Was von der Liebe bleibt

(The Edge of Love, GB 2008, 110 Min., Drehbuch: Shaman Macdonald, Regie: John Maybury)

Auch wenn man dreist annimmt, dass eines Tages das gedruckte Buch von der Elektronik völlig verdrängt wird, als Stofflieferant ist der Schriftsteller oder Dichter immer noch unverzichtbar. Und der Bedarf an Erzähltem steigt so unaufhörlich, wie die Movie-Manie der Menschen in den sogenannten entwickelten Ländern wächst. Das einmal unterstellt, ist es ein merkwürdiges Erlebnis, diesen Film über einen Dichter zu sehen. Einen Film, der alles andere als eine Dylan-Thomas-Hagiographie ist.

Dylan Thomas (1914-1953), der früh berühmt gewordene walisische Dichter, ist in den Kriegsjahren 1940-1944 in der britischen Vaterlandsverteidigung tätig. Er schreibt für die BBC, was an moralisch Aufbauendem, an Durchhaltewillen Stärkendem gebraucht wird. Zumindest soll er das schreiben, vor allem Propagandadrehbücher, und vielleicht hat er sich auch wirklich einmal bemüht, etwas derartiges zu Papier zu bringen. Doch hat er seiner vaterländischen Pflicht, wenn man diesem Film glauben soll, nicht wirklich genügt. Seine Gedichte, der Alkohol und die Frauen waren ihm viel wichtiger als das Vaterland.

Die Menschen, die sich in den Großstädten Englands vor den deutschen Bombenangriffen in die U-Bahn-Schächte geflüchtet hatten, wurden dort in der scheinbar sicheren Unterwelt mit einem Unterhaltungsprogramm moralisch gestärkt. Damit wird die Sängerin Vera vorgestellt, die mit einem perfekten Make-Up beeindruckt. Auch den Dichter Dylan Thomas, den vor vielen Jahren schon einmal eine Jugendliebe mit ihr verband. Jetzt möchte er dieses längst erloschene Feuerchen wieder anfachen. Dass er bereits verheiratet ist, mit Caitlin, und mit ihr einen kleinen Sohn hat, stört ihn dabei nicht. Wohl aber Vera.

Störend ist auch der Sergeant William Killick, der zum Konkurrenten des Dichters wird. Der junge Soldat ist unmittelbar vor der Verlegung an die Front und versucht, Vera zu einer Liebesnacht zu verführen, und zwar mit dem Hinweis, dass er nicht weiß, wie lange er noch leben wird. Aber das ist nicht, was Vera sucht. Sie will keine junge Witwe werden. William hat größte Mühe, ihren Widerstand zu brechen. Gleichzeitig muss er sich gegen den Spott des Dichters Dylan Thomas wehren, der selbst wegen seiner angegriffenen Lunge als nicht kriegstauglich eingestuft wurde und sich darüber lustig macht, dass die jungen Männer in Uniform in den Augen aller jungen Frauen als Helden erscheinen.

Alle Gegenwehr Veras nützt nichts. Es gibt eine schnell improvisierte Heirat, dann fliegt William zum Kriegseinsatz nach Griechenland. Der Film zeigt die Schrecken des Krieges mit Operationen der Verwundeten ohne jegliche Betäubung. Gleichzeitig werden in London die beiden Frauen Vera und Caitlin Freundinnen. Vera ist schwanger und sehnt sich verzweifelt nach ihrem Mann. Als sie das Söhnchen des Sergeanten William zur Welt gebracht hat, aber von ihrem Mann nichts hört, ziehen die beiden Freundinnen mit den Kindern ins ruhige Abseits des Krieges, nach Wales, in zwei Häuser direkt am Meer. Der Dichter zieht mit ihnen in seine Heimat und widmet sich weiterhin seinem Dichten, dem Alkohol und den beiden Frauen.

Als William nach Jahren heimkehrt, ist er völlig verstört von den Erlebnissen an der Front. Seine Begeisterung für Vera ist verflogen, den von ihr geborenen Jungen hält er für ein Bankert des Dichters. Als der schwer Traumatisierte schließlich ausrastet und um sich schießt, kommt er vors Kriegsgericht, das ihn jedoch von der Anklage des Mordversuchs freispricht, obwohl der Dichter gegen ihn ausgesagt hatte.

Der Film, der mit reichlich Zitaten aus der Produktion des Dichters gespickt ist,  entpuppt sich als das Portrait eines Dichters, wie man es noch nie gesehen hatte: ein Negativ-Portrait. Der Verseschmied kommt mit seinen Äußerungen und Handlungen so schlecht weg, dass man geneigt ist, das Bändchen Gedichte, das man von ihm besitzt, gleich in den Ofen zu werfen. Dylan Thomas als permanent alkoholisierter Produzent von Wortgeklingel, der es genießt, damit bei Frauen ohne große Mühe Eindruck zu machen und sie herumzukriegen. Ein Ekel und Nichtsnutz.

Erstaunlich, dass der Film nicht heißt: „Was von der Dichtung bleibt.“ Denn die wird in diesem Streifen schonungslos ad absurdum geführt. Und mit ihr der Dichter. Was im Branchensinne berechtigt scheint. Wenn ein Dichter keinen Stoff für den wachsenden Bedarf der Filmwirtschaft liefert, kaum mehr als das eine Theaterstück „Unter dem Milchwald“, ansonsten nur nicht filmisch umsetzbare Gedichte in einer von James Joyce beeinflussten, kaum verständlichen Ausdrucksweise, dann muss er eben selbst als Stoff herhalten.

Im Übrigen könnte man fast vermuten, dass bei der Finanzierung und Produktion dieses Films mehr als nötig und mehr als gut für die Filmkultur das britische Verteidigungsministerium die Hand im Spiel hatte. Der Propagandafilm, zu dem der Dichter Dylan Thomas im Zweiten Weltkrieg verhelfen sollte, ist mit großer Verspätung doch noch zustande gekommen, mit dem Dichter als Opfer. Ein Spielfilm als das Hohelied auf die Überlegenheit und Zuverlässigkeit des Militärs. Ein krasser Anachronismus zwar, aber einer mit eindrucksvollen Bildern. Kameramann war Jonathan Freeman.

(Walter Laufenberg in: www.netzine.de)

Dieser Beitrag wurde unter Filmbesprechungen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.