755. Ausgabe

Passiertes! – Passierte es?

 

Deutschland galt einmal als das Land der Dichter und Denker. Heute sind bei uns fast 15 % der Erwachsenen Analphabeten. Die konnten bisher in Berufen, die kein Lesen und Schreiben voraussetzten, zurechtkommen. Aber jetzt zieht die elektronische Datenverarbeitung mit ihren Laptops schon in den letzten Entsorgungsbetrieb ein. Womit sich die Ansprüche an die Mitarbeiter erhöhen. Das gibt Deutschland endlich mal wieder einen kräftigen Bildungsschub, diesmal durch spezielle Alphabetisierungskurse.

Unsere amerikanische Freundin Judy beklagte sich darüber, dass die Deutschen mit ihrem Der-Die-Das selbst nicht klarkämen. Mal heißt es: Die Macht der Gewohnheit, dann heißt es: Das macht die Gewohnheit. So what?

Weil wir die Anlässe zum Verlust der Heimat, also des Umfeldes, mit dem man sich besonders verbunden fühlt, ständig vermehren, durch Kriege und Grenzverschiebungen mit Bevölkerungsaustausch, durch Wirtschaftsdruck und Wohlstandsanreize, durch Umweltzerstörung und Arbeitsangebote, ist es an der Zeit, dem schönen und bedeutungsschweren Wort Heimat einen Plural zu geben. Bleibt doch immer mehr Menschen unserer Erde nichts anderes übrig, als sich für zwei Heimate zu erwärmen, für die alte und die neue Heimat.

In den westlichen Gesellschaften nimmt die Frau traditionell eine weniger geschätzte Stellung ein als der Mann. In Kunst und Wissenschaft ließ man sie erst mit großer Verzögerung kommen. Die Frauenrollen auf den Opernbühnen mussten sie viel zu lange den Verschnittenen überlassen oder Kopfstimmensängern, den sogenannten Countertenören. In den Spitzenpositionen der Wirtschaft sind Frauen heute noch Seltenheiten. Und  der Katholischen Kirche sind sie immer noch nicht gut genug zum Priestertum. Dennoch geht es bei dem jetzt in den USA schon fast epidemisch auftretenden Verlangen nach Geschlechtsumwandlung fast dreimal so oft um den Wechsel von Mann zu Frau als andersherum. Da frage ich mich: Was macht das Frausein heute so attraktiv? Verpasse ich da was?

Im Frankfurter Flughafen fiel mir auf: Diese modischen Koffer mit Reißverschluss um drei Seien herum, die sich schon mittels Nagelreiniger und dergleichen mit einem einzigen Ratsch aufreißen lassen, kann man trotzdem den Leuten verkaufen, wenn man ein putziges Schlösschen mit Zahlenkombination dranhängt. Das gibt den Leuten das Gefühl von Sicherheit und von Bedeutung als Geheimnisträger. Da ging mir auf, was das Grundproblem der Demokratie ist.

Kriminologen wissen: Männer werden viel häufiger kriminell als Frauen, und das ist nicht nur in Deutschland so. Für ein Land wie Indien, mit dem wir gerade vertiefte Kontakte abgesprochen haben, in dem aber bekanntlich serienweise weibliche Föten abgetrieben und Mädchen ermordet werden, bedeutet das eine Zukunft als Männerland. Haben wir also gerade einen engeren Kontakt mit einem Land von Gesetzesbrechern vereinbart?

Es luthert allerorten, deshalb hier ein paar Geflügelte Worte, die zeigen, wie viel einzelne Branchen diesem Meister der Sprache verdanken: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Auf fremdem Arsch ist gut durchs Feuer reiten. Den Seinen gibt’s der Herr im Schlafe. Hochmut kommt vor dem Fall. Die ersten werden die letzten sein. Wer an der Gasse baut, hat viele Meister. Früh krümmt sich, was ein Haken werden will.

Meine Zeitgenossen neigen dazu alles, was sie persönlich kennzeichnet, zu substantiieren und sich als Orden an die Brust zu heften, sogar wenn es von der Gesellschaft negativ gewertet wird. Um als was Besonderes zu erscheinen, sagen sie nicht: Ich habe Angst vor dem Zahnarzt. Nein, sie sagen voller Stolz: Ich bin Angstpatient. Genauso: Ich bin Allergiker, Veganer, Kampfhundhalter, Kettenraucher, Agoraphobiker, Alleinerziehender, Kaufmuffel, Nichtleser, Risikoträger, Herzpatient, Frauenfeind, Nichtwähler oder Stadtneurotiker.

Wann immer ich an Menschen denke, die ich gekannt habe, die es aber nicht mehr gibt, beschleicht mich die erschreckende Vorstellung, die Welt könnte eventuell auch nach meinem Dahinscheiden einfach so weitermachen, als wäre nichts passiert. Das lässt mich in eine solche Verzweiflung fallen, dass ich – nun ja, einfach entschlossen weiterlebe und weiter schreibe, schreibe, schreibe.

 

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