Bernd Schroeder: Warten auf Goebbels

Sublim hoch drei

(Bernd Schroeder: Warten auf Goebbels, Roman, Verlag Carl Hanser, München 2017, Hardcover 236 Seiten)

Da hat einer ein Buch geschrieben über die Dreharbeiten für den letzten Kinofilm des Dritten Reichs, der heißen sollte: „Das Leben geht weiter“, aber bei Kriegsende nicht zu Ende gedreht werden konnte und dessen fertige Teile, ein Haufen Filmrollen, verschwunden sind. Der Mann heißt Hans-Christoph Blumenberg. Dieser hat nicht nur das Buch über seine Recherchen gemacht, sondern auch noch einen Dokumentarfilm über diesen Versuch des renommierten Regisseurs Wolfgang Liebeneiner, im Auftrag des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels einen Durchhaltefilm zu produzieren, und das vom Herbst 1944 bis zum Frühjahr 1945.

Nicht genug mit diesen beiden Versuchen, das Kaninchen aus dem Zylinder hervorzulocken, das nicht erscheinen will, hat sich mit Bernd Schroeder dann noch ein weiterer Zauberkünstler an den Trick herangewagt. Er verlegte das Geschehen von Babelsberg und Lüneburg in ein Dörfchen, dem er den Namen Krawinkel gab, damit jeder merkt, dass die finsterste Provinz als solche gemeint ist. Die Assoziation zu dem typischen Spießernest Krähwinkel, also zu Jean Paul, zu Kotzebue, Heine, Nestroy und Tucholsky ist unvermeidlich. Daneben gab es ein weiteres Verwandeln: Die berühmten Namen von Mitwirkenden an dem Nazi-Film versteckte der Autor Schroeder hinter erfundenen Namen, um so einen Schlüsselroman mit genereller Aussage über die Arbeit an einem umstrittenen Projekt abzuliefern.

Ein nicht vorhandener Film als eine Scheinwelt, die mehrfach aufscheint. Daraus hat Schroeder sein Buch mit dem Titel „Warten auf Goebbels“ entstehen lassen. Ein Werk, das zwar als Roman auftritt, aber weitgehend den Eindruck macht, ein Drehbuch zu sein. Denn die erzählenden Passagen sind meist kurz und so nüchtern gehalten wie Hinweise zur Szenegestaltung. Die Dialoge werden gern dazu benutzt, sie überraschend als Probeläufe zu enttarnen, indem der Regisseur sie akzeptiert oder kurz korrigiert und dann den Befehl zum Drehen gibt. Das Personal der Besetzung und des Stabs wird mit Kurzcharakteristiken festgelegt, die dem Ganzen nicht vorangestellt sind, vielmehr über den gesamten Text verstreut. Ebenso als Streusel werden übervollmundige Goebbels-Zitate aus seinen Tagebüchern und seinen Reden eingesetzt, mit exakten älteren Datumsangaben, die im harten Kontrast zu der sich endlos hinziehenden aktuellen Dreharbeit stehen.

Das sind geschickte Methoden, dem Leser das Gefühl zu vermitteln, dass der Regisseur auf Zeit spielt. Im eigenen Interesse und auch im Interesse der meisten Schauspieler und anderen Mitarbeiter dieses Films. Denn sie sind fast alle dienstverpflichtet aufs Land geschickt worden und wissen, dass sie sofort als Soldaten oder Helferinnen an die Front – und damit höchst wahrscheinlich in den Tod – getrieben werden, sobald sie für diesen letzten Film des Propagandaministers nicht mehr gebraucht werden.

Der von Goebbels geschätzte und zum Professor erhobene Regisseur präsentiert sich als der unpolitische Mensch, dem allein an der Kunst gelegen ist, für die er rastlos – und zeitraubend – tätig ist. Hat er doch längst den Glauben an den Endsieg verloren, für den der Film den letzten Rest an Durchhaltewillen aktivieren soll. Die nur ungefähren Vorgaben des Ministeriums verändert er klammheimlich so, dass der Film einen kritischen Grundton bekommt, weil er ihm nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs in dem zu erwartenden Verfahren vor dem Tribunal der Sieger als Persilschein dienen soll. Eine Spekulation auf die nähere Zukunft, die auch prompt aufgehen wird. Dieses eiskalte Lavieren des Regisseurs, die übertriebene Sorgfalt, mit der er immer wieder Szenen umschreibt, neue einfügt und jeden Dreh viel zu oft wiederholen lässt, ehe er sich damit zufrieden gibt, zeigt einen überlegenen Dompteur bei der Arbeit.

Der führt auch gefährliche Raubtiere vor. Die bei der Filmarbeit üblichen Reibereien aus Eitelkeit und Liebe oder Abneigung werden in dieser Situation, in der das Kriegsende –so oder so – unmittelbar bevorsteht, auf die Spitze getrieben durch den Fanatismus von einigen überzeugten Nationalsozialisten im Team und am Ort. Raubtiere, die sich nicht zügeln lassen wollen, die zuletzt aber doch den Biss verlieren und sich anzukuscheln versuchen. Bei aller Dramatik dieser Filmerei im Windschatten des Krieges entstehen Textpassagen von so feiner Ironie, dass man das Buch bis zur letzten Seite liest und sich danach sagt: Es hat sich gelohnt.

Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

 

 

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