportiv zu erweisen. Er sieht in Nelle schon seine Braut, ja, seine zukünftige Frau, die ihm den Haushalt führen wird, vielleicht sogar die Mutter seiner Kinder, die auch noch katholisch getauft werden müssen. Was Nelle alles ganz anders sieht, ihm klarzumachen aber nicht für nötig hält. Natürlich ist er nur mein Tauchlehrer und Ferienfreund, hat sie sich gesagt, doch warum sollte ich mir den wohlverdienten Urlaub versauen mit so einer Grundsätzlichkeit? Für Malta ist Richard richtig. Als Einheimischer kennt er sich gut aus und ist immer da, wenn man einen Mann braucht. Nicht zu vergessen seine guten Deutschkenntnisse, weil seine Mutter eine Deutsche ist. Vermutlich auch nur als Touristin hierher gekommen und dann hängen geblieben an einem Malteser, der so charmant sein konnte, wie Richard.
Nelle tappt weiter vorwärts, weiter und weiter hinein in die enge und leicht abfallende Röhre, in der sie sich zur Vorsicht ein wenig duckt. Die Malteser sind meist nicht so groß wie unsereiner, also könnte ich mir leicht den Kopf aufschlagen. Ein langer, gewundener Weg. Dann betritt sie eine stark abgewetzte Treppe nach unten. Und an deren Ende, im schwachen Schein ihrer kleinen LED–Lampe nur undeutlich zu erkennen, scheint sich ein Saal zu öffnen. Zu groß, um ihn auszuleuchten. Die Decke ist wohl nicht behauen, eher von abgestürztem Fels so zackig gebildet. Doch die Wände sind glatt und waagerecht gestreift, als ob einmal ein unterirdischer Fluss sich hier seinen Weg gesucht hätte, ein Fluss, der irgendwann wieder verschwunden ist. Danach müssen Menschen gekommen sein, die diese Treppe ins Gestein gehauen haben. Muss lange her sein. Eine Treppe, die wohl über Jahrhunderte so ausgetreten wurde, wenigstens in der Mitte, dass sie jetzt kaum noch zu begehen, mehr eine schräge Rutschbahn als eine Treppe ist. Nur breitbeinig hinabzustelzen. Ein schwieriger Balanceakt.
Doch auch davon lässt sich die notorisch neugierige Nelle Fuchs, immerhin seit zwei Jahren Lokalreporterin beim Bonner Generalanzeiger, nicht abhalten. Jetzt will sie auch noch die letzten Stufen dieses mühsamen Weges nach unten nehmen. Herausfinden, was dort zu sehen ist!
„Wahrhaftig lebensgefährlich. Deshalb das Schild: Kein Zugang“, ruft sie über die Schulter dem ihr folgenden Richard Fulgham zu. Sie lauscht. Weil keine Antwort kommt, bleibt sie stehen und dreht sich um. Doch ist niemand hinter ihr. Wieso nicht? Sie erstarrt. Dann leuchtet sie die Treppenstufen hinauf und sieht etwas auf der obersten Stufe liegen, das ihr Begleiter sein könnte. Ein regloses, tonloses Wesen. Und wie sie hinaufhetzt und sich hechelnd über ihn beugt, erkennt sie eine schmale und tief eingedrückte blutige Rille rund um Richards Hals. Mein Gott, das sieht nach einer Drahtschlinge aus, mit der man ihn erwürgt hat, durchfährt es Nelle. Sie unterdrückt den Schrei, der ihr die Kehle sprengen will. Und sie verbeißt sich auch den Jammer, der nur zu berechtigt wäre: Der gute Kamerad, der sich so auf unser neues gemeinsames Leben gefreut hat, der darf doch nicht …!
