Wenn die Gondeln Trauer tragen

(Don’t Look Now, Italien/Großbritannien 1973, 105 Minuten, Regie: Nicolas Roeg, Drehbuch: Allan Scott und Chris Bryant nach einer Kurzgeschichte von Daphne du Maurier)

Das Beste an diesem Film ist der deutsche Titel. Ein kleines Stück Dichtung. Wenn auch mehr als bloß eine sehr freie Übertragung des Originaltitels.

Dem britischen Ehepaar Baxter begegnet ein recht alltägliches Unglück: Ihre kleine Tochter ertrinkt beim Spielen in einem Teich hinter dem Haus. Ungewöhnlich ist, dass der Vater plötzlich spürt, seine Tochter verlange nach ihm, und hastig hinausstürzt, das Mädchen aber nur noch leblos aus dem Wasser holen kann. Bald danach sind die beiden Baxters in Venedig, weil er als Restaurator zur Arbeit an einer dortigen Kirche gerufen wird. Sie kommen ungewollt in Kontakt mit zwei älteren Damen, Schwestern aus Schottland, von denen die eine blind ist, sie aber mit dem Zweiten Gesicht schockiert: Die Blinde sieht die tote Tochter lächelnd zwischen den Eltern sitzen. Der Versuch, das einfach als Spinnerei abzutun, misslingt. Zumal die blinde Seherin auch noch darauf besteht, Baxter selbst habe ebenfalls die Gabe des Zweiten Gesichts und er sei in Lebensgefahr und solle Venedig sofort verlassen.

Tatsächlich ereignet sich dann ein Unglück bei der Arbeit des Restaurators. Er stürzt mit seiner Arbeitsbühne ab, kann sich jedoch an den Zugseilen halten und bleibt so unverletzt. Mit einem nächtlichen Anruf aus London informiert die Baxters ein Schulleiter, dass ihr dort lebender Sohn erkrankt sei. Woraufhin die Mutter sofort das nächste Flugzeug nach London nimmt. Aber ehe der Restaurator etwas aus London hört, sieht er auf einem der Kanäle das Boot einer Beerdigungsgesellschaft, in dem seine Frau steht, ernst und in schwarzer Trauerkleidung. Baxter ist beunruhigt durch einige Morde, die gerade geschehen sind. Er irrt durch die Gassen, bis er ein Mädchen vorbeihuschen sieht, das in seinem blutroten Mäntelchen aussieht, wie seine in eben solch einem blutroten Mäntelchen ertrunkene Tochter. Er folgt dieser Gestalt, die er endlich in einem Haus einholen kann. Als sie sich umdreht, ist sie eine hässliche alte Frau, die ihren Verfolger mit einem Hackmesser tötet.

Die englische Schriftstellerin mit dem Hugenottennamen Daphne du Maurier (1907-1989) hat es hauptsächlich mit Horror und solchen psychologisierenden und mystifizierenden Albtraum-Stoffen geschafft, sich einen Namen zu machen. Und auch viel Geld. Vor allem, weil die Verfilmungen von „Rebecca“ (1940) und „Die Vögel“ (1963) durch Alfred Hitchcock beim Massenpublikum ankamen. Dafür ist die Autorin sogar geadelt worden. In den Rang einer ernsthaften Schriftstellerin ist sie jedoch nicht gekommen.

Auch der Film „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ kann der Autorin nicht zu literarischer Anerkennung verhelfen. Weil der Film sich genau wie die Autorin damit zufrieden gibt, schöne Bilder zu liefern, Spannung und Schreck und Schauer zu erregen. Dem stehen auf der Haben-Seite gegenüber: Überraschend geschickte Kameraführung und dann auch noch eine Novität bei der Darstellung des Coitus: Statt nur den Vorgang in der üblichen Penetranz vorzuführen, hat der Regisseur hier in einer schnellen Cross-Cutting-Folge das nackte Geschehen mit dem Wiederankleiden unterschnitten. Eine witzige Neuerung im Spiel mit den Zeitebenen.

Der Film gehört in die Reihe von Filmen wie auch von literarischen Werken, nach deren Genuss man keinen Deut klüger oder besser oder empfindsamer oder aufmerksamer, engagierter und so weiter ist. Weil dem Werk jeglicher Sinn fehlt. Es bestätigt bloß wieder das Marktgesetz für Bestseller: Je größer der Gewinn für die Macher, umso weniger Gewinn außer Zeitvertreib hat der Konsument.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

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