Als sie ihre Lampe kreisen lässt, um den Täter zu stellen, alle Muskeln angespannt, kampfbereit, sieht sie sich von steinerner Kahlheit umgeben. Nichts, was sich als Gegner zeigt, nichts, gegen das sie sich wehren könnte. Doch dann hört sie eine weibliche Stimme, die ihr auf Englisch zuruft: „Ihr seid in den inneren Bereich des Heiligtums vorgedrungen. Für einen Mann ist dieser Frevel tödlich. Aber nicht für dich. Fürchte dich nicht! Für dich als Frau ist das der entscheidende Schritt zur wahren Weiblichkeit, zu einem Glück ohne Ende und ohne den Blick zurück. Denn jetzt gehörst du zu uns.“
„Wer spricht da?“
So eifrig Nelle den Kopf und den Lichtkegel ihrer Lampe kreisen lässt, sie kann nicht entdecken, woher die Stimme kommt, die ihr jetzt in sehr bestimmtem Ton die Anweisung gibt: „Nun gibt es für dich keinen Weg mehr zurück. Deshalb komm herunter und gehe guten Mutes weiter, in den vor dir liegenden Saal hinein. Damit wir dich in aller Form begrüßen und salben können. Wir sind deine liebevollen Schwestern. Es sei denn, wir stellen fest, du bist in Wahrheit keine Frau. Dann ist dein Schicksal besiegelt. Dann wird dein Tod grässlich sein.“
Nur eine Lautsprecheransage, wird Nelle klar. Ich bin allein in dieser kalten Leere, werde aber beobachtet. Und die Hände mit der Drahtschlinge müssen noch in der Nähe sein. Also nichts wie raus! Sie reißt sich vom Anblick ihres reglos daliegenden Begleiters los, richtet sich energisch auf und beginnt, zu dem Absperrband zurück zu rennen. Allein kann ich den Toten nicht rausschleppen. Ich muss Hilfe holen. Doch schon nach wenigen Schritten ist sie nicht mehr allein. Plötzlich wird ihr die Leuchte aus der Hand geschlagen. Die letzte Orientierungshilfe zerschellt scheppernd auf dem felsigen Boden. Dunkel rundum. Gleichzeitig packen kräftige Hände Nelle rechts und links an den Armen, machen eine Kehrtwendung mit ihr und zerren sie im Stockdunklen wieder den Gang hinunter zu der Treppe hin. Die rabiaten Hände heben sie kurz hoch, wohl über den toten Richard hinweg, durchfährt es sie mit Erschauern, um sie dann im festen Griff die ausgetretenen Stufen zu dem Saal hinunterrutschen zu lassen. Kaum dass ihre Schuhe die Treppe berühren. Sie schreit um Hilfe, doch da ist niemand, der ihr helfen könnte. Ihr Geschrei verhallt in dem engen Tunnel, durch den sie immer weiter hinabgleitet. Und so sehr sie sich dagegen zu wehren versucht, die starken Hände reißen sie einfach weg, weiter und weiter in eine unbekannte Unterwelt hinein.

2.

Und wieder schlurfen sie durch die Gänge des Hypogäums. Die nächste Besuchergruppe mit dem nächsten Führer. Menschen in langgestrecktem Zug. So, wie Touristen in Horden sich zu bewegen pflegen. Mehr lustlos als bildungsbeflissen. Mit steifen Beinen. Schwer hängen die Kameras an den Schultern und Händen. Dabei ist das Fotografieren verboten. Eine kühle, aber trockene Luft umgibt sie. Ist das die Luft der Vergangenheit? Wohl kaum. Wie das elektrische Licht, so müsse man sich auch die moderne Belüftungsanlage mit ihren Röhren und der frischen Luft wegdenken, erklärt der redselige Führer. Das sei alles eine Sache der Imagination. Es gelte, sich vorzustellen, wie die Menschen der Urzeit mit ihren rußenden Fackeln hier durchgekrochen sind. Der Führer weiß anscheinend alles über die Urzeitleute, die diese Höhlen aus dem Fels gehauen haben, und er kann es schildern, als wäre er dabeigewesen. Doch weil der von massiven Edelstahlgeländern rechts und links begrenzte Weg durch den Fels so schmal ist, bekommen nur die vordersten Besucher überhaupt mit, was ihnen an Erläuterungen geboten wird. Macht nichts. Wie viele Schlossführungen und Höhlenerkundigungen und Kirchenbesichtigungen und Museumsbesuche hat man schon über sich ergehen lassen müssen. Das ist halt Kulturtourismus, man kann ja nicht nur immer essen und trinken und in der Sonne braten. Besichtigungen müssen sein. Immer mit diesem monotonen Gerede des Kastellans, das aus vielen Namen und Jahreszahlen besteht, die man sich sowieso nicht merken kann. Auch nicht merken muss. Was wirklich wichtig ist, liest man in der Bild–Zeitung.
Der Führer erklärt der Touristengruppe, die gerade das sogenannte Allerheiligste besichtigt hat, wo sie an dem Absperrband auch das Schild No entry gesehen haben: „Sie befinden sich in dem ältesten von Menschenhand errichteten Bauwerk der Welt. Dieser Bau ist eintausend Jahre älter als die frühesten Pyramiden in Ägypten, anderthalbtausend Jahre älter als Stonehenge in England oder die Steinsetzungen in Carnac in der Bretagne. Und fast zweitausend Jahre älter als der Palast des Minotaurus auf Kreta. Um Ihnen einmal ein paar Vergleiche mit dem zu bieten, was Sie schon kennen. Hier erleben Sie die allerälteste Megalithkultur. Allerdings, was diesen Bau hier betrifft, was die auf unserer Insel lebenden Bauern und Fischer zwischen 3600 und 2500 vor Christus hier aus dem Fels geschlagen haben, das wirft die Frage auf: Was soll das? Denn das war zweifellos kein Grabmal, zumindest ursprünglich nicht, war aber auch kein Palast, wohl eher ein Tempel. So stabil erbaut für Gottheiten, die wir nicht kennen. Ja, Gottheiten, die all ihrer Unsterblichkeit zum Trotz längst ausgestorben sind. Eine Tatsache, die den Jesuiten, die hier mit den Ausgrabungen begonnen hatten, überhaupt nicht gefallen hat.“
Der Führer macht eine Kunstpause und grinst die vordersten seiner Touristengruppe an, stolz auf den Witz, den er gemacht hat. Aber weil niemand reagiert, wendet er sich leise an den Mann aus Deutschland, der neben ihm geht und sich ihm wichtigtuerisch als „Eugen Klein-Schneidewind, Journalist, Oldenburg in Oldenburg, Germany“ vorgestellt hatte: „Für uns Sterbliche ohne Soutane doch ein schöner Trost, dass selbst Gottheiten verschwinden können, finden Sie nicht auch?“
„Ja“, stimmt der ihm zu, „ohne all die wahnsinnige Götterei und die verdammte Rechthaberei der Gläubigen wäre die Welt friedlicher.“
„Vielleicht ja, vielleicht aber doch nicht, weil dann für jeden einzelnen sein Ich zum Gott wird“, flüstert der Führer. Was den Oldenburger große Augen machen lässt. Eigentlich passen zu der saloppen Freizeitkleidung des noch recht jungen Führers nicht so tiefschürfende Äußerungen, überlegt er, aber der Mann, der jeden Tag die immergleiche Rede halten muss, möchte offenbar doch – Sandalen hin und offenes Hemd her – als geistiger Mensch dastehen, wenn er einmal mit einem geistigen Menschen wie mir zu tun hat.
„Nein, nix Ich. Mein Gott ist meine Frau“, widerspricht der kleine Oldenburger Glatzkopf mit Kugelbauch dann aber noch schnell. Nie um eine witzige Antwort verlegen. Dabei zieht er lachend die breitbeinig und brav an seiner Seite gehende Frau mit den ausladenden Hüften an sich, die dazu nur „Na, na, na“ sagen kann.
Indes konzentriert der Führer sich schon wieder auf seine Aufgabe. „Dieses Heiligtum war vermutlich einer Göttin der Fruchtbarkeit geweiht“, ruft der lange, hagere Mann über die Köpfe hinweg dem hinteren Teil der ihm folgenden Gruppe zu, die sich zu seinem Ärger in dem schmalen Gang wieder zu einer viel zu langen Schleppe gedehnt hat.
„Aufschließen bitte, aufschließen bitte! Damit Sie mich verstehen können. Das Höhlensystem wurde erst im Jahre 1902 bei Bauarbeiten zufällig entdeckt. Bei gezielten Grabungen in dem Labyrinth von unterirdischen Gängen und Kammern und Treppen, das dann vom Schutt der Jahrtausende befreit wurde, – die Jesuiten haben die Grabungen geleitet – hat man zunächst Tausende von Skeletten ans Tageslicht gebracht. Weil man den Tempel irgendwann zum Lagerplatz für die Toten umfunktioniert hatte. Aber auch einige figürliche Darstellungen wurden gefunden. Kleine Figürchen. Die wiesen auf einen Fruchtbarkeitskult hin. Vermutlich Grabbeigaben. Liegende Frauen mit gewaltig überproportionierten Po– und Hüftpartien, aber kleinen Köpfchen und geradezu zierlichen Händchen und Füßchen. Typische Fruchtbarkeitssymbolik. Daneben hat man auch Phallusdarstellungen gefunden. Nun ja, was zusammengehört, gehört zusammen. Als Grabbeigaben natürlich besonders interessant. Wir würden heute von Dildos sprechen, die den weiblichen Toten bei ihrer Reise ins Jenseits mit ins Handgepäck gegeben wurden. In der Tempelanlage von Tarxien, nur ein paar Kilometer von hier entfernt und etwa genau so alt, fand man sogar drei Phallusdarstellungen aneinander, wie die Röhren einer Syrinx. Wir können uns leicht vorstellen, welche Musik darauf gespielt wurde. Neben den überdimensionierten Frauenfiguren hat man hier auch die kleine Stele einer stehenden Frau aus Terrakotta ausgegraben. Die ist ausnahmsweise sogar wohlproportioniert, eine Hand hält sie unter der vollen Brust, eine vor dem Leib. Wir nennen sie die Venus von Malta. Obwohl die altrömische Göttin Venus, die der griechischen Aphrodite entspricht, bekanntlich nichts mit Fruchtbarkeit zu tun hatte. Sie stand doch für weiblichen Liebreiz. Aber zugegeben – gerade das führt ja leicht zur Befruchtung.“
Der Mann macht eine Pause, um den Leuten Zeit zum Lachen zu lassen. Aber diesmal hat er eine Gruppe von sehr ernsthaften Kulturtouristen um sich. Niemand außer ihm selbst lacht. So bleibt ihm nichts weiter übrig, als zu erläutern: „Diese Venus von Malta ist leider ohne Kopf. Böse Zungen haben dazu bemerkt, bei einer Frau spiele der Kopf ohnehin keine Rolle. Ich deute das lieber so, dass diese Göttin jeder Frau die Möglichkeit geben wollte, ihren eigenen Kopf auf den schönen Körper zu setzen und so zu einer Venus zu werden.“ Dabei lacht er wieder auf seine meckernde Art. Doch auch diesmal lacht niemand aus der Gruppe mit ihm. „Nun ja, dann eben nicht“, knurrt er enttäuscht vor sich hin.
Der Oldenburger, immer noch an seiner Seite, bemüht sich, ihn zu trösten. „Die Leute sind offensichtlich sehr beeindruckt von den unterirdischen Gängen“, sagt er leise, „richtig erschlagen von diesen Höhlen, die man in Urzeiten aus dem gewachsenen Fels gemeißelt hat und die nun von einer Leere in die nächste Leere führen.“
„Ja“, antwortet der Führer ebenso leise, „das ist halt Nachsaison–Publikum. Nicht zum Vergnügen nach Malta gekommen. Kulturtouristen. So Leuten ist nicht zu helfen. Dann eben ernsthaft weiter.“
Und wieder über die Gruppe hinwegrufend: „Wir wissen nicht, was für Menschen das waren, die hier für die Jahrtausende gebaut haben. Vor fünfeinhalbtausend Jahren haben sie hier als Bauern und Fischer gelebt, was anderes gab es ja nicht, und sich dieses Heiligtum geschaffen. Dabei können wir uns kaum vorstellen, wie sie mit ihren primitiven Steinwerkzeugen diese Gänge in den felsigen Grund vortreiben konnten. Wie wir ja auch nicht wissen, wie sie die tonnenschweren Felsbrocken hierher transportiert haben, die Sie in dem benachbarten Tempelkomplex von Tarxien und an etlichen anderen Orten auf Malta und auch auf Gozo gesehen haben werden. Gigantische Steine, von weither rangeschafft. Die sie dann auch noch senkrecht auf den Boden stellten und beinahe nahtlos zusammenfügten, ehe sie sie mit genauso viele Tonnen schweren Dächern bedeckten. Wie viele Leute haben sie dazu gebraucht? Und wie viele Jahre? Lauter offene Fragen. Wir müssen uns mit dem Fachbegriff Megalithkultur zufrieden geben und mit dem Bestaunen dieser ältesten freistehenden Bauwerke der Menschheit.“
„So eine Mühe haben die Leute sich mit diesem Tempel gemacht“, kommentiert der Oldenburger Journalist das Gehörte leise gegenüber seiner Frau. „Diese gewaltigen Hinkelsteine. Die Vorvorfahren der Malteser müssen richtige Obelixe gewesen sein. Und doch sind ihre Tempel heute nichts anderes als komische Schneckenhäuser, wie wir sie anderswo am Strand finden. Genial gebaut, aber leer und nutzlos.“
„Wenn man bedenkt, dass in dieser unheimlichen Unterwelt einmal Menschen gebetet haben, im Dunkeln“, schüttelt sich die Frau des Journalisten, „zwischen all den Gerippen, einfach schauerlich.“
„Ach was, schauerlich. Ich hätte gerne Mäuschen gespielt, wenn sie mit ihren Fruchtbarkeitsriten zugange waren“, widerspricht ihr Mann lachend. „Am liebsten würde ich mich hier verstecken und am Abend einschließen lassen. Vielleicht hat ja noch eine der Göttinnen überlebt und veranstaltet dann um Mitternacht ihr Liebeszeremoniell mit mir.“
„Dass du nur ja an meiner Seite bleibst!“, zischt seine Frau ihn an. Dabei nimmt die Oldenburgerin ihren Mann fest an die Hand. Was der sich aber nur für einen Moment gefallen lässt. Nicht einmal beim Sonntagsspaziergang im Oldenburger Schlosspark lässt er sich an die Hand nehmen. „Ein richtiger Mann, der braucht seine Freiheit“, das ist eine seiner Standardredensarten.
„So verwirrend diese Lichtspiele“, sagt seine Frau, „wie vor der Gruppe da und dort eine Lampe angeht, dann wieder ausgeht und die Gruppe im Dunkeln stehen lässt.“
„Was wohl nichts anderes heißt als: Bitte weitergehen“, deutet der Oldenburger Zeitungsmann das. Und setzt den Gedanken unausgesprochen fort: Das ist eine Bitte, bloß eine Bitte, der man ja nicht unbedingt nachkommen muss. Er fühlt sich auf einmal so herausgefordert, so unternehmungslustig und mutig auch, wie damals als kleiner Junge, wenn der Kirschbaum im Garten des Nachbarhauses voller Süßkirschen hing und es ihn in den Fingern juckte.

3.

Die vielen abgewetzten Stufen, die Nelle im Dunkeln mehr hinabschlitterte als ging, kamen ihr vor wie der Weg in die Hölle. Die vier rabiat zupackenden starken Hände rissen sie hinab, von hinten wurde sie von etlichen Händen geschoben. Und dabei kein fester Halt auf dem Boden zu finden. Eine verzweifelte Situation. Sie wollte schon jeden Widerstand aufgeben, sie war auf das Ende ihres Lebens vorbereitet. Das war es dann. Okay. Als ihr plötzlich die nächste Überraschung geboten wurde. Denn in dem Saal am Ende der Treppe angekommen, wurde sie von gleißendem Licht empfangen. Scheinwerfer, die von vier Seiten auf sie gerichtet waren, und ein noch helleres Punktlicht, das sie aufspießte. Nelle war so geblendet, dass sie zunächst gar nichts sah. Ist das ein Verhörkeller? Oder ist das vielleicht nur ein Theater? Habe ich den Text vergessen? Ja, was für eine Rolle spiele ich denn hier? Verflucht, kann ich denn nur noch Fragen denken?
Als ihre krampfhaft aufgerissenen Augen sich ein wenig an das viele Licht gewöhnt hatten, sah sie sich umringt von Frauen, die nichts als ein handtuchbreites, enges, aber buntes Röckchen trugen und einen Bienenkopf. Bei genauerem Hinsehen erkannte Nelle: Das ist eine Gummimaske, hinter deren Augenlöchern man die wahren Augen nur ahnen kann. Jedenfalls sind das Frauen, denn den Busen tragen sie frei. Wie sie jetzt über Nelle herfielen und ihr die Kleider vom Leib rissen, da waren nur noch wabbelnde Brüste und aneinander stoßende Bienenköpfe zu sehen. Nelle war auf einmal splitternackt inmitten dieses Knäuels.
Sie schien die einzige zu sein, die ihr Schreien hörte. Und wie sie schrie, ganz Protest, während die Bienenköpfe stumm an ihr hantierten. Denen macht der Lärm offenbar nichts aus. Trotzdem. Sie schrie und zeterte weiter. Bis sie selbst das Schreien allmählich immer mehr als sonderbar empfand. Und dann sogar als störend, je mehr von diesen weißen Dämpfen um sie herum aufstiegen und ihr die Ohren und Augen, Mund und Nase und den ganzen Kopf füllten. Natürlich auch die Lungenflügel. Verdammt, dachte sie, sogar die Muskeln meiner Arme und Beine scheinen sich vollgesogen zu haben von diesem Dampf mit dem unbekannten Duft. Einem so schönen Duft. Selbst meine Glieder geben sich dem Genuss hin, statt sich zu wehren, wie ich ihnen mit letzter Kraft befehle. Wehrt euch, wehrt euch! Verdammt noch mal!
Ein Geruch, der alles andere als unangenehm ist, widersprach alles in ihr. Ein Duft, der im Gegenteil so lieblich ist, so wohltuend, so einladend. Schon nahm sie ihn mit tiefen Atemzügen in sich auf. Plötzlich so gierig, dass auch noch ihr letzter verzweifelter Widerstand erlahmte und sie sich schließlich willenlos auf die Arme der Bienenfrauen hieven und davonschleppen ließ. Irgendwohin. Nelle fragte sich schon nicht mehr, wohin die Frauen sie trugen. Und nahm kaum noch wahr, wie ihr nackter Körper dabei von vielen zarten Küssen bedeckt wurde. Zärtlichkeiten wie Sonnenstrahlen, die auf sie trafen, ihr gut taten, sie wohlig erwärmten. Sie streckte sich, als läge sie am Strand oder auf der Luftmatratze, von den auslaufenden Wellen des Mittelmeers sanft angehoben und aufs weite Wasser hinaus getragen. Entführt. Jeder Widerstand war zwecklos. Denn die Wogen schlugen über ihr zusammen, liebkosten sie, hier und da und dort und überall sie streichelnd mit ihren weichen Lippen, mit ihren gierigen Zungen sie ableckend, dass Nelle nur noch Hingabe war, ganz und gar Hingabe – aber längst nicht mehr Nelle.

(Ende der Leseprobe. Die nachfolgende Werbung ist von mir nicht beieinflussbar, stellt also nicht unbedingt meine Meinung dar)

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Rezensionen:Lena Abushi im “Mannheimer Morgen” vom 28. Dezember 2013: schreibt:

Die alte maltesische Kultur spielt eine Rolle für die Geschichte, die mit heutigen Institutionen verwoben ist. Ein aktuelles politisches Problem, der Zustrom von Flüchtlingen aus Afrika, wird zum Angelpunkt der Geschichte. Die Figuren des Romans “Hypogäum – Triumph der Venus von Malta” sind klar durch ihre Eigenschaften charakterisiert. Dadurch liest sich der Text leicht und wirkt realistisch.

Doris Gsell-Urbanek, Triesen/Liechtenstein 21. 1. 21 schreibt:

Der Roman “Hypogäum” beginnt mit einem Paukenschlag, der die Leserinnen und Leser in eine Unterwelt auf der Insel Malta katapultiert, aus der ein Entkommen unmöglich erscheint. Der Kulturthriller ist geboren, der Paukenschlag hallt nach und bleibt gegenwärtig bis ans Ende des Romans. Die interessant geschilderten geschichtlichen Ereignisse, das Leben auf Malta und das des Jesuitenordens, der wichtigste Impulse auf das Geschehen aussendet, ziehen einen mit fein recherchierten Einzelheiten in ihren Bann. Die spannungsgeladene, kriminalistische Handlung verrät einen spürbaren Hang des Autors zum Aussergewöhnlichen. Immer wieder eine grosse, lang anhaltende Freude, ein weiteres Werk von Laufenberg zu entdecken.

Stephan Krupp, Ebringen 9. 3. 2016 schreibt:

Jetzt war der Malta-Krimi “Hypogäum” der ideale Begleiter bei meinem Urlaub auf Malta. Hat mich einfach mehr sehen und verstehen lassen. Danke!

Prof. Dr. Horst Krämer, Ulm 12. 5. 2015 schreibt:

Ich hatte ‘mal ein Buch bei Vieweg (jetzt Springer). Der damalige Lektor erzählte mir, der alte Vieweg habe seinerzeit den Gottfried Keller einsperren lassen, weil er nie mit dem 2. Band vom Grünen Heinrich (GrH) zu Ende gekommen sei. Zur Strafe ließ Keller den GrH sterben. Auf die Proteste der Leser hin überlebte der GrH dann in den nächsten Auflagen. So riete ich sinngemäß, das grausige Ende Ihres Romans „Hypogäum“ bei der 2. Auflage umzuschreiben. Ansonsten finde ich das „Hypogäum“ groooßartig! Was für Ideen! Interessant auch das Überleben auf dem Meer.

Erika Neumann, Dossenheim 3. August 2014 schreibt:

Jetzt habe ich den Malta-Roman “Hypogäum” ganz gelesen. Und bin begeistert. Zuerst hatte ich ja meine Schwierigkeiten mit den Personen, weil manche mir überhaupt nicht gefielen. Bis auf die Journalistin aus Bonn. Aber wie ihre Retter sich entwickelt haben und nachher dastanden, toll. Und erst recht der Polizeichef. Die Geschichte wurde so spannend, dass ich vergessen habe, das Essen zu machen. Ich musste einfach immer nur weiter lesen. Dafür kenne ich jetzt Malta. Dazu noch: Wer bringt einem sonst das so nahe, was mit den Bootsflüchtlingen aus Afrika ist, die auf Malta angeschwemmt werden. Und dann diese Auflösung. Das hätte ich nicht gedacht.

Dr. Trenk-Götz Unger, Mannheim 14. Mai 2014 schreibt:

Ihr Kultur-Thriller “Hypogäum – Triumph der Venus von Malta” hat mir sehr gut gefallen. Man glaubt dabeigewesen zu sein, so genau kennt man die Örtlichkeiten, so packt einen das Geschehen.

Karl Schmid, Eppelheim 6. Januar 2014 schreibt:

Ich habe den Roman “Hypogäum“ nun gelesen! Zum Glück hatte ich Zeit, denn es ging gleich richtig zur Sache. Neben dem spannungsgeladenen Geschehen und den interessant dargestellten Charakteren der handelnden Personen erfährt man viel über das gegenwärtige und historische Malta. Das Ganze ist durchwoben wie ein kunstvoller Teppich von der wohltuend humorvollen Art des Autors, der im übrigen auch mit erotischen Anspielungen keineswegs gegeizt hat. Beklemmend sind allerdings die Fakten aktuellen Zeitgeschehens, wobei nur das Stichwort “Frontex” erwähnt sei. Es bleibt trotzdem dabei: Lesevergnügen pur!


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